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Der Einzelne und die vielen – zu einem Zyklus von Bernhard Hammer
Montag, 8. September 2008
Mit Unterstützung durch die kultur steiermark Service Gesellschaft stellt KORSO monatlich in der ARTBox steirische KünstlerInnen vor.

Ein gemeinsames Motiv liegt drei fotografischen Serien zugrunde, die Bernhard Hammer unter jeweils eigenem Titel zusammenfasst: Menschenmassen – vielleicht ein Urbild menschlichen Bewusstseins, wie es seit Jahrtausenden in Artefakten verschiedenster Kulturen dargestellt ist und zumeist das Machtverhältnis eines Einzelnen gegenüber einer anonymen (Menschen-) Menge veranschaulicht.

5000 Jahre – das kürzeste Buch der Könige. Ein frühestes, bekanntes Beispiel ist die Schminkpalette des ägyptischen Königs Narmer (Hai), datiert um 3000 v. Chr., die in symbolischer Form zeigt, wie der Pharao unzählige Feinde besiegt. Auf den Basreliefs der Palastanlagen in Persepolis huldigen Massen von Untertanen ihrem König Dareios oder werden zum Fundament seines Throns. Um die Liste der Beispiele hier abzukürzen, ein Sprung durch die Zeit: Auf Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht (1529) werden kämpfende Einzelfiguren in einer dynamischen Bewegung zu scheinbar fließendem Material. Auf dem Frontispiz zu Thomas Hobbes’ Leviathan (1651) bilden unzählige menschliche Körper den einen des Souveräns, der sich als Staat begreift. Revolutionsbilder der russischen Realisten, Maler der italienischen Futuristen nehmen das Motiv der Menschenmassen auf wie Eisenstein, Fritz Lang und schließlich Riefenstahl1 in ihren Filmen, natürlich Kurosawa und Jet Li in Hero. Allein eine Liste zum Thema ließe sich in Bilder über das Thema einschreiben. Frühe Grafiken von Alfred Kubin gehören dazu und, um zwei Vertreter der Gegenwartskunst zu nennen, die Cremaster-Filme von Matthew Barney und die Performances von Vanessa Beecroft.

Die Geschundenen, Die Disziplinierten und Die Suchenden. Gegenüber Vorangestelltem nähert sich Bernhard Hammer dem Motiv der Menschenmassen mit diesem Zyklus in drei Serien großformatiger Fotografien gewissermaßen unvoreingenommen. Andererseits könnte ihn das Thema über die Auseinandersetzung mit den Inszenierungen für zahlreiche seiner Bühnenbilder an Bühnen wie Burgtheater, Schauspielhaus, Akademietheater Wien, in München, Amsterdam, am Staatsschauspiel Dresden seit 1994 gefunden haben. Jetzt ist es also draußen: Bernhard Hammer darf man getrost einen der großen Bühnen-Bild-Erfinder im deutschsprachigen Raum nennen (www.bernhardhammer.at). Nach meinem Verständnis reichen Inszenierungen von Max Brandts Maschinist Hopkins (Neue Oper Wien 1996), Garten der Lüste. BSE nach Aldous Huxleys Schöne neue Welt (Volksbühne Berlin 2001) oder Gilgamesh (Akademietheater Wien 2002), für die Hammer das Bühnenbild entwarf, an Fragen um das Verhältnis von Individuum und Masse.
Ein Urbild menschlichen Bewusstseins also und in diesen Werkserien zunächst dargestellt durch unzählige kleine Menschenfiguren, wie sie zumeist im Modellbau verwendet werden. Bei allen angesichts dieser Konstellationen von Figuren zu assoziierenden Implikationen zwischen Individuum und Masse, die Bernhard Hammer gleichwohl durch seine Titel in bestimmte Richtungen möglicher Interpretationen lenkt, damit zugleich den Rahmen möglicher Assoziationen einschränkt, ist an den einzelnen Entwicklungen von Bild zu Bild vorrangig eine deutliche Tendenz der Auflösung konkreter Formen nachzuvollziehen. Die als Modell zuerst räumliche Anordnung, wie sie auch in den ersten Fotografien noch auszumachen ist, geht zunehmend in flächige Struktur über.
In Die Geschundenen sind unzählige Modellfiguren über eine Fläche verteilt. Durch das Anschneiden der Figuren am Bildrand wird zudem ein weit größeres Szenario suggeriert. Mit Pigment versetzte Flüssigkeit wird über das Arrangement geleitet und als Bild in verschiedenen Zuständen festgehalten. Zunehmend werden die Figuren so unkenntlich gemacht, es entsteht ein nahezu monochromes Bild, allein von Lichtreflexen strukturiert.
Die Disziplinierten: Die Figuren, nun aufrecht stehend, sind hier tatsächlich wie im Karree geordnet. Farbige Flüssigkeit bzw. Granulat wird über die Anordnung verteilt und wiederum in Zuständen fotografiert. Einige der Figuren fallen um, mehr oder weniger werden Bereiche der Anordnung vom Pigment bedeckt und es entsteht wiederum eine im Foto nur mehr als farblich strukturierte Fläche wahrzunehmende Situation.
Die Suchenden: Wie schon bei den Disziplinierten sind alle Figuren nach derselben Blickrichtung geordnet, hier aber in separierten Gruppen. Gegenüber den beiden anderen Tableaus sind noch am ehesten Individuen auszumachen, allerdings nur über ihre Position im Raum und nicht über körperliche oder Haltungsunterschiede. Aufgrund der Größe der Figuren und Totalansicht von Figurengruppen ist jedenfalls keine individuelle Physiognomie auszumachen. Gegenüber den ersten beiden Zyklen bleibt hier der Raumeindruck erhalten, der an eine dramatisierte Situation auf einer Bühne erinnert. Und ebenso scheint dem Szenario, verstärkt durch die Variationen in mehreren Fotografien, eine erzählte Handlung zugrunde zu liegen. Als bildeten die Figuren Gruppen, die einander über Zeitabschnitte begleiten oder versuchen, gemeinsam an ein Ziel zu gelangen, das dem Einzelnen vorerst unerreichbar bleibt. Betont wird dieser Eindruck durch gezielt eingesetzte Beleuchtung einzelner Areale im Bild.
Neben den Titeln der Fotoserien bietet Bernhard Hammer keine weiteren Interpretationsvorschläge an. Auffallend innerhalb des Zyklus allerdings ist die gegenläufige Tendenz vom räumlich gegenständlichen Bildaufbau, der eine Erzählung assoziieren lässt, zu flächiger Abstraktion und damit in eine Nähe zum monochromen Tafelbild.

