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Flexibilität durch Sicherheit - oder Hartz IV für Österreich? |
Samstag, 10. November 2007 | |
Ein „Flexicurity" (Flexibilität durch Sicherheit)-Paket nennt Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein die Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz von 1977, die nach ihrer parlamentarischen Absegnung mit 1.1.2008 in Kraft treten soll. Als Hartz-IV-Verschnitt wird es von Arbeitsloseninitiativen bezeichnet. In der Tat hat das neue Gesetz etwas von beidem. Verbesserungen für die freien DienstnehmerInnen. Minister Bartenstein ist voll des Lobes über sein Kind, das er kürzlich durch den Ministerrat gebracht hat – und das unter anderem Verbesserungen für freie DienstnehmerInnen und Selbstständige enthält. „Hier ist – nicht zuletzt dank der konstruktiven Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und einer konsensorientierten Mitarbeit der SPÖ – ein Meilenstein gelebter Flexicurity und in der Umsetzung des Konzepts ,Gute Arbeit‘ gelungen", tönt der Ressortchef. In der Tat sollen in Hinkunft die „freien DienstnehmerInnen" in die Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentgeltversicherung einbezogen werden; ein Schritt, der weithin ungeteilte Zustimmung findet. Auch Selbstständige können – auf freiwilliger Basis – in die Arbeitslosenversicherung einzahlen und Ansprüche erwerben. Die Gleichstellung der freien DienstnehmerInnen, die insbesondere von der Gewerkschaft seit langem gefordert wird, um weiteres Dumping bei den Arbeitsverhältnissen zu verhindern, stößt besonders in ÖGB-Kreisen auf ungeteilte Zustimmung. „Das ist eine gute Lösung für die freien Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer", sagt ÖGB-Landesvorsitzender Horst Schachner: „Im Rahmen der ÖGB-Reform haben wir uns die Verbesserung der Situation der atypisch Beschäftigten zum Ziel gesetzt. Wir haben damit einen weiteren wichtigen Teilerfolg erreicht. Die arbeitsrechtliche Absicherung der freien DienstnehmerInnen muss der nächste Schritt sein."
Ein bisserl mehr Möglichkeiten für Weiterbildung. Eine bis jetzt bestehende, völlig unverständliche Hürde für Studierende, die neben ihrem Studium gearbeitet haben, soll nun endlich fallen: Bis jetzt war es zwar „erlaubt", neben dem Studium zu arbeiten (was die Mehrheit der Studierenden ohnehin gezwungen ist zu tun) – bloß: Um im Fall eines Jobverlustes Arbeitslosengeld zu beziehen, musste der/die Betroffene exmatrikulieren. Das soll nun der Vergangenheit angehören. Alle Fortbildungswilligen können nun schon nach einem Jahr Beschäftigung in auf Bildungskarenz gehen – immer vorausgesetzt, der Chef / die Chefin ist einverstanden. Und mehr Geld soll es dafür auch geben, nämlich in der Höhe des jeweils gebührenden Arbeitslosengeldes statt bisher 436,-- Euro. Ebenfalls neu: Auch Saisonniers dürfen die Bildungskarenz in Anspruch nehmen, wenn sie innerhalb der letzten vier Jahre beim selben Arbeitgeber mindestens 12 Monate gearbeitet haben.
Kinder kein Hindernis. Neben diesen unbestrittenen Verbesserungen stehen jedoch jene Teile der Novellierung, die von Bartenstein euphemistisch „Modernisierung der Zumutbarkeitsbestimmungen" genannt werden. Darunter verbergen sich einige Neuerungen, die vor allem bei Gewerkschaft, Arbeiterkammer und Arbeitslosenverbänden auf Ablehnung stoßen. So soll in Hinkunft die Mindestverfügbarkeit am Arbeitsmarkt, die zum Bezug der Arbeitslosenunterstützung berechtigt, auch im Fall von Betreuungspflichten gegenüber Kindern über 10 Jahren 20 und nicht wie bisher 16 Wochenstunden betragen. „Das ergibt sich einfach aus der Tatsache, dass am Arbeitsmarkt keine 16-Wochenstunden-Jobs angeboten werden, sehr wohl aber Halftime-Jobs mit 20 Wochenstunden", sagt der Chef des steirischen Arbeitsmarktservice, Mag. Karl Heinz Snobe. Anders urteilen ÖGB-Vizepräsidentin Roswitha Bachner und ÖGB-Sekretär Mag. Clemens Schneider in ihrer für den Gewerkschaftsbund verfassten Stellungnahme zur Novellierung: Sie berücksichtige „nicht ausreichend die Bedachtnahme auf das tatsächliche Vorhandensein von Betreuungsplätzen", heißt es darin. Und: „Offen bleibt auch, was die LeistungsbezieherInnen mit beaufsichtigungsbedürftigen Schulkindern tun sollen – etwa wenn diese behindert sind." Der ursprüngliche Entwurf der Novelle hatte überhaupt vorgesehen, Betreuungspflichtige mit Kindern ab sieben zu einer Verfügbarkeit von 20 Wochenstunden zu zwingen; dies sei angeblich damit begründet gewesen, dass Kinder mit sieben schulreif und damit von Gesetzes wegen auch in der Lage sein müssten, ihren Schulweg allein zu bewältigen und damit zusätzliche Aufwände wegfielen.
