Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Die Zeitung zittert
Montag, 10. November 2008

Kopfzeile - von Martin Novak

Die Weltwirtschaftskrise hat ihre guten Seiten. Eine besonders gute war die Titelseite des Economist vom 4. Oktober 2008: «Welt am Abgrund» titelt das zurückhaltende britische Wirtschaftsmagazin nicht jede Woche.

Auch nicht schlecht das Cover des Spiegel, das der Welt etwa zeitgleich eine Notbremsung  – im Bundesbahn-Deutsch: NOT!HALT!  – empfahl.

Schon zu gut meinte es die Schweizer Weltwoche: «La crise n’existe pas», behauptete sie und rief die Schweiz zum Gewinner der Finanzkrise aus. Unangenehm war nur, dass fast unmittelbar nach Erscheinen die besonders gelobte Schweizer Großbank UBS die Hilfe der Eidgenössischen Nationalbank in Anspruch nehmen musste: «Die Schweizerische Nationalbank (SNB) und UBS haben eine Vereinbarung abgeschlossen, die den Transfer von höchstens USD 60 Milliarden illiquider Wertpapiere und anderer Problembestände aus der Bilanz von UBS an eine separate Zweckgesellschaft vorsieht», hieß das in einer Presseaussendung. „Böse erwischt“ kommentierte die Weltwoche  – und meinte damit nicht die Bank, sondern sich selbst.

Aber so ergiebig eine Weltwirtschaftskrise journalistisch auch ist, Zeitungen leben auch von Inseraten und die dafür zuständigen Abteilungen mögen Weltwirtschaftskrisen, vor allem solche, die an der heimischen Realwirtschaft nicht spurlos vorübergehen, verständlicherweise weniger. Was zu Stimmungsschwankungen führen kann, die sich an der Kleinen Zeitung in diesem Herbst 2008 sehr schön zeigten. „Angst vor dem totalen Crash“ titelte sie am 16. September, um drei Tage später sehr pragmatisch die Frage zu aufzuwerfen: „Wie sicher ist Ihr Geld“? Die Antworten waren eher optimistisch. Aber schon am 3. Oktober folgte die „Krise des Kapitalismus“, die jedoch durch „Fakten gegen die Hysterie“ am 7. Oktober abgemildert wurde. Tags darauf verbreiteten ein lachendes Sparschwein und die Frohbotschaft „100.000 Euro garantiert“ regelrecht Heiterkeit. „Die Beruhigungsoffensive“ am nächsten Tag ließ schon auf ein endgültiges Aus der Krise hoffen. „Der schwarze Freitag“ auf dem Titelblatt des darauffolgenden Samstags störte die gute Stimmung leider wieder etwas. Eine Woche raffte sich der Leiter der Wirtschaftsredaktion des Blattes, Rainer Strunz, immerhin auf und brandmarkte die „Rezessionsrhetorik“ von Politik und Wirtschaft.

Generell muss man die Zeitungen loben. Der Zickzack-Kurs der Börsenindizes wird von den Medien in dieser Zeit nicht nur reportiert, er wird geradezu verinnerlicht. Die Zahl der „Schwarzen Freitage“ ist nur dadurch begrenzt, dass es pro Woche höchstens einen geben kann. Der eine oder andere „schwarze“ Montag springt aber gelegentlich in die Bresche.

Vergleiche mit einer düsteren Vergangenheit reichten selbstredend gerne ins Krisenjahr 1929 zurück, oft aber auch nur bis 2004. Historisch besonders Bewanderte erinnerten auch an 1873 – die Gründerzeit-Krise liegt aber wohl zu weit in der Vergangenheit, um wirklich Angst zu machen.

Aber Fakten und Zahlen sind es ja sowieso nicht, die uns ängstigen: «Der Durchschnittsmensch (…) ist unsichtbar unerfasslichen ökonomischen Gewalten unterworfen, sie heißen Konjunktur, Inflation, Arbeitslosigkeit, Unrentabilität, und sie können noch hundert andere Namen annehmen (…) solange Arbeitslosigkeit überhaupt besteht, ist es für die seelische Lage des Volkes beinahe gleichgültig, ob die Arbeitslosenziffer ausnehmend groß oder ausnehmend klein ist, denn die Seele rechnet nicht mit Ziffern, sondern mit Bedrohungsfakten, und das Feuer der Angstbedrohung läuft von jedem noch so kleinen Brandherd weiter…», schrieb Hermann Broch. Das war 1941.
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