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Wo der „Falter“ irrt: Emmerich Millim und der hilflose Antinazismus
Samstag, 5. Juli 2008
Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde

An dieser Stelle hätte eine ganz andere Geschichte begonnen. Wäre mir nicht der „Falter“ in die Quere gekommen. Und die Ausstellung des Werks eines Ennstaler Landschaftsmalers im Museum Schloß Trautenfels. Im April dieses Jahres eröffnet, von ORF, Kleiner Zeitung und lokalen Medien unbeschwert beworben: „Spiegelbilder“ – eine Werkschau des bildenden Künstlers Emmerich Millim (1909-1971).

Im April wies Herwig G.Höller im „Falter“ zu Recht darauf hin, dass die Ausstellungsmacher Millims Beziehung zum Nationalsozialismus unverständlicherweise und sträflich bagatellisierten. Aber schon in diesem ersten antinazistischen Einspruch gibt es Unschärfen, weil sich der Kritiker nur am Rande mit dem befasst, was an bildnerischen Werken ausgestellt ist. Und welche „Botschaft“ der Künstler einerseits und die Ausstellungsmacher andererseits damit der Öffentlichkeit damals und heute übermitteln. Stattdessen wird insbesondere Millims in schriftlicher Form bis 1945 belegter unbeirrter Nationalsozialismus in den Mittelpunkt gerückt. Und manche bildnerischen Werke dafür als Anschauungsmaterial erwähnt. So ist etwa von einem Bild „Arbeitslager in Admont, 1. Hälfte der 1940-er Jahre“ die Rede, das als besonders kritikwürdig hervorgehoben wird. „Weitere Erklärungen dazu fehlen“, moniert Höller. Und: „Das augenscheinlich sehr ordentliche ‚Arbeitslager’ findet sich bezeichnenderweise auch nicht im Katalog“.  Tatsächlich handelt es sich nicht um ein „Arbeitslager“, sondern um das „Gebirgsjägerlager in Admont“, das Lager eines Wehrmachtsregiments, dessen drittes Bataillion jener Klinke kommandierte, von dem in meinem April-Beitrag im KORSO die Rede war. So weit, so nebensächlich. Da aber über die Bilder wenig Brauchbares erzählt wird, sollte ein provokanter Schlusssatz im Falter die Bombe zünden: „Marschiert im Ennstal gar noch immer die SA?“

Diesem starken Tobak folgten einige Konsequenzen. Ein paar krasse Millim-Zitate, die seine ideologische NS-Fixiertheit belegen, kamen in der Ausstellung dazu. Und vor allem: Die in Graz bereits im „Büro der Erinnerungen“ gezeigte interessante Ausstellung „Graz 1938“ wurde auf Druck des Kulturlandesrats flugs nach Trautenfels transferiert. Aber wie! – In ein Kammerl einen Stock unter die Millim-Schau. Mit dem ganz offensichtlichen Beigeschmack des Alibis.

