Silke Helfrich ist Romanistin und Pädagogin und arbeitet gegenwärtig als Konsultorin und Publizistin. Schwerpunktthemen: Gemeinschaftsgüter, Gender, Globalisierung, Entwicklungszusammenarbeit, Lateinamerika. Korso interviewte Silke Helfrich.
KORSO: Frau Helfrich, wie würden Sie jemandem, der noch nie etwas von Commons gehört hat, erklären, was unter diesem Begriff zu verstehen ist? Commons sind das, was uns allen zusteht. Sie sind unser Erbe und Kollektivbesitz, und zwar weil sie entweder kollektiv erzeugt wurden oder sozusagen „schon da waren“. Also alle natürlichen Ressourcen und Prozesse, Wasser und Wald, die Photosynthese, das Spektrum und die Atmosphäre. Aber auch Wissen und Kultur, die über Jahrhunderte hinweg entstanden sind – Töne, Akkorde und Sprache. Sie sind das, was wir brauchen, um Nahrung überhaupt zu produzieren, Transportwege zu nutzen oder Kommunikation zu betreiben. Commons sind aber auch ein politisches Konzept. Die zentrale Idee dabei ist, dass Gemeingüter, weil sie unser Kollektivbesitz sind, auch in der Verfügungsgewalt der Gesellschaft bleiben müssen. Wir sind deshalb gefordert, uns um unsere Commons zu kümmern. Wir dürfen uns doch nicht enteignen lassen.
Bei näherer Betrachtung der gegenwärtigen Commonsdebatte entsteht der Eindruck, dass Commons im Sinne von kulturellen, sozialen und natürlichen Ressourcen alles und nichts sind. Was fällt eigentlich nicht unter den Commons-Begriff? Naja, wenn wir wissen, was Commons sind, wissen wir auch, was sie nicht sind. Zum Beispiel das, was „nicht schon da war“ beziehungsweise was durch individuelle Arbeit und Anstrengung erzeugt und produziert wurde: Das Brötchen, das ich esse, der Stuhl, auf dem ich sitze, oder das Fahrrad, auf dem ich fahre. Wobei jegliche Produktion dieser Dinge immer auch auf Commons zugreift: Auf das Land, auf die Bodenschätze oder auf technologisches Wissen. Und das ist ein Problem. Wenn wir nämlich Commons nicht benennen, machen wir uns auch nicht bewusst, dass wir sie permanent gebrauchen und schlimmstenfalls verbrauchen oder wegsperren. Commons sind immer das Gemeinsame. Wir sollten eine besondere Beziehung zu ihnen haben. Jenseits dessen gibt es Güter, die privat erzeugt und angeeignet werden können und dürfen. Das sind Waren.
Sie betreiben seit einem Jahr einen deutschsprachigen Blog zu Commons. Welche Funktion hat dieser Blog und wen soll er erreichen? Commons sind überall, deshalb ist die Commonsdebatte eine internationale Debatte. Sie wird oft auf Englisch geführt, doch sie ist überall präsent – bisweilen unter anderen Begrifflichkeiten. Ich versuche, diese Debatte zu reflektieren und zu „übersetzen“. Sprachlich und kulturell. Ich schreibe für jede und jeden, aber auch für ein Fachpublikum. Für mich und für all jene, die der Frage nachgehen, welche neuen Paradigmen und Konzepte wir brauchen; in einer Situation der akuten ökologischen Knappheit, im Kontext der Digitalisierung von Produktion und Kommunikation, die einiges „Alte“ über den Haufen wirft; in einer Situation der verschärften sozialen und gesamtgesellschaftlichen Krise. Denn die Konzepte von gestern – Neoliberalismus wie zentralstaatlich organisierter Sozialismus – haben sich als untauglich erwiesen.
