„Entweder am 7. oder 9. Februar 1944 ging ich mit einem aus cirka 300
Häftlingen bestehenden Transport nach Leibnitz bei Graz, Südsteiermark,
ab. Dies war der erste Transport. Dieses Lager wurde auch Aflenz
genannt, und zwar deshalb, weil sich in der unmittelbaren Nähe des
Lagers die Ortschaft Aflenz befand.
Das Lager wurde auf einem Maisfeld erbaut und zwar zwischen den Ortschaften Ehrenhausen und Aflenz.“ Der, der dies hier schildert, ist der Wiener Robert Grissinger, der gemeinsam mit 200 weiteren KZ-Häftlingen am 9. Februar 1944 von Mauthausen nach Leibnitz überstellt wurde. Grissinger war wegen kommunistischer Betätigung im Rahmen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus bei der Post in Wien am 25. März 1943 verhaftet und im Juli 1943 von der Gestapo ins KZ Mauthausen überstellt worden. Dass in Aflenz bei Leibnitz 1944 ein Konzentrationslager errichtet wurde, hängt damit zusammen, dass die Steyr-Daimler-Puch-AG ihre Produktionsanlagen aus Graz-Thondorf vor Bombenangriffen zu schützen versuchte. Aus diesem Grund wurde Ende 1943 mit der Suche nach geeigneten Standorten begonnen. Als mit den Stollenanlagen im südlich von Graz gelegenen Römer-Kalksteinbruch die geeignete Stätte – Tarnname „Kalksteinwerke“ – gefunden worden war, wurden im Februar 1944 die ersten Häftlinge nach Aflenz überstellt, die das Lager – vier Unterkunftsbaracken, eine Küche, Wachtürme und zwei SS-Baracken – aufbauen mussten. Nach der Errichtung des Lagers wurden ab Mitte März 1944 für den Stollenbau rund 900 weitere KZ-Häftlinge – vor allem aus der Sowjetunion, Polen, Jugoslawien und dem Deutschen Reich – nach Aflenz überstellt. Einer davon war der damals zwanzigjährige Edmund Glazewski, der im März 1943 von Donawitz, wo er als Zwangsarbeiter bei den Martinsöfen gearbeitet hatte, wegen des Verdachts der Sabotage ins KZ Mauthausen überstellt worden war. In zwei Schichten zu je 12 Stunden wurden im alten Römersteinbruch, wie Glazewski schilderte, „im großen Tempo die bisher nicht geformten Gänge und Räume in eine Art Säle verwandelt.“ Die Arbeiten im Steinbruch waren von ständigen Misshandlungen und teilweise willkürlichen Erschießungen begleitet. Von den insgesamt rund 900 Häftlingen in Aflenz kamen dabei über zehn Prozent um. Nachdem die Stollenanlagen adaptiert worden waren, wurden über 1000 Werkzeugmaschinen der Steyr-Daimler-Puch-AG verlagert und in der Folge arbeiteten bis zu 2000 Personen dort – unter ihnen auch KZ-Häftlinge. Da offenbar ein weiterer Ausbau des Römersteinbruchs nicht möglich war, wurde nördlich von Graz, in Hinterberg bei Peggau, im August 1944 ein weiteres Konzentrationslager für die Auslagerung der Produktionsstätten von Steyr-Daimler-Puch-AG errichtet und ab Herbst 1944 300 Häftlinge dorthin überstellt. Als das Lager in Aflenz geräumt wurde, wurden am Ostermontag 1945 – wie ein im Lager Dienstverpflichteter 1946 aussagte – zirka 40 Mann, die den Weg bis ins KZ Ebensee nicht geschafft hätten, erschossen und in einem Massengrab westlich des Lagers bei einem Wald verscharrt. Weiters wurden auf dem Weg ins KZ Ebensee, der über das Gaberl und Hohentauern führte, vereinzelt immer wieder Häftlinge erschossen. In der Nähe von Voitsberg und Judenburg kam es zu Fluchtversuchen größerer Gruppen, die teilweise tödlich endeten, sodass von den 467 Häftlingen, die Aflenz Anfang April 1945 verlassen hatten, schließlich nur 407 in Ebensee ankamen.
Nach der Befreiung 1945 wurde für 14 Aflenzer KZ-Opfer am Ehrenhausener Friedhof eine Grabanlage errichtet, die 1976 aufgelöst wurde. Beim Eingang zum Stollen erinnert seit 1989 eine Tafel an den Terror im Aflenzer Konzentrationslager. Im einstimmigen Beschluss des Gemeinderates dazu heißt es: „Viele jüngere Gemeindebewohner wissen sicher nicht, dass sich in der Zeit vom 7. Februar 1944 bis zum 2. April 1945 in Aflenz ein Konzentrationslager als Arbeitslager des berüchtigten KZ Mauthausen befunden hatte. In dieser kurzen Zeit sind in Aflenz zwischen 350 und 400 Menschen umgekommen, sind erschlagen, erschossen worden oder einfach an Erschöpfung verstorben.“ Nur ein Jahr später wurde 1990 – nicht ohne Konflikte – am Bahnhofsvorplatz in Leibnitz von der Gewerkschaftsjugend Leibnitz ein Mahnmal für das KZ-Nebenlager errichtet.