„Konflikt zwischen dem Einzelnen und der Menge“
Bernhard Hammer hat sich mit dieser Arbeit einem zeitlos brisanten Thema angenommen und rührt damit auch an immer wieder aufgeworfene Fragen um die Relevanz von Kunst gegenüber dem gesellschaftspolitischem Alltag. Sollte die Kunst auch keinen direkten Einfluss auf wie immer geartete politische Situationen nehmen können (wahrscheinlich besser so), so ist sie allemal in der Lage zu paraphrasieren und RezipientInnen zu einem Überdenken der Lage zu animieren. Ein Zitat von Rolf Dieter Brinkmann (1940-1975) aus dem Jahr 1974, entnommen seinem autobiografischen Monolog in Westwärts 1&2, mag dies verdeutlichen:
„Sind sie nicht an dem, was mit Gesellschaft bezeichnet wird, an dem Fetischwort der Horde, die jede Abweichung von ihrem alltäglichen Ritual und ihrem einheitlichen Weltverständnis, das jeden Einzelnen rücksichtslos verfolgt und subtil bestraft, zerbrochen? … Immer ist da eine einzelne Person gewesen, und an ihr zeigt sich der Konflikt zwischen dem Einzelnen und der Menge, den zusammengetriebenen vielen, und dieser Konflikt hat sich mit zunehmender Durchtechnisierung verschärft. Kein Einzelner wird sich mit der verordneten Ohnmacht abfinden, es sei denn, er wird durchgeschlagen, keiner, dessen Selbstbewußtsein immer mitenthält, daß es sich bei vielen in jedem um einen Einzelnen handelt, vermag für die Zusammenfassung von vielen zu einem einzigen viel sprechen, hingegen die zusammengefaßten vielen haben den Terror des Allgemeingefühls, und meistens ist es völlig unwichtig, wohin dieses Allgemeingefühl bewegt ist. Aus der Ethnologie erfahre ich, daß immer die Gruppe das Ziel ist, das Überleben der Gruppe, wer abweicht wird aus der Gruppe ausgeschlossen, treibt hin am Rand. Heute kann man Horden, Gruppen, die in Aufnahmestudios zwischen den Geräten herumlungern, sehen, sie hängen an den Geräten, sitzen vor Monitoren, schalten die Bilder nach Wunsch der Gruppe, der Horde.“

Mit Eröffnung am 25. Oktober zeigt die Galerie artepari contemporary, Peter-Tunner-Straße 60, 8020 Graz, eine Ausstellung mit Arbeiten von Bernhard Hammer. www.artepari.com

Wenzel Mraček


1 Günther Anders hat 1940 Fritz Lang auf die „frappierende Ähnlichkeit“ von Sequenzen aus Metropolis und den Riefenstahl’schen der Nürnberger Parteitage angesprochen. Lang nickte nur stumm zur Antwort. Vgl. Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. II (1980-1986), S. 456. Weiters zum Thema: Ein Essayband von Siegfried Kracauer behandelt Das Ornament der Masse (1927); Elias Canetti, Masse und Macht (1960); Susan Sontag beschreibt 1977 (Über Fotografie) die Kritik in chinesischen Zeitungen zu Michelangelo Antonionis Chinadokumentation Chung Kuo, in der sich der Regisseur für Individuen interessiert, anstatt parteikonforme Masseninszenierungen zu zeigen. Unverzichtbar: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1951) und Michel Foucault: Überwachen und Strafen (1975).


Kurzbiografie

geboren 1961 in Stainz
Schlosserlehre
Tischlerlehre
Meisterschule für Raumgestaltung und Möbelentwurf, Ortweinschule Graz
Meisterklasse für Bühnengestaltung, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
Mitarbeit an verschiedenen Architekturprojekten
Bühnenbilder an führenden Theatern in Österreich, Deutschland, Schweiz und den Niederlanden

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