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„Der Wahlsieg der Hamas ist der größte Erfolg von Ariel Sharon“
Archiv - Eine Welt
Montag, 10. April 2006
Image Moshe Zuckermann: „Streichung der Gelder für die Autonomiebehörde wäre kontraproduktiv"

Am Rande der Veranstaltung „Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik" sprach Christian Stenner mit dem renommierten israelischen Soziologen und Kulturwissenschafter Moshe Zuckermann - und führte nach Bekanngabe der Ergebnisse der Wahl zur Knesseth noch ein kurzes Telefongespräch mit ihm.

Zuckermann wurde 1949 in Tel Aviv als Sohn von Auschwitzüberlebenden geboren, 1960 wanderten seine Eltern nach Deutschland aus, 1970 ging er nach Israel zurück. Er war Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv.

Herr Professor Zuckermann, wenn man die Diskussionen in Österreich und Deutschland – vor allem auf der Linken – analysiert, entsteht der Eindruck, es gibt keine Möglichkeit mehr für einen aufgeklärten Diskurs über das Nahost-Problem. Zwei extreme Positionen, eine „antiimperialistische" mit einer bedingungslosen Unterstützung arabischer und nun auch fundamentalistisch islamischer Positionen und eine „antideutsche" mit ihrer ebenso bedingungslosen Unterstützung Israels inklusive dessen Besatzungs- und Repressionspolitik prallen kompromisslos aufeinander. Warum kommt es gerade in Österreich und Deutschland zu diesen seltsamen Lagerbildungen, die beide einen großen Teil der Wirklichkeit ausblenden?
Ich meine, dass das mit linken Positionen wenig zu tun hat. Bei manchen so genannten Antizionisten schimmern durchaus antijüdische Positionen durch; bei jenen, die mit Israel solidarisch sind, bin ich nicht davon überzeugt, dass ihre Positionen überhaupt etwas mit Juden zu tun haben. Es geht den Vertretern dieser Standpunkte, meine ich, letztendlich gar nicht um wirkungsvolles Eintreten gegen den Antisemitismus, sondern nur darum, sich einem möglichen Antisemitismus-Vorwurf zu entziehen. Israel wird abstrahiert und zu einer Projektionsfläche deutscher Befindlichkeiten.
Der Kampf gegen den Antisemitismus und die Erinnerung an Ausch-witz sind zu einer Art Ersatzreligion geworden. Ich sage das mit Vorbedacht, weil der Antisemitismus überall dort, wo er wirklich auftritt, bedingungslos zu bekämpfen ist; und als Sohn von Auschwitz-Überlebenden stehe ich nicht im Verdacht ihn zu unterschätzen. Am Ursprung beider Positionen steht wahrscheinlich jener Impuls, den der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex so charakterisierte: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen". Bei den einen speist er Vorbehalte gegenüber Juden, die anderen bringt er dazu, um sich von jedem Verdacht reinzuwaschen, besonders juden- und mutatis mutandis besonders israelfreundlich zu sein.

