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unsichtbar – NS-Herrschaft: Zwei Ausstellungen über Verfolgung und Widerstand in der Steiermark |
Montag, 8. September 2008 | |
1848 – 1918 – 1933 – 1938 – 1948 – 1968 – 1978 - Im heurigen Jahr gibt es zahlreiche historische Ereignisse, derer Österreich aus Anlass des 160., 90. des 75. oder 30. Jahrestags gedenkt. So wird am 12. September in Wien im Parlamentsgebäude die „Republik.Ausstellung 1918-2008“ eröffnet. KORSO geht bis Jahresende monatlich einigen dieser Ereignisse und deren Auswirkungen auf die Steiermark nach. Dabei werden nicht die großen Ereignisse und Männer im Mittelpunkt stehen, sondern die „andere“, die vielfach vergessene Geschichte. Was konnte die Bevölkerung während der NS-Zeit über die Verbrechen und Herrschaftspraktiken der Nationalsozialisten wissen? Welche Einblicke in das verbrecherische System und welche individuellen Handlungsspielräume waren unter nationalsozialistischer Terrorherrschaft möglich? Welche Kontinuitätslinien sowohl ideologischer als auch individuell-biografischer Natur gab es in der Zeit vor dem März 1938 und vor allem auch über den Mai 1945 hinaus? Was wollte und konnte man nach 1945 wissen, woran erinnerte sich die Gesellschaft und was verdrängte sie? Und welche Rolle spielte der Widerstand gegen das System während und nach der NS-Zeit? All diesen Fragestellungen werden ab September zwei Ausstellungen von CLIO im Landhaushof und im Stadtmuseum Graz nachgehen. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet dabei ein in der Zweiten Republik weithin bekannter Stehsatz. „Davon haben wir nichts gewusst!“, ist jene Schutz- und Abwehrbehauptung, die zum einen stellvertretend für die individuelle wie auch kollektive Haltung vieler ÖsterreicherInnen gegenüber dem nationalsozialistischen Erbe steht. Zum anderen gab sie jedoch auch über Jahrzehnte die Leitlinien für die Fragen nach der Übernahme von Verantwortung durch den Staat wie auch durch die österreichische Gesellschaft für das vor, was zwischen 1938 und 1945 geschehen ist und Menschen angetan wurde. Die Ausstellungen „unsichtbar – NS-Herrschaft: Verfolgung und Widerstand in der Steiermark“ sowie „unsichtbar – Politikerbiografien: Brüche und Kontinuitäten 1934-1955“ greifen diesen Kernsatz der Aufbaugeneration, der in verschiedensten Varianten im öffentlichen Diskurs präsent ist und war, auf, um ihn auf mehreren Ebenen in Frage zu stellen und auf der Basis neuer Forschungsergebnisse neue Einblicke in die nationalsozialistische Herrschaftspraxis wie auch den Alltag der Menschen zu geben. NS-Herrschaft als „soziale Praxis“. Im Zentrum steht dabei zunächst die innerhalb der österreichischen Gesellschaft lange Zeit Gültigkeit beanspruchende „Opferthese“, mit all ihren gesellschaftlichen und politischen Folgen. Denn war es wirklich so, dass „die nationalsozialistische Regierung Adolf Hitlers kraft dieser völligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher je gewollt hat …“? Oder muss man nicht eher davon ausgehen, dass die nationalsozialistische Herrschaft sich erst durch das Zusammenwirken von Herrschenden und Beherrschten auch innerhalb der österreichischen Gesellschaft konstituierte? Denn geht man davon aus, dass Herrschaft immer soziale Praxis ist, so ist die Vorstellung einer von einer kleinen fanatischen, nationalsozialistischen und vor allem deutschen Elite von oben gelenkten und über das „willenlose“ österreichische Volk verhängten Diktatur nicht haltbar. Auch wenn der Terror von SS, SA und Gestapo – dem diktatorischen Staat – integraler Bestandteil nationalsozialistischer Herrschaft war, so bedingte nicht er allein das Funktionieren des Nationalsozialismus. Vielmehr kann man die NS-Herrschaft als eine „Zustimmungsdiktatur“ (Götz Aly) begreifen, die einerseits auf die Meinungen und Befindlichkeiten des „Volkes“ in vielerlei Hinsicht Rücksicht nahm und andererseits von den „Volksgenossen“ und „Volksgenossinnen“ entsprechende Unterstützung und Rückhalt erfuhr. Demnach ermöglichte erst das konkrete Agieren und Interagieren der Menschen in ihrem jeweiligen ideologischen und alltäglichen Rahmen die Durchsetzung nationalsozialistischer Politik. Eingebettet in ein gesellschaftspolitisches und soziales „Kräftefeld“ konnten sich die ÖsterreicherInnen in individuellen