Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Freiheit! – Wovon sprichst du?
Montag, 7. Juli 2008
WoWagners Gartenlaube fortschrittlichen Schrifttums

Logbuch / Sommer 2008 Eintrag 0816 / Kämpfe gegen den Versuch an, zu hoffen, dass mich der Weihnachtswahnsinn, der vermutlich ab Ende September ausbricht, aus dem finanziellen Sommerloch rettet / Stand der Dinge: Geknechtet durch Sachzwänge und Ökonomie/Seufz!

Zeit für Tom Hodkinsons Buch „Die Kunst frei zu sein“. Schon der erste Satz auf dem Buchrücken verspricht Linderung: „Hör auf zu jammern“. Bevor ich mich aber mit guten Ratschlägen unter Druck setze und mich womöglich noch unfreier fühle als vorher, ein kurzes „Brainstorming“ über bereits erworbene Freiheiten (kann ich nur wärmstens empfehlen): Als Vegetarier bin ich frei von verrottenden Wiener-Schnitzeln und Würsteln in meinem Darmtrakt. Als Radfahrer bin ich frei von der ständigen Befürchtung, dass meine Parkzeit abgelaufen ist und das nächste Knöllchen an meiner Windschutzscheibe hängen könnte. Als Mobilphonophober bin ich frei von einer Art elektronischer Fußfessel und frei vom Zwang an jedem Ort und zu jeder Zeit  erreichbar zu sein oder gar ständig Stöpsel im Ohr tragen zu müssen. Dadurch bin ich natürlich nicht frei von nervigen Alltagsgeräuschen wie zum Beispiel den „Weisheiten“, die Leute in ihre Sender plärren oder lautstark flüstern. Das Getute, Gebrumme, Gequacke und Gemuhe der „originellen“ Klingeltöne hat mich auch in seinen Klauen. Stopp! Mir beginnen ja lauter Einschränkungen meiner Freiheit einzufallen. Zeit zu Hodgkinsons Buch zu kommen. Es listet verschiedene Elemente auf, aus denen die inneren äußeren Zwänge zusammengesetzt sind, die uns normieren, einengen und verkümmern lassen. Er belässt es aber nicht dabei, die Gefängniszellen zu beschreiben, in denen wir alle stecken, sondern er versucht durch persönliche und historische Beispiele gangbare Wege zu skizzieren, die in Richtung Freiheit führen. Am Ende jedes Kapitels wird die Essenz des Ganzen mehr oder weniger gelungen durch einen Appell ausgedrückt. Das Kapitel „Wirf deine Uhr weg“ (Vgl. S.92 ff.) dreht sich um folgenden Gedankengang: Ist „es nicht äußerst seltsam, dass ein Symbol der Sklaverei zugleich zu einem Statussymbol geworden ist? Das Tragen einer Uhr zeigt anderen, dass du dich an das moderne Industrietempo gefesselt hast.“ Den Ratschlag am Ende des Kapitels zu erraten, benötigt der aufmerksame Leser nicht viel Phantasie. Damit habe ich auch schon meine Einschätzung des Buches kundgetan. Es eignet sich gut als sonnenhitzetaugliche Reibefläche, um  den eigenen Begriff von Freiheit zu reflektieren. Das Buch ist locker geschrieben und provozierend und schräg genug, um nicht langweilig zu werden. Manchmal bläst schon in den Kapitelüberschriften der Geist der Freiheit in Sturmstärke. Ein Beispiel: Kapitel vier – „Pfeif auf die Karriere und all ihre leeren Versprechen.“ (Siehe 51 ff.) Hui! Bademeister, zieh die rote Fahne hoch!

Tom Hodgkinson, geboren 1968, hat englische Literatur studiert und unter anderem in einem Skateboardladen gearbeitet. Nach der Entlassung durch eine bekannte Boulevardzeitung hat er von Sozialhilfe gelebt und die Zeitschrift „The Idler“ gegründet. Seither gilt er in den englischen Medien als Experte für alles, was mit Müßiggang zu tun hat. Er lebt mit seiner Familie in Devon, England.  (Quelle: http://www.perlentaucher.de/autoren/17010.html) Sein Buch „Anleitung zum Müßiggang“war nicht nur mein Sommerbuch des Vorjahrs, sondern ist auch – verdienter Weise –  ein Bestseller.

Tom.Hodgkinson, Die Kunst, frei zu sein. Handbuch für ein schöneres Leben (Rogner & Bernhard), 382 S. 24,50 Euro [A]
Tom.Hodgkinson, Anleitung zum Müßiggang (Heyne) Paperback 9,20 Euro

Mag. Wolfgang Wagner, Jg. 1963, Germanist, Autor, Aktivist und Sozialpädagoge führt seit Juli 2006 den Buchladen „Wendepunkt“ in der Josefigasse 1, 8010 Graz, Tel/Fax 0316/ 76 52 44, WoWagner@gmx.at

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