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Volle Chancen und erwünscht!
Sonntag, 8. Juni 2008
Bilanz eines Lokalaugenscheins über die Situation von MigrantIn-
nen in Kanada

Michael Schaller

Dreharbeiten für den Film „Menschenrechtsstädte dieser Welt“ führen ein Kamerateam des ORF Steiermark im April 2008 nach Edmonton, mit etwas mehr als einer Mio. Einwohner die zweitgrößte Stadt Kanadas. Nach den Dreharbeiten in Graz, Korogocho/Kenia und Rosario/Argentinien ist dies die vierte Menschenrechtsstadt, in der das Team unter Regisseur Gernot Lercher und Kameramann Erhard Seidl dreht. Auch hier geht es um eine Bestandsaufnahme, wie das Thema Menschenrechte in der ersten Menschenrechtsstadt Nordamerikas in die Praxis umgesetzt wird, ein spezieller Blick wird auf den Umgang mit MigrantInnen in der Menschenrechtsstadt Edmonton geworfen.

Migration zwischen Flucht und Reality-Soaps. In Österreich gibt es oft ein recht einseitiges Bild von MigrantInnen: Menschen, die leichtfertig ihre Heimat verlassen oder zu uns kommen, weil bei uns alles viel besser ist und um – so lautet das Vorurteil – von unserem Sozialsystem zu profitieren. Dass es mehrheitlich Flüchtlinge sind, die auf der Flucht vor (Bürger-) Krieg, Verfolgung oder Hunger ihr Land verlassen mussten, wird oft außer acht gelassen. Ebenso wie die Tatsache, dass viele Gastarbeiter von Österreich angeworben wurden, weil sie hier gebraucht wurden. Schätzungen der Weltbank besagen, dass im Jahr 2006 fast 200 Millionen Menschen ihr Geld als Gastarbeiter verdienten und davon rund 200 Mrd. Dollar an ihre Familien in der Heimat schickten. Ein Betrag, der in einem Land wie Indien schon einmal so hoch ist, wie ein Viertel der Exporteinnahmen oder diese - wie in Albanien - sogar um 50% übersteigt. Auch die Zahlen des UNO Flüchtlingshochkommissariats sprechen für sich: im Jahr 2007 waren 40 Millionen Menschen auf der Flucht. Es ist wohl dieses Bild der „weniger erwünschten“ AusländerInnen, das die Befindlichkeit der ÖsterreicherInnen prägt, während auf der anderen Seite immer neue Doku-Soaps die Neugier ihrer Seher treffen. „Good bye, Deutschland“, „Mein neues Leben“ oder „Ich wandere aus – meine neue Chance“ zeigen Europäer, die in einem fremden Land ein neues Leben starten wollen. Das Bewusstsein um die Situation von MigrantInnen verändern sie aber wohl kaum.

In Österreich werden mit dem Begriff „MigrantInnen“ wohl eher Probleme assoziiert, in dem traditionellen Einwanderungsland Kanada ist der Eindruck anders. Hier ist es völlig normal, dass Menschen aus aller Welt nach Kanada kommen. Man hat sich zum Ziel gesetzt, dass sie möglichst schnell heimisch und „vollwertige“ BürgerInnen werden. Dies zeigt sich an großzügigen Unterstützungsprogrammen für Neuankömmlinge. Im Mennonite Centre for Newcomers beispielsweise gibt es Sprachkurse, Unterstützung bei der Arbeitssuche und bei der Integration in die Gemeinschaft. Jeder Neuankömmling kann bis zu 1.200 Stunden kostenlosen Englischunterricht in Anspruch nehmen, für die Kinder gibt es in dieser Zeit eine kostenlose Kinderbetreuung. Die Kurse werden zum Teil von MigrantInnen gehalten, die seit Jahrzehnten in Kanada leben und damit wissen, wie es ihren SchülerInnen geht. Männer und Frauen sitzen nebeneinander in der Klasse, Muslima mit Kopftuch genauso wie Männer aus Lateinamerika, Afrika oder Asien. Sie alle sollen Englisch möglichst schnell als zweite Sprache erlernen, ohne die eigenen Wurzeln zu vergessen. In der Kinderbetreuung sieht man einen Willkommensgruß in mehreren Sprachen, Kinderlieder aus aller Welt werden erlernt und die Vielfalt an Religio-nen und Traditionen wird über die Erläuterung der Hochfeste herausgestrichen.

Ein zweites Erfolgsbeispiel sind die multikulturellen Gesundheitsvermittler. Frauen mit Migrationshintergrund erhalten eine umfassende Einführung in das Kanadische Gesundheitssystem und geben das erworbene Wissen in ihren Gemeinschaften und Volksgruppen weiter. Beispielhaft sind die Handbücher, mit denen auf die kulturellen Eigenarten, auf die Einstellung zum Körper und auf das Verständnis als Frau und Mutter eingegangen wird. Die Gesundheitsvermittlerinnen helfen den Frauen, die Leistungen des kanadischen Gesundheitssystems in Anspruch zu nehmen, sie fungieren oft als ehrenamtliche Dolmetscherinnen und Vermittlerinnen zwischen den Migrantinnen und dem medizinischen Personal in Krankenhäusern.

