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Entwicklungszusammenarbeit auf dem Prüfstand der Globalisierung
Freitag, 6. Juni 2008
Relativ unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit hielt der steirische Landtag am 27. Mai eine hochkarätig besetzte Enquête zur Entwicklungszusammenarbeit ab, bei der die referierenden ExpertInnen sehr kritische Töne gegenüber der aktuellen Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen anschlugen.

Schon der die Enquête einleitende Politologe Univ.-Prof. Ulrich Brand (Universität Wien) erteilte den (wenigen) anwesenden Manda-tarInnen Nachhilfeunterricht über die Gründe der weltweit wachsenden Ungleichheiten: Die aktuelle Globalisierung sei ein bewusster Versuch, die Wachstums- und Gewinnkrise durch eine stärkere Öffnung der Volkswirtschaften zum Weltmarkt zu lösen – etwa durch den Abbau von Kapitalsverkehrskontrollen – und nicht etwa, wie gerne behauptet werde, ein quasi naturgesetzlicher Vorgang. Mit ihr einher gehe die Schwächung der Gewerkschaften (durch die Standortkonkurrenz) bei gleichzeitiger Stärkung der Kapitalbesitzer. Beschleunigt wurde dieser Vorgang durch das Ende der globalen Systemkonkurrenz mit dem Zusammenbruch der so genannten realsozialistischen Staaten.

Profiteure und Verlierer der Globalisierung. „Die Staaten wurden zu nationalen Wettbewerbsstaaten transformiert“, analysiert Brand – das ging zu Lasten der Verteilungs- und Sozial-, aber auch der Umweltpolitik; gleichzeitig verstärkte sich die internationale Arbeitsteilung, China wurde zur „globalen Werkbank“, Indien zum „globalen Büro“, andere, vor allem afrikanische, Länder werden auf die Rolle als Rohstofflieferant verwiesen, regionale Einheiten würden immer verletzlicher. Vom Globalisierungsprozess profitierten zum einen überall die Vermögensbesitzer, in geringerem Ausmaß auch die Belegschaften wettbewerbsfähiger Unternehmen und ein Teil der Bevölkerung in wettbewerbsfähigen Schwellenländern; zu den Verlierern zählten die Lohnabhängigen in nicht wettbewerbsfähigen Branchen, Arbeitslose, weiters jene 40% der Weltbevölkerung, die zusammen über 5% der Einkommen verfügen – und all jene, die von Umweltzerstörungen betroffen sind, die auf die „westlichen und sich globalisierenden Produktions- und Konsumformen“ zurückzuführen sind.

Schwächere müssen politisch repräsentiert sein. Unter den genannten Bedingungen sei „Entwicklungszusammenarbeit Gesellschaftspolitik“, schloss Brand, die auf eine Änderung eben dieser Produktions- und Konsumformen in den Ländern des Nordens und Westens und auf gerechten Zugang zu den Ressourcen abzielen müsse. Dazu bedürfe es der Partizipation der Betroffenen – „die Schwächeren in den Industriestaaten und in den Ländern der dritten Welt müssen ihre Interessen artikulieren können und politisch repräsentiert sein.“ Und: „Die Entwicklungszusammenarbeit sollte nicht weiter das institutionalisierte schlechte Gewissen der Gesellschaft sein, sondern Ursachen und Interessen benennen, Kontroversen führen, Lernprozesse anstoßen für die grundlegende Umorientierung der Produktions- und Lebensweise.“

„Global Governance“ zur Durchsetzung von Konzern-Interessen. Auch ATTAC-Mitbegründer Christian Felber betonte in seinem Statement, dass die aktuelle Form der Globalisierung auf politische Entscheidungen zurückgehe und wandte sich vor allem gegen die Vorstellung, es handle sich dabei um einen ungeregelten Prozess; denn während „Global Governance“ für die Bereiche Steuerpolitik, Umverteilung oder soziale Sicherheit von den herrschenden Kräften abgelehnt werde, gebe es sehr wohl ein höchst verrechtlichtes internationales Regelwerk zum Schutz des freien Kapitalverkehrs und der internationalen Konzerne. „Es gibt derzeit eine Klageflut internationaler Konzerne gegen Staaten, die ihre Interessen gegenüber dem Zugriff der Konzerne wahren wollen; Exxon klagt Venezuela, der Frankfurter Flughafen die Philippinen …“ Weniger Schutz durch Rechtsmechanismen genössen allerdings internationale Abkommen wie etwa jenes zur Erhaltung der Biodiversität.