Dabei ist alles viel banaler. Millim war zeit seines Lebens ein Produzent der Idylle. Idyllisch sind nicht nur all seine Landschaften, idyllisch liegt auch das Wehrmachtslager in der herrlichen Gegend. Und voller „idyllischer Schönheit“ sind auch die vielen Landschaftsbilder aus Norwegen, Finnland, Estland und anderen Ländern, die Millim als überzeugter Soldat des Großdeutschen Reiches ab 1940 als Okkupant durchquerte. Und wo er Aquarelle, Zeichnungen, Drucke usw. auf meines Erachtens beachtlichem technischen Niveau herstellte. Sie stehen in teilweise starkem Kontrast zu seinen in der Ausstellung an manchen Stellen wiedergegebenen Tagebucheintragungen. Wie: „Das große Sterben in der Front, das ist schauerlich … Fleischspritzer, Körperteile, zerfleischte Köpfe, verzehrte Köpfe ohne Rumpf, Pferde, Menschen. Der Schnee rot von Blut, darüber hetzen oder rollen die Gespanne …
In der Feldküche zu unserem Zelt stolperte ich des Öfteren über einen toten Russen, daneben isst man mit Hunger und schläft seelenruhig.“ (24.3.1942) – Nichts davon, rein gar nichts, findet in den Bildern seinen Widerhall. Oder doch. Die Idylle ist der Rückzug aus dem Grauen. Bisweilen auch seine Verschleierung. Und manchmal wohl auch das Überlebensmittel. – Das wäre übrigens nähere Ausführungen wert gewesen: Warum lockt, warum reizt diese Idylle? Viele Menschen auch heute noch. Wie funktioniert ihre Instrumentalisierung? – Davon wird bei Höller leider ebenso wenig berichtet wie in der Ausstellung. Dabei könnten gerade davon auch heutige Betrachter profitieren. Die dann ins Gästebuch Bemerkungen eintragen wie: „Hat uns gefallen“, „hat Heimatgefühle geweckt“, der Künstler habe „die schöne Ennstaler Region verinnerlicht und weitergegeben“; „eindrucksvolle und berührende Ausstellung“; oder: „Ein Anreiz dafür, wieder mit dem Malen zu beginnen“.

Millims im Tagebuch erwähnter „toter Russe“ kommt vor – als unfertige Skizze im „Skizzen- und Notizbuch“. Zu mehr war der Künstler offenbar weder imstande, noch wollte er dies aus ideologischen Gründen herstellen. Dafür große Kohlezeichnungen vom heroischen „Kradmelder“ und vom pflichtgetreuen „Meldegänger“ im hohen Norden des kurzzeitigen NS-Imperiums. Aber das sind eher Ausnahmen. Die Darstellung von Menschen ist nicht Millims Passion. Überhaupt bleibt das Lebendige und Widersprüchliche im Hintergrund oder verschwunden. Sein Fehlen ist besonders dort auffällig, wo die Idylle die unmenschliche Wirklichkeit besonders augenfällig zudeckt. Bei den Werken mit Kriegshintergrund. Allerdings – und das ist ein Aspekt, der den „Falter“-Kritiker ebenso wenig wie die Ausstellungsmacher zu interessieren scheint – diese Methode des unwirklichen Realismus Millims findet mit dem Nationalsozialismus kein Ende. Im Gegenteil: In den 50-er Jahren setzt er zum Beispiel im Auftrag des Stifts Admont die Idyllenpropaganda fort. Fast dreißig Kirchen der Region finden sich da malerisch eingebettet in Ortskerne, deren Leblosigkeit offenbar niemanden irritiert. Und für Altenmarkt, Nachbarort seiner Heimatgemeinde St. Gallen, fertigt er ebenfalls in den 50er Jahren Entwürfe „für ein Sgraffito am Amtshaus“  an, wovon zwei ausgestellt sind. Zwar scheinen sie formal etwas aus dem Rahmen zu fallen, weil Anleihen beim sozialdemokratisch inspirierten Nachkriegs-Arbeitsrealismus durchklingen. Und weil als „Landschaft“ plötzlich ein Wasserkraftwerk erscheint. Aber die widerspruchsfreie Leblosigkeit bleibt.

