Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Von Grimming, Idylle und Obrigkeit
Sonntag, 8. Juni 2008
Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde

Der Schriftsteller und bedeutendste österreichische Architekturhistoriker Friedrich Achleitner sprach einmal davon, „dass kein Zustand des Grimmings mit einem anderen identisch sei, so dass sich zuletzt überhaupt die Frage erhebt, ob es den Grimming an sich überhaupt gibt?“

Und der heute 78-Jährige sinnierte vor fünfzehn Jahren weiter – in seiner legendären Schrift über die von ihm so bezeichneten „Plotteggs“ (die damals aufkommenden eiförmigen, in weißes Plastik eingeschweißten Heuballen): „Ab welcher Menge verändert sich ein Gebirgsmassiv wie der Grimming wirklich? Ist es, wenn ein Tourist einen faustgroßen Stein lostritt, schon eine Veränderung? Da müssen sich unsere Experten noch ein wenig die Birnen weichdenken.“ – War es Zufall, dass Achleitner gerade den Grimming fast synonym für den Berg schlechthin heranzog? – Für Kenner des steirischen Ennstales lag Achleitner damit goldrichtig. Wie wenige andere Berge Österreichs prägt er weithin sichtbar einen großen Lebens- und Kulturraum, in diesem Fall des mittleren Ennstales der Obersteiermark und des steirischen Salzkammerguts. Bis ins 17. Jahrhundert galt er, der sich fast 1700 Meter vom Talboden der Enns bis zum Gipfel erhebt, als höchster Berg der Steiermark.

Kein Wunder also, dass sich seit der Besiedlung dieses Raumes unzählige Legenden, Berggeschichten und mystische Sagen rund um diesen östlichsten Gebirgsstock des Dachsteinmassivs ranken. Ist doch die Besiedlung dieses Gebietes wie überhaupt des Alpenraumes seit jeher wesentlich mit jenen Schätzen verbunden, die im Inneren der Berge verborgen sind: Salz und Erze. Was Wunder, dass das Geheimnis dieser Berge immer schon Gegenstand der alpenländischen Literatur war. Allerdings nicht in jener peinlichen und abgeschmackten Weise, in der die Grazer Autorin Monika Wogrolly bisweilen darüber zu schreiben pflegt. Sie scheint zu meinen, man müsse nur einige Mitglieder der schreibenden Zunft mit der Gondel auf den Dachstein karren („Dachstein Cult“), und schon springe Literatur dabei heraus. Und sei es nur eine Geschichte über den „Gondelführer Karl“ und die Nymphomanin. Mit der man vor zwei, drei Jahrzehnten vielleicht in der Soft-Porno-Illustrierten Praline hätte Furore machen können.

Da ist Paula Grogger, die Öblarner „Heimatdichterin“, wie sie häufig genannt wird, ein anderes Kalliber. In den steirischen Volks- und Hauptschulen wird sie je nach Lehrergeschmack als große steirische Dichterin erwähnt, manche Schulausflüge setzen sich ihr als Museum dienendes Heimathaus in Öblarn zum Ziel, und wer in Graz als Landeshauptmann von seinem Arbeitsplatz in den Burghof zum Luftschnappen geht, kommt nach wenigen Schritten an einer Grogger-Büste vorbei („Steirische Ehrengalerie“). Und ihr bekanntestes und erfolgreichstes Werk, „Das Grimmingtor“ (1926), das eine der vielen Grimming-Sagen als Rahmen nutzt, ist noch immer im hiesigen Buchhandel erhältlich. Hinzu kommt, dass die Gemeinde Öblarn alle fünf Jahre, letztmalig 2007, den im Ennstal kurzen Sommer über Groggers Stück „Die Hochzeit“ aufführt, zweifellos ein in seiner Art beeindruckendes Dorfschauspiel mit 300 (dreihundert!) örtlichen Laiendarstellern, mit dem Marktplatz als Bühne und dem wuchtigen Gebirgsmassiv des Grimmings als Hintergrund. Mag das Spiel heute auch als touristischer Anziehungspunkt gedacht sein, zur banalen Event-Vermarktung ist es ungeeignet. Was macht es heute noch brauchbar für diese Gemeinde? Was nötigt dem hiesigen Establishment daran nach wie vor Respekt ab? Warum wird es gefördert? – Dass  Grogger sich seinerzeit von den Austrofaschisten hofieren ließ und im „Bekenntnisbuch deutsch-österreichischer Schriftsteller“ 1938 ihre Sympathien für den „Anschluss“ bekundete, konnte ihr nach dem Krieg naturgemäß nicht schaden. – Ein wesentlicher Grund für ihre teilweise noch anhaltende Verwendbarkeit scheint darin zu liegen, dass es der „Steirische Nationalheilige“ Erzherzog Johann ist, der im Mittelpunkt der „Hochzeit“ steht, jener untypische Habsburger, an dem man in der Steiermark nicht vorbeikommt, wenn man sich mit der Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt. Joanneum, Technische Universität, Steiermärkisches Landesarchiv, Montanuniversität Leoben, Grazer Wechselseitige Versicherung und so weiter – nahezu alles, was den bürgerlichen und industriellen Aufbruch des Landes betrifft, ist mit diesem Habsburgerprinzen verbunden. Im Gegensatz zu fast allen anderen europäischen Ländern, die als bürgerliche Helden in der Regel Revolutionäre, keine Adeligen verehren. Und diese Figur hat zu alledem noch den Vorzug, ob der Liebesgeschichte und Heirat mit der Ausseer Postmeisterstochter Plochl seit fast zwei Jahrhunderten auch noch Stoff für populäre und/oder kitschige Schmachtfetzen zu liefern: Thronfolgeverzicht statt Liebesverzicht. Ein volksnaher, fortschrittlicher, bürgerlicher Prinz also, zugleich Heilsbringer von oben. Der gute Mächtige. Die gütige Obrigkeit, der die Untertanen allerhöchsten Respekt zollen:

