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Otto Beckmann: Vergessener Grenzgänger zwischen Vernunft und Magie
Dienstag, 7. Oktober 2008

Image „Lichtes und Dunkles sind in uns als Zweiheit“, schrieb der Polyartist, Techniker und Pionier der Computerkunst Otto Beckmann, „wir können beide nicht trennen, das eine oder das andere auslöschen, möglich ist nur, das proportionelle Verhältnis des einen zum anderen zu verschieben.“
Über lange Jahre hinweg fand der Grenzgänger zwischen technischer Rationalität und magischer Spiritualität kaum Beachtung; nun würdigt ihn eine hervorragende Ausstellung der Neuen Galerie Graz, gestaltet von Peter Peer und Peter Weibel.

Mechaniker, Dekorateur, Medaillenkünstler, Bildhauer, Ingenieur. 1908 als Sohn eines Offiziers der zaristischen Armee in Wladiwostok geboren  – seine Mutter stammte aus Wien – besuchte Otto Beckmann bis 1920 das Gymnasium im russischen Amon. Über Umwege fliehen er, seine Mutter und die Schwester vor dem Bürgerkrieg nach Wien, der Vater stirbt 1923 in Kiew. In Wien schließt Beckmann eine Mechanikerlehre ab und maturiert an der Abteilung für Holzindustrie der Höheren Technischen Gewerblichen Bundeslehranstalt Mödling. Bis 1939 absolviert er ein immenses Pensum an Lehrgängen und Ausbildungen: Als Assistent arbeitet er bei dem Bildhauer Josef Heu, er schließt einen Fachkurs für Schaufensterdekoration ab, ist Gastschüler an der Kunstgewerbeschule des Österreichischen Museums in der Fachklasse für Bildhauerei bei Michael Powolny; er belegt die akademische Meisterschule für Medaillenkunst, studiert Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste bei Albrecht Bechthold und Josef Müller. 1939 schließt er auch noch die Ausbildung zum Ingenieur für Holzindustrie an der Bundeslehranstalt Mödling ab.


Von der Metallbildhauerei zur Laser-Computerkunst. An der Staatlichen Kunstgewerbeschule in Krakau nimmt Beckmann 1941 einen Lehrauftrag in der Fachklasse für Metall an. Er wird Leiter der Abteilung für Metallbildhauerei, der Kunstschmiede, der Abteilung Email und der Versuchswerkstätte für Formgebung. 1944 aber wird die Kunstgewerbeschule geschlossen und Otto Beckmann zum Volkssturm eingezogen.
Mit Kriegsende 1945 kehrt er nach Wien zurück, wo er zunächst als freischaffender Künstler arbeitet und der Berufsvereinigung bildender Künstler Österreichs beitritt. Von 1950 bis 1961 lehrt er an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst und wird 1951 Mitglied der Wiener Secession. Zwischen 1952 und 1957 ist er mit Karl Kreutzberger, Walter Eckert und Grete Yppen in der Künstlergruppe Kleeblatt verbunden, die mehrere gemeinsame Ausstellungen durchführen. 1966 gründet er die Experimentalgruppe ars intermedia, deren Arbeiten zu Ausstellungen führen, die im Umfeld der österreichischen Kunst eigentlich einer Avantgarde gleichkommen: Otto Beckmann und Alfred Graßl. Elektronische Computerkunst und cinematrische Abläufe (Visual Research), Secession Wien 1969; Beiträge zur Computerkunst. Imaginäre Architektur, Plastiken, Grafik, Laser-Computerkunst, Klangabfolgen, Modern Art Galerie Wien 1971; Experimentalarbeitsgruppe ars intermedia. Werkbeiträge zur Computerkunst, Zentralsparkasse Wien 1971 und weitere Stationen bis 1974 in Hamburg, Klagenfurt und Warschau, 1975 an der Technischen Universität in Istanbul. Einzelausstellungen der Computerarbeiten, Plastiken und Fotografien von Otto Beckmann folgen ab 1976 in Graz, St. Pölten Karlovac, Srajevo, Zagreb, Maribor und etlichen weiteren Stationen. Neumagische Objekte zeigt Beckmann 1986. Dazu kommen zahlreiche Beteiligungen an internationalen Gruppenausstellungen wie Bit-International, 1969 in Zagreb.
Am 13. Februar 1997 stirbt Otto Beckmann in Wien.

