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Ernesto Cardenal: Schwere Kritik an Sandinisten und Ortega
Mittwoch, 8. Oktober 2008
Er wolle vor allem auch die Linken um eine neue Sicht auf Nicaragua bitten, sagte LH-StV. Dr. Kurt Flecker einleitend anlässlich des jüngsten Besuches des nicaraguanischen Dichters und Revolutionärs Ernesto Cardenal in Graz und zitierte dazu des Nobelpreisträgers José Saramagos Diktum: „Einmal mehr ist eine Revolution von innen heraus verraten worden.“ Eine Sichtweise, die von Cardenal, der sich auf einer Lesereise durch Europa befindet, unterstrichen wird: In seinem Heimatland herrsche keine Demokratie mehr, sondern die Diktatur von Daniel Ortega, dessen Frau und Kindern.
In der Tat scheint Cardenal Opfer einer Intrige des Staatspräsidenten zu sein, der sich brüskiert fühlte, weil zwar Cardenal – in den Achtzigern Kulturminister nach der Revolution gegen den faschistischen, von den USA unterstützten Diktator Somoza – aber nicht er selbst zur Amtseinführung des neuen paraguayanischen Präsidenten Fernando Lugo eingeladen worden war. Der Hintergrund des diplomatischen Affronts: Ortega wird von seiner Stieftochter beschuldigt, sie als Kind sexuell missbraucht zu haben, da er aber in Nicaragua Immunität genießt, kann dort die Causa nicht weiter verfolgt werden. Die neue Ministerin Paraguays für Frauenfragen, Gloria Rubin, erklärte seine Anwesenheit beim Staatsakt aus diesem Grund für nicht erwünscht.

„Ortega kooperiert mit reaktionärsten Kräften“. Dass Cardenal zudem in Paraguay die diktatorischen Tendenzen Ortegas gegenüber der Presse denunzierte, dürfte weiter zur Eskalation beigetragen haben: Bei seiner Rückkehr sah er sich mit der Wiederaufnahme eines vor nahezu drei Jahren abgeschlossenen Verleumdungsverfahrens konfrontiert, in dem er bereits freigesprochen worden war – und wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die er nur wegen seines hohen Alters – Cardenal ist 83 – nicht antreten muss.
Seine politische Einschätzung seines ehemaligen Mitstreiters und nunmehrigen Gegners Ortega lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Ortega hat sich mit den reaktionärsten Kräften verbündet“, wettert Cardenal und zählt dessen Verfehlungen auf: Er habe eine Allianz mit dem früheren Präsidenten („dem korruptesten Staatsoberhaupt Lateinamerikas“), Arnoldo Aléman, geschlossen, einem früheren Somozisten; er kooperiere mit Kardinal Obando, einem deklarierten Gegner der Revolution, und reaktionärsten Kirchenkreisen (Cardenal selbst ist von Rom wegen seiner befreiungstheologischen Aktivitäten suspendierter Priester) – Nicaragua hat seitdem eines der rückschrittlichsten Abtreibungsgesetze der Welt, das den Eingriff auch bei medizinischer Indikation verbietet –; er habe sich mit ehemaligen Kontras (den Bürgerkriegsgegnern der Somozisten) verbündet – und mehr noch, er klüngele mit höchsten Repräsentanten der einst gefürchteten und verhassten Nationalgarde Somozas.

Solidaritätsbekundungen. Cardenal, der Mitglied der von den Ortegas Sandinisten abgespaltenen „Sandinistischen Erneuerungsbewegung“ ist, der immerhin drei von neun früheren Mitgliedern der Führung des Frente Sandinista angehören, schlägt weltweit eine Welle der Solidarität entgegen. In Hinblick auf Befürchtungen des greisen Literaten und Revolutionärs, bei seiner Rückkehr in Nicaragua unter Hausarrest gestellt zu werden, erklärte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Cardenal sei jederzeit in Österreich willkommen.
cs
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