Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Fussfrei – Willi Hengstlers Theatertrips und -tipps
Mittwoch, 8. Oktober 2008

Soviel Mythos war noch nie zu Beginn der Saison. Das Schauspielhaus Graz eröffnete am 20.9. mit Friedrich Hebbels „Die Nibelungen“, die Grazer Oper folgte mit Richard Wagners „Tannhäuser“ am 27. 9. Fast als ob die Bühnen den Rechtsruck der Wahlen vorweg genommen hätten, aber tatsächlich waren es ironische, keineswegs vaterländische Unternehmungen. Und dazwischen hatte die ebenfalls ziemlich ironische „Odyssee“ am 24.9. auf der Probebühne ihre Premiere.

Blutige Ironie. Zu Beginn der „Nibelungen“ stellt Hausregisseurin Cornelia Crombholz  die Burgunder Recken und Siegfried, den Helden aus Xanten, mit einer Kindermärchenstimme aus dem Off vor. Ihr Burgund besteht hauptsächlich aus mannshohen Sperrholzbuchstaben: (D) R A C H E, die Königsbrüder Giselher (Claudius Körber) Gerenot  (Franz Josef Strohmeier) und allen voran ein großartiger Sebastian Reiß als König Gunter geben drei Faulenzer. Bis Jan Thümer im Motorraddress kommt, ein Rabauken-Siegfried, der Krimhild (gelegentlich schrill: Martina  Stilp) will. Aber die Königsschwester bekommt er erst, wenn er zuvor König Gunter bei dessen Werbung um die superstarke Brunhild unterstützt. Und mittendrin, nicht grad ideal besetzt, der Hagen von Dominik Warta als cleverer Mafioso der Macht. Wie bekannt, führt der Schwindel an Brunhild (etwas blass Sophie Hottinger) zu Eifersucht, Verrat, dem Meuchelmord an Siegfried und der Rache Krimhilds, inklusive finaler Schlächterei in Etzels Thronsaal: „Auch König Gunter zeigte hervorragenden Kampfgeist … er verteidigte sich bis zuletzt tadellos …“ So ähnlich lautet der spezielle Offtext, zu dem sich die Degen aus Worms Theaterblut kübelweise über den Kopf schütten, um ihren Tod mit ironischer Dezenz anzudeuten.

Auch für die Nibelungen existiert keine authentische Inszenierung, aber über wuchtige Verweise auf Emanzipation und Männerbündelei, über der Menge an Anspielungen wird Entscheidendes verschlampt. Etwa beim Kampf mit Brunhilde, der zu einem matten Karatetänzchen gerät, ohne dass Kampftrainer oder Regie etwas zu Siegfrieds Tarnkappe eingefallen wäre. Oder beim Übersetzen des Rheins (hier ein Fichtenwald auf der Drehbühne, wo die Helden ihre Schnurrbärte, die ihnen mittlerweile gewachsen sind, festhalten müssen). Soviel Ironie war noch nie. Selbst der Original-Hagen, der den Fährmann erschlägt und den Kaplan ertränken will, hat freundlicher an den beiden gehandelt, als die Dramaturgie mit ihren Textkürzungen, denen auch Dietrich von Bern zum Opfer fallen wird. Dafür steuert Sasenko Prolic Stimmungsmusik aus der Steinzeit des Rock bei, was es Volker, dem Spielmann – gar nicht schlecht Thomas Frank – erspart, seine Laute zu schlagen. Gerhard Balluch, wie immer solide, fügt sich als Rüdiger von Bechlarn erstaunlich gut in diese Mythencollage ein, bevor das Schlachten in Etzels Saal anhebt, einem sinnträchtigen, mit Farbkübeln möblierten Gitterkäfig.  
Schlechter als Fritz Langs „Siegfried“ 1923, besser als Harald Reinls Version 1964 mit dem Hammerwerfer Uwe Bayer. Dank der Kompetenz von Cornelia Crombholz und ihrer Schauspieler niemals langweilig.  
Noch am 8.10., 15.10., und 25. 10. und am 13.11., 26.11. und 29.11.

