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Bosnien: Ein Déjà vu nach 100 Jahren |
Mittwoch, 8. Oktober 2008 | |
Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde Wer immer in den letzten Jahren im Hinblick auf Jugoslawien internationale Bezüge herzustellen versuchte, hatte einen schweren Stand. Beliebt war und ist die Debatte von Einzelereignissen, Gräueltaten des Bürgerkriegs insbesondere auf serbischer Seite und Storys über diverse Einzeltäter, hier ebenfalls mit dem Schwerpunkt auf Serben. Die Politik einzelner ausländischer Mächte auf dem Balkan war und ist eher tabu. So ist es nicht verwunderlich, dass die Annexion Bosnien-Herzegowinas durch K&K-Österreich vor genau 100 Jahren, am 5. Oktober 1908, in Österreichs Medien kaum ein Thema war und ist. Schon der Verweis darauf, dass der Serbenhass eine alte österreichische Krankheit darstellt, reichte in den letzten zwei Jahrzehnten, insbesondere in den 90-er Jahren, für den Generalverdacht aus, jeden Bürgerkriegsmord von Serben an anderen nicht nur gering schätzen zu wollen, sondern geradezu zu bejubeln. Ganz schlimm erst, wenn man wie der in Belgrad geborene Schriftsteller, Journalist und Diplomat Dragan Velikic folgendes zu Papier bringt: Mir scheint, dass die Schaffung neuer Nationalstaaten auf dem Balkan ein Trend der internationalen Politik ist. Diese kleinen Subjekte sind leichter zu manipulieren, und sie sind unvergleichlich kompatibler mit der internationalen Gemeinschaft als das einstige Jugoslawien. Wenn ich heute auf den Zerfall Jugoslawiens zurückblicke, kann mich niemand davon überzeugen, dass dieses Land nicht hätte bestehen können, wenn es damals den großen Mächten dieser Welt gepasst hätte (aus einem Beitrag im unten besprochenen Buch Serbien nach den Kriegen).Der unbekannte Militärstützpunkt. Demgegenüber ist es in diesen Tagen wie seit Beginn des Bürgerkriegs im alten Jugoslawien gang und gäbe, ausschließlich auf einzelne menschliche Dramen zu starren, diese nach Bedarf zu gewichten und allfällige größere oder historische Zusammenhänge weit von sich zu weisen. Keine einzige Zeitung dieses Landes etwa, vom TV zu schweigen, war in der Lage, anlässlich der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im heurigen Februar zumindest darauf hinzuweisen, dass dort eine riesige US-Militärbasis steht. Errichtet unmittelbar nach dem NATO-Bombardement Serbiens und der Vojvodina, der größte Militärstützpunkt außerhalb der USA. Nicht wenige Experten zweifeln heute daran, dass es die sogenannte Unabhängigkeit des Kosovo gäbe ohne dieses Lager. Wobei der heutige Kosovo ohnehin kaum mehr zu sein scheint als ein Konglomerat von War-Lords, unabhängig wie ein Landsknechthaufen mit Handyunterstützung. Von weit über der Hälfte der UN-Mitglieder wie dem EU-Mitglied Spanien aus guten Gründen nicht anerkannt. Eine Botschaft mit 1500 Mitarbeitern. Aber weg vom Kosovo, nach Bosnien-Herzegowina. Beginnen wir in der Hauptstadt Sarajevo. Eine der heikelsten Baustellen des heutigen Sarajevo liegt am westlichen Rand des Zentrums, knapp nachdem die heute noch so genannte Marschall-Tito-Straße nach Westen in die „Zmaja od Bosna“ übergegangen ist. In Bahnhofsnähe, bei meiner Reise im August dieses Jahres zeichneten sich noch keine Konturen ab, wird die neue US-Botschaft errichtet. Boris, Künstler aus Sarajevo, verdreht die Augen: „Ein Riesenbau soll es werden.