Mit dem Computer auf der Suche nach den kosmischen Gesetzen.
Wohl am erstaunlichsten, schreibt Peter Weibel im Katalog zur Ausstellung in der Neuen Galerie, „ist Beckmanns frühe Akzentsetzung auf mathematische und geometrische Methoden und vor allem die Verwendung von Begriffen wie Algorithmus und ,Denkmaschine’ bereits um 1940“. Zu dieser Zeit entstanden beispielsweise Metallgefäße, die in ihrer Form errechneten rotationssymmetrischen Körpern entsprechen. Gleichermaßen aber, wie Otto Beckmann sich der Erforschung und Generierung von Kunst auf Basis der Mathematik und später mit Hilfe elektronischer Rechner verschrieben hatte, war für ihn ein metaphysisches Weltverständnis maßgebend, entsprechend dem er sich Zeit seines Lebens intensiv mit der Gnosis, dem Neuplatonismus und den Lehren der Pythagoreer auseinander setzte. Diese stellten dem kosmischen Prinzip der Unbegrenztheit jenes der Begrenztheit gegenüber; Sinnbild dafür war die Zahl, die nach der Lehre allen Dingen ihre Struktur verleiht. In diesem Sinn war Beckmann also kein „Apologet“ (Peter Peer) des ausschließlich Rationalen, vielmehr versuchte er mittels der Mathematik verborgene Strukturen hinter allem Sichtbaren zu finden und der Computer war für ihn nicht mehr als ein „evokatives Kunstinstrument“, mit dem er Gesetzmäßigkeiten des Kosmos zu ergründen versuchte. Wahrscheinlich, so könnte man schließen, stellte das Kunstwerk auch für Otto Beckmann eine Art Werkzeug als diskursives Zwischenprodukt dar, wie es unlängst Bazon Brock gegenüber dem Werk von Joseph Beuys beschrieb, das jeweils nur Teilergebnis eines sukzessiven Erkenntnisgewinns sein kann, vergleichbar der unendlichen Annährung durch Infinitesimalrechnung. Solche Einschätzung erscheint auch wahrscheinlicher, als Otto Beckmann sein gesamtes Werk durch theoretische (wie Marcel Duchamp), aber auch literarische und lyrische Texte begleitete, die, wie Peter Peer schreibt, „seine künstlerische Arbeit begründeten, jeden seiner Schritte gleichsam legitimierten“. Ein großer Teil dieser Schriften sind jetzt im Katalog publiziert.

Beckmann und Dopotopoff. Mit der fiktiven Figur des Duralei Durakowitsch Dopotopoff schuf sich Beckmann ein literarisches Alter Ego, dessen Biografie wie stellvertretend für die eigene Auseinandersetzung mit metaphysischen oder esoterischen Phänomenen, mit verschiedensten Formen von Magie und Schamanismus herangezogen wurde. Dopotopoff sei, wie er, in der Gegend von Amur in Sibirien geboren und hätte Kontakt zu Schamanen gehabt und vor allem eine „Sammlung urgusischer Kultgegenstände“ angelegt. „Lichtes und Dunkles sind in uns als Zweiheit“, schrieb Otto Beckmann, „wir können beide nicht trennen, das eine oder das andere auslöschen, möglich ist nur, das proportionelle Verhältnis des einen zum anderen zu verschieben.“ Phantastisches und Surreales beziehungsweise Anklänge an den Symbolismus finden sich in den frühen Arbeiten in Aquarellen, Holzschnitten und Email. In der ganzen Zeit seines Schaffens arbeitete er immer wieder vergleichbar den Surrealisten mit Fundgegenständen, die in seiner Bearbeitung zu Fetischen oder Gottheiten wurden. Kaltnadelradierungen um 1950 sind als Meditative Praktiken bezeichnet und zeigen geflügelte Fabelwesen im Verband mit maschinenartigen Elementen; sie scheinen bereits einen Weg zu weisen, der in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zu Objekten führt wie der Hochzeitsmaschine und der Tätowiermaschine, die wiederum auf literarischen Vorlagen von Peter Marginter und Franz Kafka basieren und gleichermaßen an so genannte Junggesellenmaschinen und deren Herkunft aus der phantastischen Literatur des späten 19. Jahrhunderts erinnern. Grafische Verfahren erfand er mit dem Zementdruck und der Pleytypie, die auf Collagen basiert, die Beckmann fotografisch und drucktechnisch weiter bearbeitete.

Pionier der Computerkunst. 1970/71 ließ sich Otto Beckmann von seinem Sohn Oskar, dem Nachrichtentechniker Alfred Graßl und Team einen Ateliercomputer konstruieren. Er arbeitete  an textgenerierenden Maschinen, computergestützten Filmen, kreativen Computerspielen, einer dichtenden Maus und Schrift-Algorithmen. Es entstanden die imaginären Architekturen in Überlagerungen von Fotografie und oszilloskopischen Figuren. Nachrichtentechnische Signale setzt er mit Graßl in cinematrischen Abläufen um, dazu schreibt er fortlaufend präzise programmatische Theorie wie Der Computer und die Einheit der Künste oder Der Bau von Kunstcomputer und die artifizielle Kreativität. Wie ein Extrakt seiner umfassenden Recherche zwischen religiösen Geheimlehren, Mythologie, Neumagie und mathematisch-rationalen Aspekten in Umsetzung durch neueste Technologie klingt ein Auszug aus einem Brief, den Otto Beckmann 1971 an Georg Muche schrieb: „Brauchbare Programme sind mantrischer Natur, Evokationen, Anrufungen, die aus funktionellen Blöcken bestehen.“
Peter Weibel schreibt im Katalog über Otto Beckmann: „Durch die Betonung einer Kunst als programmiertes Verfahren, einer Kunst als maschinell steuerbares Entwurfsverfahren und maschinell steuerbarer Kompositionstechniken war er Teil der digitalen Avantgarde der 1960er Jahre. Durch die gleichzeitige Betonung der magisch-mystischen Seite der Mathematik, die auch Berufsmathematikern von Rang nicht fremd ist, wurde er zum Häretiker innerhalb dieser Bewegung.“

Otto Beckmann. Zwischen Mystik und Kalkül ist bis zum 23. November in der Neuen Galerie Graz zu sehen.
Das Katalogbuch Otto Beckmann (1908 – 1997). Zwischen Mystik und Kalkül, herausgegeben von Peter Peer und Peter Weibel, ist im Verlag der Buchhandlung Walter König Köln erschienen (ISBN 978-3-86560-550-4).
Infos unter www.neuegalerie.at

Wenzel Mraček

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