Da Vielfalt akzeptiert und MigrantInnen erwünscht sind, stellen sich auch die Verwaltung und die Wirtschaft darauf ein. Das städtische Informationsbüro hat die wichtigsten Broschüren der Stadt in zwanzig verschiedenen Sprachen aufgelegt. Die Polizei wendet sich an Interessierte mit Migrationshintergrund und fordert sie zur Bewerbung für den Polizeidienst auf und mit einem Wettbewerb sollen die „Neo-Kanadier“ ausgezeichnet werden, die sich im Servicebereich besonders hervorgetan haben.
    
Als Zuwanderer in der Politik. Eindrucksvoll sind die Begegnungen mit zwei Politikern, die nicht in Kanada geboren wurden und trotzdem den Weg in die Politik schafften. Der Münchner Horst A. Schmidt kam 1952 mit 19 Jahre ohne ein Wort Englisch zu sprechen nach Kanada und begann als Bergarbeiter zu arbeiten. Mehr als 50 Jahre später blickt er auf ein bewegtes und erfülltes Leben zurück. Er absolvierte ein Studium, verbrachte als Kulturminister, Innenminister und Wirtschaftsminister mehr als zwei Jahrzehnte in der Politik und war damit der erste Zuwanderer, der es in das Kabinett einer kanadischen Regierung schaffte. Auch als Journalist und Unternehmer war er erfolgreich, selbst mit 75 Jahren ist er noch unternehmerisch aktiv. Aus Indien stammt Amarjeet Sohi, der sich bereits vor seiner Direktwahl zum Stadtrat für die kulturelle Vielfalt der in Edmonton lebenden Nationalitäten engagierte. Er ist Edmontons Vertreter im Netzwerk Städte gegen Rassismus, dem Edmonton seit dem vergangenen Jahr angehört.

Vielfalt erwünscht und gefeiert.
Dass Vielfalt erwünscht ist, zeigt sich an zwei weiteren Beispielen. Die in Edmonton lebenden Afrikaner erhielten eine ehemalige Schule als Kulturzentrum in Selbstverwaltung, wo sie nun Bildungs- und Kulturveranstaltungen durchführen und Freizeitbeschäftigungen anbieten. Auch die Führungsmitglieder der afrikanischen Gemeinde berichten, dass sie sich in der Kommunalpolitik engagieren.

Ein Höhepunkt im Edmontoner Jahreslauf ist das Edmonton Heritage Festival. Dr. Horst A. Schmidt hat es 1974 als Kulturminister ins Leben gerufen und den ersten Montag im August zum Feiertag der kulturellen Vielfalt Albertas erklärt. Aus dem eintägigen Ereignis hat sich eine dreitägige Veranstaltung entwickelt, in der sich 75 Volksgruppen bzw. Nationalitäten von den Aborigines bis hin zu den Walisern mit ihrer Musik, Kultur und ihren traditionellen Speisen präsentieren. Die Vielfalt zieht an: im vergangenen Jahr haben über 400.000 Besucher am Festival teilgenommen, statistisch sind das zwei von fünf Bewohner Edmontons.  

Es besteht Handlungsbedarf.
Für das Zusammenleben von geborenen und zugewanderten Kanadiern gibt es einen Grundkonsens, gegenüber den Ureinwohnern Kanadas gibt es aber noch Handlungsbedarf: sie werden in vielen Bereichen des beruflichen und gesellschaftlichen Lebens noch immer benachteiligt. Für den Besucher aus Europa liegt der Vergleich nahe, dass sie die „Ausländer Kanadas“ sind, bei denen man zuerst die Probleme und Schwierigkeiten sieht, denen gegenüber vielleicht auch ein kollektives schlechtes Gewissen vorhanden ist. Doch auch hier wird gemeinsam nach Wegen gesucht. Die Interessensvertretungen der „First Nations and Native born Americans“ und die Stadtgemeinde Edmonton versuchen gemeinsam, die Situation der Ureinwohner zu verbessern. Es gibt Förderprogramme, Beratungsstellen und Aufklärung, damit die Diskriminierung der Aborigines beendet wird, sie einen vollen Zugang zur kanadischen Gesellschaft bekommen und nicht länger BürgerInnen zweiter Klasse sind.

Die Bilanz des Besuches ist überwiegend positiv. Kanada sieht die Chancen, die sich aus Zuwanderung ergeben. Es schafft die Voraussetzungen, dass sich MigrantInnen möglichst schnell in die kanadische Gesellschaft integrieren und vollständig daran teilhaben können. Österreich kann vom Umgang Kanadas mit seinen MigrantInnen lernen – vor allem Wertschätzung, aber auch die Bereicherung, die von fremden Kulturen ausgehen kann. 

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