In der Commonsdiskussion geht es oft um Fragen des Zugangs. In den letzten Jahren haben vor allem die Angebote der Open Source und der freier Software eine Attraktivitätssteigerung erfahren. Auch wenn es sich dabei um eine positive Entwicklung handelt – ist diese Demokratisierung von verfügbarer Software letztlich nicht pseudodemokratisch, weil natürlich nicht alle Interessierten einen Internetzugang, geschweige denn einen Computer, zur Verfügung haben? Für uns ist Gerechtigkeit ein essenzieller Punkt: Gerechtigkeit im Zugang, Gerechtigkeit in der Nutzung, Gerechtigkeit in der Verteilung dessen, was wir den Commons entnehmen. Doch die Ungerechtigkeit der Verteilung von Kommunikations- und Produktionsmitteln im gegenwärtigen Wirtschaftssystem ist ja nicht dadurch aus der Welt, dass sich parallel dazu eine andere Form des Wirtschaftens etabliert. Freie Software wird nicht alle Gerechtigkeitsprobleme dieser Welt lösen können. Sie kann aber für die Zukunft die Bedingungen dafür schaffen. Wenn wir jetzt zulassen, dass nur eine Handvoll Firmen über unser Saatgut, über unsere Software, über unsere Kulturschätze entscheiden, dann werden wir uns in Zukunft kaum noch aus diesen Abhängigkeiten lösen können. Freie Software schafft Unabhängigkeit. Es ist ein Riesenunterschied, ob Sie den Zugang zu Bildung in der dritten Welt mit freier Software voranbringen oder ob Sie privaten Firmen und ihrem Gewinninteresse dieses Feld überlassen. Und das hat auch mit dem Überleben der demokratischen Idee zu tun. In den westlichen Industrieländern scheint es in den letzten Jahren eine Konzentration der Diskussion auf immaterielle Gemeingüter und deren Privatisierungsmechanismen (Patente, Copyrights etc.) zu geben. Der Commonsbegriff bezieht sich aber ausdrücklich auf alle Ressourcen – sprich auch auf die lebensnotwendigen, die substanziellen Commons, wie beispielsweise Wasser. Wie beurteilen Sie diesen Umstand? Diese Beobachtung ist für die Industrieländer sicher richtig. Wir übersehen hier einfach immer, dass wahrscheinlich für die Hälfte der Weltbevölkerung der Zugang und die Nutzungsrechte an den Commons den Unterschied zu Armut und Elend ausmachen. Es ist auch ein Fehler zu denken: Es gibt Commons, die sind wichtiger als andere. So wie es keine Menschenrechte gibt, die wichtiger sind als andere. Materielle, natürliche Ressourcen, immaterielle, ideelle sowie soziale, kulturelle Commons sind untrennbar miteinander verbunden. Am Beispiel des Saatguts wird das schnell klar: Die natürliche Ressource ist die Pflanze. Darin gibt es den genetischen Code. Er ist quasi in diese Pflanze eingeschrieben. Diesen Code kann man extrahieren, oder man kann die Pflanze als Saatgut in einer Saatgutbank einfrieren und behaupten, damit rette man die Pflanze. Das ist aber Quatsch. Wenn man das Saatgut nach hundert Jahren wieder auftaut, um es auszusäen, wird sich zeigen: Der Code allein ist nichts wert. Denn es fehlt nach hundert Jahren das kulturelle Gemeingut: nämlich wie man die Pflanze pflegt und anbaut etc. Was ich damit sagen möchte ist, dass beide – immaterielle und materielle – Gemeingüter unsere Existenz ausmachen. Und beide können gleichermaßen verschwinden.
Zugangsgerechtigkeit und nachhaltige Verwaltung von Commons geschehen heute inmitten einer kapitalistischen Marktwirtschaft, welche die Steigerung des Konsums realisiert. Ist eine Koexistenz zwischen der politischen Idee der Commons und kapitalistischer Marktwirtschaft überhaupt möglich? Auf der Ebene der inneren Logik der beiden Ansätze müsste man wahrscheinlich sagen, dass eine Commons-Based-Economy und die gegenwärtig herrschende Marktwirtschaft unvereinbar sind: Auf der einen Seite gibt es die Idee der Kooperation, die Idee des Aufeinander-Aufbauens, die Idee des „Genug-für-alle“ und den Effekt der Inklusion. Auf der anderen Seite gibt es die Idee der Konkurrenz, die Idee der Steigerung der Profite und die Idee der – rein ökonomisch definierten – Effizienz und den Effekt der Exklusion. Wenn wir uns aber marktwirtschaftliche Regeln ansehen, die man für bestimmte Ziele einsetzen kann, scheint mir nicht undenkbar, dass sie auch für die Ziele einer Commons-based-Economy eingesetzt werden können. Wenn Preismechanismen tatsächlich ermöglichen sollten, dass die Gesamtmenge an Emissionen drastisch reduziert würde, wäre dagegen auch nichts einzuwenden. Doch dafür muss sich am gegenwärtigen Emissionshandel noch sehr viel ändern. Helfrich betreibt einen deutschsprachigen Blog zu Gemeinschaftsgütern: www.commonsblog.de Silke Helfrich lebt und arbeitet in Jena/Thüringen (D).
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben. Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
|