Handlungsräumen bewegen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre eigenen Entscheidungen treffen. Es standen ihnen somit Handlungsspielräume offen, die vom willfährigen Mitmachen und Mitläufertum bis hin zur offenen und versteckten Opposition, dem Widerstand, reichen konnten und es auch taten. Dabei waren für viele Menschen die Entscheidungsfindung und das konkrete Handeln nicht nur von den äußeren Rahmenbedingungen diktatorischer Herrschaft, sondern sehr stark von ihren ideologischen Bezugspunkten und sozialen Erfahrungen mitbestimmt. Kontinuitätslinien. Das Vorhandensein einer lange zurückreichenden antisemitischen Tradition, die Präsenz autoritärer, antidemokratischer Ideologien, gepaart mit einer Vielzahl sozialer Probleme und einer seit den 1930er Jahren auch in Österreich zur Massenpartei gewordenen NSDAP, führten dazu, dass zum einen der „Anschluss“ im März 1938 keine reine Okkupation von „außen“ war, sondern in gleichem Maße von „oben“ und „unten“ innerhalb der österreichischen Gesellschaft erfolgte. Dieses Konglomerat an ideologischen, sozialen und politischen Faktoren war letztlich die Basis dafür, dass die ab März 1938 beginnende NS-Politik der Entrechtung, Beraubung, Vertreibung und Verfolgung von Juden, „Zigeunern“, „Asozialen“ und politisch Andersdenkenden weitgehend unwidersprochen blieb. Vielmehr noch bedingte es einen hohen Grad der Involvierung durch „die“ Bevölkerung. Ein Aspekt, der nicht nur an der Beteiligung vieler so genannter einfacher „Volksgenossinnen und Volksgenossen“ am Vermögensentzug, der „Arisierung“ jüdischen Eigentums, sichtbar wird, sondern auch an der Vielzahl von Denunziationen von nach nationalsozialistischer Auffassung widersetzlichem und abweichendem Verhalten. unsichtbar – Widerstand in der Steiermark. Suggerieren nun die ideologischen und sozialen Parameter vor dem März 1938 eine Unausweichlichkeit der historischen Verläufe, so ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es neben den bereits erwähnten Traditionslinien des Antisemitismus, Rassismus und der antidemokratischen Ideen auch immer Gegenstimmen gab. Diese traten während der Ersten Republik und der Zeit des autoritären Ständestaates sowohl gegen die Faschisierung der Gesellschaft und Politik wie auch gegen Antisemitismus und Militarismus auf. Sie blieben jedoch in der Minderzahl und im öffentlichen Diskurs scheinbar unsichtbar. Und doch waren eben diese unsichtbaren Gegenstimmen die Basis für jene Menschen, die sich in den Jahren von 1938 bis 1945 ein menschliches Verhalten bewahrten und/oder sich auch aktiv am Widerstand gegen das Regime beteiligten. Abseits der Aspekte der Wechselwirkungen von Terror, Verfolgung und Partizipation der Bevölkerung am NS-Regime spüren die beiden Ausstellungen dem Un- /Sichtbaren nach. Dabei werden nicht nur der sich weitgehend im Verborgenen vollziehende Widerstand, die Widerstandskämpfer und -kämpferinnen, ihre ideologischen Wurzeln und Taten ins Blickfeld gerückt und damit der Unsichtbarkeit entrissen, sondern es wird auch die Frage nach der Sichtbarkeit und dem Wissen-Wollen oder Wissen-Können um die Verbrechen des Regimes gestellt. G.L. unsichtbar – Politikerbiografien: Brüche und Kontinuitäten 1934-1955 Ort: Landhaushof Graz, Herrengasse 16, 8010 Graz Eröffnung: 9. September 2008, 19.30 Uhr 10. September 2008 bis 29. März 2009 immer zugänglich unsichtbar – NS-Herrschaft: Verfolgung und Widerstand in der Steiermark Ort: stadtmuseumgraz, Sackstraße 18, 8010 Graz Eröffnung: 16. September 2008, 19.00 Uhr 17. September 2008 bis 29. März 2009 Dienstag bis Sonntag: 10.00 bis 18.00 Uhr Idee und inhaltliches Konzept: Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht, Ursula Mindler Gestaltung / Grafik: Erika Thümmel, Silvia Brandl Zwei Ausstellungen von CLIO, Großgrabenweg 8, 8010 Graz, http://www.clio-graz.net Die Begleitausstellung gestaltet Ernst Logar: „Den Blick hinrichten“ In der Rauminstallation „Den Blick hinrichten“ setzt sich der Kärntner Künstler Ernst Logar mit dem Leidensweg seines Großvaters Josef Logar und den Umständen, die zu seiner Hinrichtung in Graz führten, auseinander. Ort: stadtmuseumgraz, Sackstraße 18, 8010 Graz 17. September 2008 bis 29. März 2009 Dienstag bis Sonntag: 10.00 bis 18.00 Uhr
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