„Eine braune Geschichte“ wird Ende Mai eine Folgegeschichte im „Falter“ übertitelt. Und „deckt auf“. Hauptsächlich Geschichten über die kulturelle Dominanz von Nazianhängern in der Region nach 1945, illustriert im Speziellen am Beispiel des Trautenfelser Museumsgründers Karl Haiding. Aber schade bleibt, dass Höller diese Geschichte quasi als Verschwörung der „Ewiggestrigen“ erzählt, statt zumindest auch das Interesse auf die an die Schaltstellen der Macht gelangten Nachfolger der Nazis zu lenken. Da werden dann beispielsweise unvermittelt die Namen zweier nationalsozialistischer Lehrer am Stainacher Nachkriegsgymnasium genannt – als ob nicht die Schulen der ganzen Steiermark damals und an manchen Orten bis Mitte der 70-er Jahre voll gewesen wären von unbeirrbaren oder angeblich „geläuterten“ Nationalsozialisten. Oder da wird von Volkstanzkursen im Schloß berichtet, die neben dem einschlägig aufgefallenen Erwin Patzelt von der „Familie Härtel“ betrieben wurden. Nebensatz: „die in der steirischen Volksmusik nach wie vor eine wichtige Rolle spielt“. - Man greift sich an den Kopf. Und erinnert sich vielleicht an die kurze Geschichte, die KORSO-Chef Christian Stenner in der Jubiläumsnummer „10 Jahre KORSO“ voriges Jahr erzählte. Als im Zuge der KORSO-Gründung „eine in Kulturkreisen einflussreiche Persönlichkeit aus dem konfessionellen Bereich“ Stenner fragte: „Wer waren eigentlich ihre Eltern? – Sie müssen ja keine Antwort geben, aber ich denke eben in Netzwerken.“ – Denkt man beim „Falter“ auch so? Und betreibt unter dem Vorwand des Antinazismus das, was gerade das NS-Regime wie kaum ein anderes beherrschte: Sippenhaftung? Und das zu einem Zeitpunkt, an dem der kürzlich von der Leitung des Steirischen Volksliedwerkes zurückgetretene Hermann Härtel wegen alles anderem als Nähe zum Nationalsozialismus seitens der Verantwortlichen der Landesregierung ausgebootet wurde (siehe KORSO April 2008).

Zum Schluss ist noch von einer besonderen Dummheit zu berichten, die nun an den Beginn der wie erwähnt beachtlichen Ausstellung „Graz 1938“ im Schloß Trautenfels gestellt wurde. In offensichtlichem Bezug auf die Auseinandersetzung um den Maler einen Stock höher. Joseph Roth wird zitiert. „Kapuzinergruft“. Und zwar so (vollständiges Zitat): Freilich sind es die Slowenen, die polnischen und ruthenischen Galizianer, die Kaftanjuden aus Boryslaw, die Pferdehändler aus der Bacska, die Moslems aus Sarajewo, die Maronibrater aus Mostar, die „Gott erhalte“ singen. Aber die deutschen Studenten aus Brünn und Eger, die Zahnärzte, Apotheker, Friseurgehilfen, Kunstfotographen aus Linz, Graz, Knittelfeld, die Kröpfe aus den Alpenländern, sie alle singen „Die Wacht am Rhein“. Das Wesen Österreichs ist nicht Zentrum, sondern Peripherie. Österreich ist nicht in den Alpen zu finden. Gemsen gibt es dort und Enzian, aber kaum eine Ahnung von einem Doppeladler.

Kein Kommentar folgt diesem Zitat. Hier daher meiner: Den „Doppeladler“ gibt’s seit inzwischen neunzig Jahren nicht mehr. Joseph Roth hat ihm – mit manchem Recht – nachgeweint. Das sollten wir heute, auch im Hinblick auf den Nationalsozialismus, nicht mehr tun. So wenig wie die Kaiserhymne singen. Und wenn das „Wesen Österreichs“ heute in den österreichischen Alpen nicht spürbar wäre, wäre das Land dem Untergang geweiht – oder von der Bildfläche verschwunden. Wer heute die Nazis und Reaktionäre in den Alpenregionen des Landes damit zu bekämpfen glaubt, dass er seine Bewohner quasi unter Generalverdacht stellt, hilft bei der Vorbereitung der nächsten Katastrophe. Im Gästebuch der Millim-Ausstellung kann man übrigens auch lesen: Schade, dass er aus „seinem Tal“ nicht herauskam. Sich vom Alten nicht trennen und für das Neue nicht bereit sein konnte. Oder: Erstaunliche Unterschiede! Entsetzliches und Beachtenswertes.

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