“ Ihm ist sichtlich unwohl bei diesen Aussichten. Dabei war schon das bisherige Gebäude nicht gerade eine armselige Keusche. Als ich vor vier Jahren in Sarajevo war, erwähnte ein Beamter der österreichischen Botschaft beiläufig, die US-Botschaft beschäftige 1500 Mitarbeiter und habe rund 3000 Fahrzeuge angemeldet. Sollten es heute weniger sein? – Nein, hier folgt keine Verschwörungstheorie. Bosnien-Herzegowina ist kein Protektorat der USA. Eher schon eines der EU. Nicht nur, weil der Präsident der Zentralbank des Landes vom IWF ernannt wird (und kein Bosnier sein darf) und der „Hohe Repräsentant“ der EU für Bosnien-Herzegowina mehr Befugnisse hat als ein Regierungschef. Sondern auch, weil die Regierung unter ihm samt Bürokratie auf weite Strecken durch die komplizierten Bestimmungen des Dayton-Abkommens gelähmt ist. Und weil derweil insbesondere ausländisches Kapital freie Hand hat zu tun und zu lassen, was es will. Und aus dem Land herausholt, was zu holen ist. Ziegel aus Österreich. Geradezu obszön glänzt da beispielsweise der neu errichtete Glaspalast der Hypo-Alpe-Adria-Bank an der Hauptstraße die Vorbeifahrenden an. Jener Bank, deren vom Volk stammendes Vermögen der Kärntner Landeshauptmann mittels einiger Spekulanten vor nicht allzu langer Zeit verschleuderte. Von den Protzbauten mit Leuchtschriften von Raiffeisen, GRAWE, Erste, Merkur, Uniqa usw. abgesehen. Und in nicht wenigen kleineren Städten findet man Niederlassungen dieser Finanzinstitute, deren Führungspersonal hierzulande fast gebetsmühlenartig verkündet, welch beachtliche Gewinne aus diesen Niederlassungen geholt werden. Kaum hingegen investiert das österreichische und übrige ausländische Kapital in Produktionsbetriebe. Der 21-jährige Student, auf Besuch bei seiner Mutter in Gorazde, erzählt: „Hier wollen alle jungen Leute weg. Zumindest nach Sarajevo. Hier gibt es nichts, von Arbeit ganz zu schweigen.“ Er arbeitet für eine österreichische Ziegelfirma in Sarajevo. Was? – „Im Verkauf. Von Ziegeln aus Österreich.“ Er hat Glück: War mit seiner Familie als Kind einige Jahre in Österreich als Flüchtling, spricht fließend Deutsch und finanziert mit seiner Arbeit (mindestens 40-Stundenwoche) sein Studium. Studiengeld pro Jahr 1500,- Euro. Die Straße der Grünen Barette. Und Sarajevo macht seine Zugeständnisse an seine neuen Herren, bewusst oder unbewusst. Zum Beispiel: Die Princip-Brücke an jener Stelle, an der der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand samt Gattin am 28. Juni 1914 vom serbischen Anarchisten Gavrilo Princip ermordet wurde, heißt nun wieder Lateiner-Brücke. Und im Museum am Attentatsort ist nur mehr von der Vereinigung „Schwarze Hand“ als „Terroroganisation“ die Rede, deren Mitglied Princip war. Dass die übernationale bosnische Jugendorganisation, der Princip mitsamt den anderen Attentätern angehörte, Mlada Bosna (Junges Bosnien), hieß, ist aus dem Museum verschwunden. Dafür heißt die Seitenstraße an der Attentatsstelle jetzt Zelenih Beretki, nach den islamischen Kriegern (Grüne Barette) des Herrn Izetbegovic. Verdrängte Fakten. Diese Vernebelungen der Geschichte haben durchaus ihre Entsprechung in unseren Breiten. Es war herrschende österreichische Zuordnung bis heute, vom „Serben“ Princip zu schreien, um „Nieder mit Serbien!