Regionen sollen „Spielregeln neu definieren“. Die Globalisierung sei aber auch die Ursache für die laut Felberscher Wortprägung „irregionale“ Wirtschaftspolitik, die „Standortpolitik“ orientiere sich an den Interessen der „Großen und der Exporteure“ und nicht an sinnvollen kleinräumigen Wirtschaftskreisläufen. „0,4% der Unternehmen erhalten 44% der Förderungen“ – wobei sich die Politik gegenüber Großkonzernen oft völlig devot verhalte, wie Felber am Beispiel von Nokia demonstrierte, das von Deutschland 59 Mio Euro Förderung für seine Ansiedlung in Bochum kassierte – und sich nach Ablaufen der Subvention nach Rumänien verabschiedete.
Als mögliche Reaktion der Regionen nannte Felber statt der auch in der Steiermark propagierten Anpassungsstrategie („Billiger können wir nicht sein, wir müssen besser sein“) den Zusammenschluss von Regionen „zur Änderung der Spielregeln“ – etwa zur Durchsetzung des Rechts auf Gentechnikfreiheit in der Landwirtschaft oder zur Durchsetzung der von der UNO bereits 2003 ausgearbeiteten Regeln für transnationale Konzerne. Die Regionen sollten aber auch gemeinsam für ein Ende des Standortwettbewerbs und Steuerdumpings innerhalb der EU eintreten – und für eine rechtlich abgesicherte Bevorzugung fair gehandelter Produkte in der Beschaffung.

Änderung des Vergaberechtes gefordert. Weitere Statements kamen u.a. von Pfarrer Helmut Schüller (Fairtrade), Vizekanzler a.d. Josef Riegler (Global Marshall Plan), dem Schokoladefabrikanten Josef Zotter, Michaela Königshofer (Clean Clothes) u.a. Abschließend ergriffen VertreterInnen der Landtagsfraktionen das Wort: LTAbg. Manfred Kainz (ÖVP) wandte sich gegen Pauschalisierungen – nicht alle Konzerne verfolgten die Strategie, durch Globalisierung Gewerkschaften zu schwächen und Profite zu maximieren – und äußerte seine Unterstützung für den Global Marshall Plan und die Stärkung der Regionalwirtschaft; seine Kollegin Renate Pacher (KPÖ) beschrieb die zunehmende Macht internationaler Konzerne als Ergebnis der Änderung der internationalen Kräfteverhältnisse: „Die Lebensbedingungen der Menschen verbessern sich nicht durch Privatisierung und freie Marktwirtschaft“. Sie kritisierte, dass 62% der offiziellen Entwicklungshilfe „Phantomhilfe“ seien (wie etwa die Betreuung von Flüchtlingen aus dem Budget der EZA) und die zunehmende Zweckentfremdung von Entwicklungshilfegeldern für militärische und so genannte Sicherheitsausgaben.
Martina Schröck (SPÖ) konstatierte, dass die reichen Länder zu Lasten der ärmsten über ihren Verhältnissen lebten – „würden alle so leben wie die ÖsterreicherInnen, dann bräuchten wir unseren Planeten dreifach“. Als einen wichtigen Ansatz zum Gegensteuern nannte Schröck die derzeit 20 „fairen Gemeinden“ der Steiermark, die versuchen, die Maßstäbe des fairen Handels im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu verwirklichen.
Edith Zitz (Grüne) rief dazu auf, die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit der einschlägig tätigen NGOs zu unterstützen – „auch wenn das manchmal unangenehm für uns ist“ und nannte Bemühungen im Bereich des Landes, etwa das Landesbildungshauses Retzhof oder der KAGes, das Beschaffungswesen auf fair gehandelte Produkte auszurichten, wobei  allerdings vor allem im zweiten Fall die bestehenden Vergaberichtlinien hinderlich seien; daher sei das Vergaberecht des Landes entsprechend zu ändern.
cs

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