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Biopiraterie: „Die Konsequenzen für die indigenen Völker sind fatal“
Mittwoch, 8. Oktober 2008

Anne Schweigler ist Ethnologin; zwischen 2001 und 2003 arbeitete sie mit HeilerInnen und Hebammen in Chiapas/Mexiko, die sich gegen die Biopiraterie ihrer traditionellen Heilpflanzen und ihres Wissens wehren.

Korso führte ein Interview mit Anne Schweigler.

KORSO: Frau Schweigler, was hat Biopiraterie mit Commons zu tun?
Die Biopiraterie bezeichnet die Privatisierung oder die monopolartige Aneignung von biologischem und genetischem Material. Weil dieses Material bis zu der Einführung von geistigen Eigentumsrechten auf Biologisches/Genetisches1 als Gemeinbesitz bezeichnet werden konnte, sprechen wir von Diebstahl – die Möglichkeit des Zugangs und der Nutzung von z.B. patentierten Heilpflanzen  wurde den Menschen schlichtweg „geraubt“.

Biopiraten eignen sich sowohl „Wissen“ über Leben in Form von Tieren oder Pflanzen als auch biologisches Material selbst an. Was sind die primären Tätigkeitsfelder der Biopiraterie?

Es gibt Fälle in zwei Bereichen, einerseits im medizinischen Bereich; die Pharma-Firmen sind auf die Nutzung von Heilpflanzen für die Entwicklung moderner Medikamente angewiesen. Die Pharmaindustrie patentiert dann z.B. den aktiven Wirkstoff der Pflanzen, wobei auch das „Wissen“ um die heilende Wirkung quasi patentiert wird. Die Patentanmelder behaupten, etwas „Neues“ geschaffen zu haben, dabei hat die lokale Bevölkerung diese Pflanzen und ihre Eigenschaften schon seit Jahrhunderten genutzt.
Der zweite große Bereich ist der Bereich des Saatguts. Vor allem auf wirtschaftlich interessante Pflanzen und Tiere werden massenweise Patente angemeldet. Aber selbst wenn züchterisch eine neue Sorte geschaffen wurde, dann wäre dieses „neue“ Sorte nicht möglich ohne die jahrhundertelangen züchterischen Vorleistungen von Bauern. Pflanzen, Tiere, DNA und biologische Prozesse – also „Leben“ – darf nicht patentierbar sein und nicht privatisiert werden.

Biopiraterie geschieht in erster Linie mit Hilfe von Patentierungen auf Biomaterial. Welche Konsequenzen zieht diese Praxis nach sich und was ist die Alternative dazu?

Die Konsequenzen für indigene Völker sind fatal. Einerseits lehnen sie die gängige Praxis natürlich durchwegs ab, andererseits nehmen sie auch Verhandlungspositionen ein, damit ihnen zumindest ein wenig vom Ganzen bleiben kann. Eine Möglichkeit dieser Verhandlungen ist das so genannte „Access and Benefit sharing“-Modell, das den ursprünglichen Nutzer zumindest einen Teil der Erträge des jeweiligen Produkts garantieren soll. In der Regel funktioniert das bis dato aber noch unzureichend.

In Europa bekannte Fälle der Biopiraterie betreffen vor allem die so genannten Entwicklungsländer. Trügt der Schein oder sind die westlichen Industrieländer tendenziell nicht von Biopiraterie betroffen?
Im Westen liegt die Aufmerksamkeit in Bezug auf geistige Eigentumsrechte vor allem bei der „freien“ Computersoftware, weil uns dieses Thema wohl näher liegt. Die Patentierung von Saatgut  oder Heilpflanzen ist eher woanders ein Thema: Beispielsweise in Brasilien und Indien. Hier engagieren sich auch die Regierungen, um die eigenen Heilpflanzen und das dazugehörige traditionelle Heil-Wissen zu schützen.
Trotzdem ist auch Europa betroffen. Zurzeit wird vor der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes die Patentierung einer Brokkoli-Sorte verhandelt. Bereits im Jahre 2002 wurde vom europäischen Patentamt einer britischen Firma das Patent auf die Züchtung dieses Brokkoli gewährt. Das Patent beinhaltet die Züchtungsmethoden sowie die Brokkoli-Samen als auch die essbare Pflanze selbst. Das ist ohne Zweifel eine neue Situation, weil in Europa bisher nur entweder einzelne Substanzen einer Pflanze oder das Genmaterial einer Pflanze, nicht aber die ganze Pflanze patentierbar war. In diesem Fall würde das Patent soweit reichen, dass die ganze Pflanze vereinnahmt wird sowie die konventionelle Züchtungsmethode dieser Pflanze betroffen ist. Das Resultat daraus wäre, dass es unmöglich wäre Brokkoli zu züchten, ohne dieses Patent zu berühren. Jede Züchtung würde demnach Lizenzgebühren für den Patentinhaber nach sich ziehen.

Die Vielfalt der Arten ist eine Grundlage menschlichen Wohlergehens. Am Beispiel der landwirtschaftliche Sortenzüchtung zeigt sich, dass diese Biodiversität immer öfter der Profitsteigerung zum Opfer fällt. Wie sehen Sie die Entwicklung in diesem Bereich?
Diese Einschätzung stimmt für Europa auf jeden Fall. Durch die Industrialisierung der Landwirtschaft wurde zunehmend auf so genannte Hochertragspflanzen gesetzt, damit haben wir viel an Sortenvielfalt verloren, - mache sprechen von einem Verlust in der Größenordnung von 75% während der letzten 100 Jahren. Die Saatgutfirmen freuen sich darüber, sie kontrollieren zunehmend was, wo angebaut wird. Hinzu kommt, dass es von mehreren tausend Saatgutfirmen heute nur noch eine Handvoll großer Konzerne gibt, die den Markt dominieren, andere Anbieter haben de facto kaum eine Chance.
Dieser Umstand ist aber nicht nur politisch, sondern auch ökologisch bedenklich. Für die weitere Züchtung braucht es immer eine Arten- und Sortenvielfalt. Und gerade um auf die Veränderungen durch den Klimawandel reagieren zu können, müssen wir die Arten- und Sortenvielfalt, die uns noch bleibt, erhalten. Diese Arten und Sorten müssen auch im Sinne von Commons „frei“ erhalten bleiben. Die Kontrolle der Welternährung, vermittelt über die Kontrolle des Saatgutes darf nicht in den Händen weniger transnationaler Konzerne liegen, die die Pflanzenpatente halten.


1 seit 1994 müssen sich die Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation WTO an die Verpflichtung halten, Patentierungen an biologischem und genetischem Material zuzulassen.

 

Seit 2003 ist Schweigler aktiv in der Kampagne gegen Biopiraterie, seit 2006 im Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft.
Anne Schweigler lebt und arbeitet in Berlin (D).

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