“ hetzen zu können. Serbien hatte im Zuge des Berliner Kongresses 1878 die Unabhängigkeit erlangt – im Unterschied zu Bosnien-Herzegowina, das für 30 Jahre österreichischer Verwaltung unterstellt worden war. Immer wieder aufflammende blutige Unruhen gegen die Habsburgerherrschaft waren die Folge, unter anderem mit einem dreitägigen Generalstreik im Mai 1906. Zwei Jahre später, bei Fristablauf, okkupierte Österreich das Land. – Ich habe gehört, schrieb Karl Kraus in der am 13. Oktober 1908 erschienenen „Fackel“, dass Österreich Bosnien annektiert hat. Warum auch nicht? Man will alles beisammen haben, wenn alles aufhören soll. (…) Aber es ist eine weitblickende Politik, den Balkan durcheinanderzubringen. Dort sind die Reserven zur Herstellung des allgemeinen Chaos. – Das dann dem Weitblick des Karl Kraus entsprechend folgerichtig eintrat, nachdem Franz Ferdinand just am Vidovan-Feiertag 28. Juni (der serbischen Kosovoschlacht gegen die Türken 1389) seine Truppen in Sarajevo inspizieren musste. Wenn da nur so ein Aufschrei durch Österreich gegangen wäre wie bei einer Kosovo-Rede des Herrn Milosevic 75 Jahre später. Will die EU auch „alles beisammen haben“ vor dem Knall? – Nein, übereilte Analogien sind nicht angebracht. Aber besorgt wird man sein dürfen. Und angesichts der bereits jetzt sichtbaren internationalen Folgen der Kosovo-Abspaltung von Serbien sein müssen. Vor 90 Jahren in Montenegro. Angesichts der heurigen „Achter“-Jubiläen drängt sich auch ein kleiner Exkurs nach Montenegro auf: Als vor nunmehr neunzig Jahren, im Jänner 1918, in vielen Industriezentren Österreichs die Belegschaften gegen den Krieg, gegen die Entrechtung der Arbeiterschaft, für demokratische Gemeindevertretungen, für den Frieden und ihre Anliegen streikten („Jännerstreik“), wollten die Matrosen der K&K-Flotte im Hafen von Cattaro = Kotor diesen Streik unterstützen. Am 1. Februar kam es zum Aufstand von 3000 bis 4500 Matrosen, der zwei Tage später niedergeschlagen wurde. Ob es das Denkmal für die am 11. Februar 1918 in Kotor hingerichteten Matrosen Franz Rasch, Mate Brnicevic, Anton Grabar und Jerko Sizgoric, das ich noch 1981 neben dem Kotorer Friedhof auf der Anhöhe von Skaljari besuchen konnte, heute noch gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Reisenden der Grünen Akademie Steiermark, die heuer Montenegro besuchten (siehe Bericht Heike Possert-Lachnits im Magazin What’s Up) haben leider nicht nachgeschaut. Und umgingen in ihren Berichten auch schamhaft die Fragwürdigkeit des in Montenegro installierten Regimes des ehemaligen Zigarettenschmugglerkönigs Djukanovic, der von den hiesigen Medien bei jeder Abstimmung oder Wahl, die er gewinnt, bejubelt wird wie sonst nur Herr Faymann von der Kronenzeitung. Ob gedankenarme Reisende oder Marktschreier der hiesigen Medien, der oben zitierte Dragan Velikic hält ihnen zutreffend entgegen: Darin sehe ich die Rolle des Künstlers und Intellektuellen: Wenn er als einzelner eine schlimme politische Situation schon nicht verbessern kann, darf er zumindest nicht zu seiner Verschlechterung beitragen, indem er die herrschenden Vorurteile bestätigt. – Leider ist hierzulande ein solcher Standpunkt allzu vielen fremd.
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