Wann all asooo warn, gabert’s wenig
Unzfriedene Flüach und finstre Gsichter.
An solchern is ma liaber untertänig.


So Grogger in der „Hochzeit“. Und schon im ersten Bild heißt es dementsprechend:

Die Obrigkeit gibt uns das Brot zum Leben.
Ist sie uns böse oder gut gewillt,
Wir seynd in jeder Hinsicht untergeben.
Wie traurig wär es, ihre hohe Gunst
Durch Übermut und Scherze zu verlieren.


Der dies verkündet, ist nicht etwa eine fragwürdige Gestalt des Stücks, sondern der Schulmeister, den die Lehrerin Grogger nicht ohne Sympathie zeichnet. Nein, Grogger „zeichnet“ nicht. Sie bildet ab. Die Personen des Stücks leben nicht. Sie sind. Jeder in seiner Rolle, jede an ihrem angestammten Platz. Daher gibt es auch keine widersprüchlichen Figuren. Und heraus kommt dabei das Trugbild einer dörflichen Idylle, die keinerlei wirkliche Reibungsflächen kennt. So wird die heile Welt „im Kleinen“ vorgeführt gegenüber den Abgründen und Katastrophen des Lebens „draußen“, in den großen Städten. Alles ist statisch, schicksalshaft. Und alles Menschliche ist dem Wesen nach unveränderlich, allenfalls bringt der Kreislauf der Natur noch Bewegung in das Vorgegebene. So trifft auch auf die „Hochzeit“ zu, was Robert Musil über Groggers „Grimmingtor“ ironisch diagnostizierte: „Was der Vollmensch tut, ist gut. Intellekt ist Mangel an Natur.“ Groggers gesamtes Werk zeugt von dieser Hinwendung zur angeblichen dörflich-natürlichen Idylle. Sie lag damit voll im Trend der zu Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere in der Literatur aufkommenden so genannten Heimatkunstbewegung. Deren Ausläufer und Wurmfortsätze heute noch in manchen angeblich „heimatverbundenen“, konservativen oder rechtsextremen, jedenfalls immer „volksdümmlichen“  Publikationen entdeckt werden können. Und in der „Hochzeit“ kann man sogar mit wenig Phantasie Anklänge an heutige Wahlkampfparolen entdecken:

Bleibts na bei uns. Ös werdts es dankbar preisen.
Da gschiacht oan nix, man is dahoam!


Groggers Plädoyer für den guten Herrscher im Sinne Johanns und die Schicksalshaftigkeit der sozialen Rollen wurde unter anderem von einem ihrer Zeitgenossen heftig widersprochen:

Ach, wir hatten viele Herren
Hatten Tiger und Hyänen
Hatten Adler, hatten Schweine
Doch wir nährten den und jenen.
Ob sie besser waren oder schlimmer:
Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer
Und uns trat er. Ihr versteht: Ich meine
Dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine!


Bertolt Brecht  musste den Schlussmonolog des Prinzen Johann nicht kennen, der mit folgenden Versen endet:

Wir alle müssen, an die Pflicht geschmiedet,
Gehorsam tun, was Gottes Ruf gebietet,
Im engen Kreis, im weiten Schöpfungsplan:
Wie das Gestirn und das Gevölk der Bienen,
Wie Sand und Tropfen in der Meeresflut …
Und der, auf dessen Haupt die Krone ruht …
So ist mir stets als höchstes Ziel erschienen,
Mit meinem deutschen Fürstenblut
Für Gott und Vaterland zu dienen!


Grauslig, oder? Qualifiziert die Autorin jedenfalls für die „Steirische Ehrengalerie“. – Gottseidank gibt’s Gegenlieder. Wie das oben zitierte Brechts vom Wasserrad. In dem es am Ende heißt:

Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter
Und das heitre Spiel, es unterbleibt
Wenn das Wasser endlich mit befreiter Stärke
Seine eigne Sach betreibt.


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