Fast 20 Jahre danach kommt es jetzt zu einer neuen Zeichensetzung. Das Institut für Kunst im öffentlichen Raum hat die KünstlerInnen FA+, Sanja Ivekovic und Danica Dakic, Helmut und Johanna Kandl, Beate Passow und Oliver Ressler zu einem Wettbewerb für ein „Zeichen mit Interaktionscharakter in Erinnerung an die Ermordeten und Toten in Aflenz bei Leibnitz“ geladen. Das von Univ. Prof. Dr. Werner Fenz geleitete Institut will – wie es in der Auslobung heißt – „die Statik von Zeichen der Erinnerung aufbrechen. Wir sehen die Aufgabenstellung im Gegensatz zu den großen nationalen und repräsentativen Denkmalanlagen. Hier sollen unter der Oberfläche der Erscheinung eines Objektes, in welcher Form auch immer, funktionierende Mechanismen entwickelt werden, die das Gedenken von seiner nur nach außen hin wirksamen Pflichtschuld befreien [...]“ Am 23. Juni wurden die Ergebnisse des Wettbewerbs präsentiert. Die Gewinner des Wettbewerbs, Helmut und Johanna Kandl, nutzen für ihr Zeichen eines der letzten sichtbaren Zeugnisse des Lagers, die Ruine des Wächterhauses. Diese Ruine soll gesichert und mit einem Leuchtschriftzug „WÄCHTERHAUS“ versehen werden, der neugierig machen soll. In der Ruine soll neben einer Infotafel über das Lager ein Infoscreen „aktuelle Menschenrechtsverletzungen, Missstände und problematische gesellschaftliche Verhältnisse“ thematisieren. Während Helmut und Johanna Kandl mit ihrem Zeichen primär auf die aktuelle Situation hinweisen und nicht Vergangenes vor Ort thematisieren wollen, versucht Oliver Ressler gerade dies mit seinem dem Mahnmalcharakter nahe kommenden Entwurf. Neben einem in gleichseitiger Dreiecksform gehaltenen Zeichen am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers will er ein solches auch am Ort des ehemaligen Nutznießers der Zwangsarbeit in Aflenz, der Steyr-Daimler-Puch-AG, setzen und somit sichtbar machen, was dahinter steht. Das Wissen über Terror, Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung usw. ist eines, es auch zu benennen ein anderes.
Das Theater ASOU hat unter dem Titel „Spuren der Erinnerung“ ein Denkmal der anderen Art gesetzt, einer Gruppe von Menschen ein Erleben auf sehr individuelle Weise möglich gemacht. Ausgehend von den Erfahrungen aus den Aufführungsserien mit dem Theaterstück „Speaking Stones“ in den Jahren 2003 und 2004 im Römersteinbruch entstand der Wunsch, diese Impressionen weiterzutragen. 2007 wurden Gespräche mit Zeitzeugen geführt, um persönliche Spuren der Erinnerungen des Ortes vor allem während und nach der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu sammeln und aufzuzeichnen. Zehn Tage lang – von 5. bis 14. Juni 2008 – trafen KünstlerInnen aus Österreich, Irland und Kanada mit ihren Ideen zu einem Austausch mit dem Ort, den Menschen und den Erinnerungen in Wagna zusammen. Daraus entstanden kleine performative Ereignisse, Szenen im den beklemmenden Hallen des Steinbruchs, die jedes Pathos entbehrten, Gesten der Versöhnung setzen und Spuren der Erinnerung im Herzen des Publikums hinterließen – ganz nach der lateinische Bedeutung des Wortes erinnern: re-cordis, wieder durch das Herz leiten.
Heimo Halbreiner, Katharina Dilena, Wenzel Mracek
» 3 Kommentare
1"Steyer Daimler Puch AG" am Mittwoch, 28. Januar 2009 10:32
War vor kurzem das erste mal in dieser Römerhöhle, vollkommen aus anderem Grund, vom betreten bis zum verlassen schauderte es mich durchgehend. Was hier passiert ist drückt schwer auf die Aura dieser Räume. Der Witz drann: Wußte nicht wo ich bin, fühlte aber die Bedrohung und äußerte auch vor Kollegen den Verdacht. Traf dann auch jemand der noch wußte, dass die Nazis hier "Flugzeuge" bauten. Niemand wußte allerdings genau welche, und von welcher Firma. Nicht einmal die einheimischen Leibnitzer konnten hier Auskunft geben. Mein Verdacht: Möglicherweise wurden hier die V-Waffen Entwicklung voran getrieben. Dies wäre immerhin die größte Massenvernichtungswaffe des NS Regimes gewesen. Keine schöne Vergangenheit von Puch...
2"Reg. Rat" am Freitag, 13. Februar 2009 18:10
Das nicht fertiggestellte Wächterhaus in Aflenz sollte eine Provisorium ersetzen, das rund 30 Meter nördlich, vor der \\\"Ecce homo\\\" Statue befand. Dort kontrollierte die SS die Ausweise jener Personen, die berechtigt waren, den Ort zu betreten. Wenn wir die Ruine heute noch antreffen, dann verdanken wir das dem bereits verstorbenen Grundbesitzer, der, wie er mir erzählte, sich vehement gegen die Beseitigung dieses NS-Reliktes wehrte. Mit freundlichen Grüßen! Friedrich Klementschitz
3"Antworten suchender" am Mittwoch, 8. Juli 2009 08:22
Keine schöne Vergangenheit von Puch..... Ist der Antwort suchende auch eine Person mit der man sprechen kann. Was kann bei schwer drückender Aura noch Witz sein? Es wurden weder Flugzeuge noch andere Fahrzeuge hergestellt. Wie viele Einheimische gibt es, die konkret über die Aussenstelle des KZ Mauthausen bescheid wussten? Bin im Gemeindeamt Wagna zu erreichen und kann Kontakte zu antwortenden herst4ellen!
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