Zur aktuellen Situation: Der Wahlsieg der Hamas spiegelt die Radikalisierung der Palästinenser wider – ist zu befürchten, dass unter dem Druck dieses Sieges die letzten Reste anti- und postzionistischer Positionen in der jüdischen Bevölkerung verschwinden, weil man sich einem Gegner gegenüber sieht, dem gegenüber versöhnliche Gesten sinnlos erscheinen?
Zunächst muss man verstehen, dass der Wahlsieg der Hamas den größten Erfolg von Ariel Sharon darstellt. Sharon wollte ja schon seit 1981/82, seit dem Libanon-Krieg, die säkulare Führung loswerden. Unabhängig davon, ob Arafat nun korrupt war oder nicht, er war ein säkularer Politiker, mit dem man ein Bündnis hätte schließen können. Sharon wollte, dass ein palästinensischer Staat, wenn ein solcher je entstehen sollte, in Jordanien beheimatet sei; deswegen hat er von Vorneherein versucht, das, was die PLO darstellte, nämlich die potenzielle säkulare Friedensfähigkeit, zu unterminieren. Schon in den 70ern hat die israelische Regierung die religiösen Elemente in der Westbank, die „Söhne des Dorfes", gegen die PLO unterstützt. Der Hamas hatte die längste Zeit nur 10 bis 15% der palästinensischen Wählerschaft hinter sich, dass er jetzt die absolute Mehrheit erringen konnte, hängt mit der totalen Verzweiflung der Palästinenser zusammen und natürlich auch mit der Korruption der PLO. Natürlich könnte es stimmen, dass durch die Radikalisierung der palästinensischen Bewegung die israelische Position sich ebenfalls radikalisiert. Das Wahlergebnis deutet aber auf die zweite Möglichkeit: Sharon hat ja nicht aus Palästinenserfreundlichkeit, sondern wegen der tickenden demografischen Zeitbombe den Auszug aus dem Gazastreifen getätigt und so einen objektiv dem Frieden dienlichen Schritt getan. So könnte auch aus der Kadima und der Arbeitspartei ein verhandlungsbereiter Block entstehen. Mit Hegel gesprochen: Es gibt einen Unterschied zwischen den subjektiven Intentionen und den realen historischer Möglichkeiten, die aus diesen Intentionen entstehen. Der Oslo-Prozess fällt ja auch in diese Kategorie.

Vorausgesetzt, die Hamas spielt mit …
Auch die Hamas hat nicht das letzte Wort gesprochen. Es ist eine Sache, eine Untergrundbewegung zu sein, und eine andere, als Regierungspartei zu agieren. Die Hamas muss jetzt drei, vier Millionen Menschen ein besseres Leben bieten, wenn ihm das nicht gelingt, wird er das Schicksal der PLO erleiden. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass auch die Hamas moderater werden wird; er wird allerdings nie das werden, was die PLO war, weil er religiöser Herkunft ist.

Halten Sie die anvisierte Streichung der EU-Gelder für die palästinensische Autonomiebehörde für sinnvoll?
Die Streichung der Gelder wäre kontraproduktiv, weil sie zu einer noch stärkeren Solidarisierung der Bevölkerung mit ihrer Regierung führen könnte – ähnlich wie es bei Saddam Hussein während des Boykotts des Iraks nach dem zweiten Golfkrieg von 1991 der Fall war.

Ihrer zuvor geäußerten Ansicht, dass der Abzug Sharons aus dem Gaza-Streifen die Bedingungen für den Frieden verbessert hat, wäre entgegenzuhalten, dass viele Beobachter meinen, er habe diesen Schritt nur deswegen gesetzt, um im Ausgleich die Westbank endgültig annektieren zu können und einen Palästinenserstaat zu verhindern.
In der „Haaretz" hat Sharon sogar explizit formuliert, er habe Gaza geopfert, um 50 Jahre Ruhe in der Westbank zu haben; das war die Intention, die Frage ist nur, ob sich das dann in der Realität so abspielt. Israel steht letztendlich vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Gibt man die besetzten Gebiete in der Westbank zurück, dann riskiert man damit einen innerisraelischen Bürgerkrieg – oder man hält die Westbank weiter besetzt, dann ist der zionistische Staat aufgrund der demografischen Entwicklung auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten. Wenn Juden aber zur Minorität im eigenen Staat werden, dann gibt es entweder einen Apartheidstaat oder einen binationalen Staat – wir haben dort ja schon den Keim einer binationalen Struktur.

Wenn Sie davon sprechen, dass die objektiven Bedingungen in Richtung einer friedlichen Lösung deuten – wie hoch sehen Sie die Chancen dafür wirklich?
Ohne jetzt apokalyptisch zu werden: Ich hoffe auf eine Friedenslösung, welche die Schaffung eines Palästinenserstaates beinhaltet, der dann vielleicht in eine föderative Struktur mit Israel eintritt, weil viele Probleme wie etwa das Wasserproblem nur gemeinsam gelöst werden können. Wenn das aber nicht klappt, schließe ich einen Flächenbrand nicht aus. Sollte jemand Israel in seiner Existenz bedrohen, dann hat er seinen eigenen Untergang damit festgeschrieben. Das könnte auch dazu führen, dass der gesamte Nahe Osten innerhalb von sechs Stunden in Schutt und Asche liegt.

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