Jobs von Personaldienstleistern müssen angenommen werden. Eine weitere Bestimmung der Novelle, mit der sich die ArbeitnehmervertreterInnen nicht anfreunden können, ist die Sanktionierung von Arbeitsuchenden, wenn sie einen nicht vom AMS, sondern von einem vom Arbeitsmarktservice beauftragten Arbeitsvermittler angebotenen Job nicht annehmen. Der ÖGB sieht darin eine „schleichende Privatisierung" der Arbeitsvermittlung, weil ja nicht das AMS den Sachverhalt der Ablehnung feststelle, sondern der jeweilige Personalvermittler. Beim AMS begrüßt man hingegen die neue Regelung: „Bisher hatten wir keine Handhabe, wenn jemand sich von uns zwar zu einem Personalleasingunternehmen vermitteln ließ, dann aber die ihm von diesem Dienstleister zugewiesene Arbeit in einem Unternehmen nicht angetreten ist", sagt Snobe. Und: „Die Sanktionierung selbst wird immer noch im sozialpartnerschaftlich zusammengesetzten Ausschuss im AMS beschlossen, und das Arbeitsmarktservice stellt in jedem Fall auch eigene Recherchen an und begnügt sich nicht mit den Informationen des Dienstgebers." Allerdings, moniert etwa die steirische Arbeiterkammer, habe es bereits „einschlägige Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes" gegeben, „der diesen in den letzten Jahren auch in unserem Bundesland vom AMS beschrittenen Wegen Einhalt gebot."
Lange Wege sind zumutbar – auch bei Teilzeitarbeit. Ebenfalls auf Kritik bei ÖGB und AK stößt die Neuregelung der zumutbaren Wegzeiten. Die für einen Fulltimejob vorgesehenen zwei Stunden Wegzeit täglich werden zwar allgemein akzeptiert, nicht aber die Regelung, dass auch „wesentlich darüber liegende Wegzeiten" zu akzeptieren sind, wenn kein geeigneter Job in geringerer Entfernung angeboten wird. Die AK Steiermark fürchtet, schreiben AK-Präsident Walter Rotschädl und AK-Direktor Gernot Wolfsgruber in ihrer Stellungnahme sinngemäß, dass gerade in der als Pendlerbundesland charakterisierbaren Steiermark Wegzeitbeschränkungen damit kaum mehr durchsetzbar sein dürften. Moniert wird weiters, dass auch bei Teilzeitarbeit die Zumutbarkeitsgrenze nur dann unter die zwei Stunden Wegzeit täglich fallen soll, „wenn Aussicht darauf besteht, dass in kürzerer Entfernung ein geeigneter Arbeitsplatz gefunden werden kann." Bei kürzeren Beschäftigungsangeboten muss eine entsprechend verkürzte Wegzeit als zumutbar gelten, fordert der ÖGB.
Transitarbeitsplätze: Das Ende der Freiwilligkeit. Für besonderen Ärger bei den ArbeitnehmervertreterInnen sorgt schließlich eine Neuerung, mit der Arbeitslose die Zuweisung zu Transitarbeitsplätzen in sozialökonomischen Betrieben und bei gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaften nun ebenso akzeptieren müssen wie jeden anderen Job, widrigenfalls die Sperre des Arbeitslosengeldes droht. Bisher herrschte in diesem Bereich Freiwilligkeit. Beim ÖGB sieht man durch die Neuregelung auch den „pädagogischen Erfolg einer solchen Maßnahme in Frage gestellt", die Betreuung und Begleitung auf dem Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt erfordere „das sichere Umfeld der Freiwilligkeit um effektiv sein zu können." Bei der steirischen Arbeiterkammer wiederum fürchtet man eine Verwässerung der bisherigen Regelung, dass der Verweis an einen Arbeitsplatz an genau definierte Kriterien gebunden sein muss, unter anderem an eine kollektivrechtlich konforme Entlohnung – diese fehlt üblicherweise bei Transitarbeitsplätzen. Am Horizont allerdings sieht die AK noch größere Gefahren, da die rechtliche Definition von sozialökonomischen Betrieben sehr vage sei und die Gefahr „der Öffnung eines unbefriedigend weiten Ermessensspielraumes bestehe." Diese Ängste konkretisiert der Sprecher der steirischen Erwerbsloseninitiative AMSel, Mag. Wolfgang Schmidt: Die sozialökonomischen Betriebe könnten in Hinkunft zu Zwangsarbeitseinrichtungen mutieren, in denen Langzeitarbeitslose geparkt würden. Für Schmidt sind die von Bartenstein „Modernisierungen" genannten Verschärfungen jedenfalls „Fortsetzung einer schlecht beratenen Politik, die meint, dass man nur die Schrauben der Zumutbarkeitsbestimmungen etwas mehr anziehen muss, um die Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren". Empirisch gesehen brächten diese Verschlechterungen aber weder eine Verkürzung der Zeitspanne der Arbeitslosigkeit noch eine Verringerung der tatsächlichen Arbeitslosenzahlen, meint Schmidt: „Der einzige Effekt ist psychologisch: Die Betroffenen werden mehr drangsaliert denn je zuvor."
Christian Stenner
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