Mitreißender Blockbuster. Dafür funktionierte die Ironie ausgerechnet bei Wagners „Tannhäuser“, einer Koproduktion mit der Staatsoper Hannover. Vielleicht weil Philipp Himmelmann seinen Ansatz in einer kühlen, meist nur aufs nötigste reduzierten Inszenierung umsetzte. Seine Venushöhle ist eine moderne, den Prunk und das Gold des Opernhauses konterkarierende Bühne, in deren Mitte Frau Venus allmählich aus einem Berg aus Manuskriptseiten auftaucht, derweilen Tannhäuser auf der Suche nach Textvarianten durch den Theaterraum schnürt. Schon ihr Duett (souverän Christiane Libor als Venus) und Tannhäuser (John Treleaven) macht klar, dass dieser Titelheld mehr solide als dynamisch ist. Letzterer, längst überdrüssig des ereignislosen Glücks, flieht hinaus zur Muttergottes, und die kommt sogleich vom Himmel herabgestiegen, um  sich religionsgeschichtlich präzise auf Unterwelt und heidnische Göttin zu setzen.
Hyon Lee leitet den zweiten Akt als witzig-inniger Hirte mit Schäfchen ein, ehe Walther von der Vogelweide und anderen Stars im Golfdress auftreten. Albert Pesendorfer als Markgraf dominiert die Herrenrunde stimmlich überzeugend. Trotz der Ritterkostümierung entstehen auch jetzt Bilder, deren Ironie ohne kabarettistische Geschwätzigkeit auskommt. Vor dem Sängerstreit küssen die Jungfrauen z.B. allen Rittern die Schuhe, bevor sie deren Schwerter (!) an den Mund führen. Anschließend wird eine von ihnen am Pranger – „Ich habe Lust empfunden“ – ordentlich ausgepeitscht. Nur ein (moderner) Künstlertyp wie Tannhäuser, zwischen Größenwahn und Zweifeln schwankend, kann da beim folgenden Songcontest noch befreiende Sinnlichkeit preisen.
Vor dem Lynchmord wird Tannhäuser nur durch Elisabeth, die auf ihn gewartet hat, grettet (Ricarda Merbeth, die überzeugendste Performance des Abends). Sie erreicht, dass der Tod zur Strafwallfahrt nach Rom abgemildert wird, wo Tannhäuser Vergebung erflehen soll.
Der dritte Akt wirkt wieder ganz geschlossen mit den von Rom rückkehrenden Pilgern und der auf ihren Tannhäuser wartenden Elisabeth. Dass sie dann auf den Sockel der Gnadenmutter klettert und deren Umhang anlegt, ist ein rätselhafter und gleichzeitig blasphemischer Einfall. Und während sie da oben anscheinend im Stehen stirbt, kommt Tannhäuser, dem der Papst die Gnade verweigert hat. Ashley Holland als Wolfram von Eschenbach will stimmlich sehr beeindruckend Tannhäuser  von der Rückkehr zu Frau Venus abhalten, aber vergeblich. In einem  letzten Bild sind Ober- und Unterwelt gleichzeitig sichtbar und Tannhäuser wird, fast gegen seinen Willen, der heidnischen, aber verständnisvollen Venus entrissen – sprich gerettet.  Ein Wagner-Gospelchor aus Nonnen im weißen Habit mit einem blutenden Jesuherz auf dem Latz verkündet die frohe Botschaft: Gottes Gnade hat den dürren Stab grünen lassen. Die kraftvoll-dynamischen Grazer Philharmoniker unter Dirk Kaftan machen aus diesem Tannhäuser mit seinen als metaphysische Fitnessgeräte vorgeführten Frauenfiguren einen überraschend spannenden Blockbuster, dessen musikalische Wucht in einem faszinierenden Kontrast zu den klaren Bildern und der Bühne von Elisabeth Pedross steht.
Noch am 5.10., 12.10., 16.10., 29.10., und am 14.11., 26.11. und 29.11.

Die „Odyssee“, eine freie Bearbeitung von Ad De Bont (nach Homer) ist eine Kooperation der Probebühne mit dem Institut für Schauspiel der Kunstuniversität Graz unter der Regie von Tanja Krone. Sebastian Weiss als Odysseus/Zeus ist gut besetzt, ebenso Mira Tscherne als Penelope. Katharina Klar als Hermes/Mentes bzw. Athene bietet originelle Miniaturen, wenn auch ein etwas hastiges Timing. Die Bühne und Kostüme von Margret Burneleit sind professionell, die geschickten Videoeinspielungen von Wanja Saatkamp angenehm locker. Probebühne einmal ohne große Kunstanstrengung, dafür aber unverkrampft.
Noch am 17.10., 28. 10. und am 3.11., 20.11., 24.11. und 27.11.

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