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Sonntag, 8. Juni 2008 | |
Zu viel und zu wenig. Das vom 21. bis 23. Mai im Bereich des Grazer Schauspielhauses realisierte BLOGG TXT-Festival mit 14 Uraufführungen aus fünf Ländern war zweifellos ein sehr lebendiges, befruchtendes Ereignis. Eröffnet wurde das Festival von LH-Stellvertreter Kurt Flecker und – nicht besonders höflich – mit zwei Grazer Beiträgen. Vermutlich kam wegen der Fernsehübertragung nur Deutschsprachiges in Frage. Für die technische Abwicklung des Festivals mit seinen zeitlichen, organisatorischen und sprachlichen Problemen gebühren der Leitung, ihrem Team und den Gruppen alle Komplimente. Ein Fernseher war einfach zu klein für die Übertitelung, gelegentlich verrutschte auch ein Text, aber das war auch schon alles an sichtbaren Pannen. Bedauerlicherweise war der nicht unbeträchtliche Aufwand doch noch zu gering, um eine kritische Masse zu erzielen. Zwar waren die Aufführungen gut besucht, aber die Besucher waren in der Hauptsache die Theatermacher selber. Grazer traten gewissermaßen als Spurenelemente auf. Das Festival war eher ein Workshop, ein ziemlich interessanter noch dazu. Umso bedauerlicher, dass auch die heimischen Theatergruppen diese Gelegenheit zum Austausch ignorierten. Hohe Qualität. An der Qualität lag es nicht. Die reichte von grenzgenialen Ansätzen bis zu wunderbar visualisierten, geradezu philosophischen Arbeiten über das Wesen der Kommunikation. Für das eine steht der rumänische Beitrag „Re: Re: Re: Hamlet“, in dem die Besucher einer (angedeuteten) Hamletinszenierung Dinge machen, die man üblicherweise in der Öffentlichkeit vermeidet. In der Umsetzung nicht ganz gelungen, aber hochoriginell und ausbaufähig. Der italienische Beitrag „Handscape“ zeigte ein Händepaar in einem beleuchteten Fenster auf der ansonsten stockfinsteren Bühne, das Brief auf Brief zum Knäuel knüllt, bis das beleuchtete Kästchen ausgefüllt ist. Im zweiten Teil wird die Glasscheibe bis zur Undurchschaubarkeit bekritzelt. Danach entstehen aus dem leuchtende Umrisse von Tisch und Stuhl, ein Brief wird herbeigezaubert, landet auf der imaginären Tischfläche und die zwei Schauspieler beginnen vorzulesen: Perfektes, analoges „Dingtheater“, das mit einem wunderbaren Text die Vermüllung durch überbordende Kommunikation demonstriert. „insonnia 6 a.m. girl“, ebenfalls aus Italien, gewann den 2. Preis und seine Schauspielerin einen Schauspielerpreis. Simona Malato fatschte sich während ihres performanceartigen Monologs mit Mullbinden und drapierte sich Frieda Kahlo-mäßig mit Klebeband. Der erste Preis ging dann an die polnische Autorin Dorota Maslowska, deren Stück „Wirdiekinderdesnetzes“ („Mydziecisieci“) am Grazer Schauspielhaus inszeniert werden wird. Der Protagonist des Stückes, Adam Nawojczyk, wurde außerdem zum besten Schauspieler gekürt. Widersprüche. Der Grazer Hausautor Christian Winkler präsentierte „seinen“ Blog „friss was du bist“ in einer konventionell-modernen Regie. Schön der Einfall, die Bühne nur mit unterschiedlich großen Kühlschränken zu möblieren. Das Problem von Winklers Text bestand allerdings darin, dass Sucht und Weltverlust seines Helden auf ziemlich konventionelle Weise moralisiert werden. Jörg Albrecht hat dagegen Texte über das Bloggen montiert und auf vier Sprecher (Grazer Ensemble, sehr erfrischend) verteilt, die Regisseur Christian Schütz, unterbrochen von Tanzeinlagen, knallbunt, frech, rasant sprechen lässt. Gerade der völlig affirmative Großstadtschick macht die Arbeit mitreißend und interessant. Das vielen Blogs anhaftende Monologische bzw. Monomanische, schlicht ihre Form, spiegelte sich in den meisten Produktionen, auch wenn mehr Protagonisten auf die Bühne kamen. Für die zukünftige Kommunikation der Informationsgesellschaft verspricht das nichts Gutes. Und für das Publikum waren die fremdsprachigen Monologe gelegentlich etwas anstrengend. Dieser Widerspruch setzt sich auch fort in der Erfolgsmeldung des Schauspielhauses, nach der 900 Zuseher die ORF-Internetübertragung ganz oder teilweise verfolgten und die Projektseite www.blogtheatre.net rund 9000-mal aufgerufen wurde. Merkwürdige Erfolgsmeldung für das Medium Theater, dessen Legitimierung und Selbstverständnis auf seiner unmittelbaren Präsenz und Körperlichkeit liegt. Faszinierend an diesem Festival „in der Mitte Europas“ war jedenfalls, wie sich nationale Charakteristika (oder Vorurteile) in den Inszenierungen niederschlugen. Die Ungarn waren lässig und elegant, die Italiener sehr gestylt, die Polen selbstmörderisch experimentell usw. Eine Fortführung des Projektes mit mehr Geld für Vermittlung und damit höherer Publikumswirksamkeit könnte eine Bereicherung für Graz und die Steiermark sein. Auch ohne Blogs. Willi Hengstler
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