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Vom „Überhang an anlagewütigem Vermögen“ zur Wirtschaftskrise
Freitag, 6. Juni 2008
Die aktuelle, auf die US-Immobilienkrise zurückzuführende Vertrauenskrise im internationalen Finanzsystem ist noch lange nicht ausgestanden – das ist jedenfalls die Ansicht des deutschen Ökonomen und Linkspolitikers Joachim Bischoff, der bei einem vom KPÖ-Bildungsverein veranstalteten Vortrag eine Tour d’Horizon der aktuellen Situation der Weltwirtschaft versuchte. „Allein in den deutschen Finanzinstituten schlummern laut dem Beratungsunternehmen Ernst & Young Not leidende Kredite in einem Gesamtumfang von 200 Mrd Euro“, macht Bischoff wenig Hoffnung auf eine rasche, stabile Erholung der Wirtschaft; ein Drittel der Subprime-Kredite war ja von amerikanischen Banken nach Europa verkauft worden, was zu den bekannten Turbulenzen bei einer Vielzahl europäischer Banken führte. Dazu trete die Tatsache, dass eine hausgemachte europäische Immobilienkrise drohe – in Spanien, Großbritannien, Frankreich und Irland gebe es eine Immobilienblase, die um nichts geringer sei als die US-amerikanische. Die Folgen einer solchen Krise könne man in Japan studieren, wo in der Folge der Immobilienkrise 1989/90 30% des Bruttoinlandsproduktes vernichtet wurden.

Der internationale Währungsfonds schätzt den Abschreibungsbedarf allein für Bankinstitute auf 1000 Mrd Dollar und insgesamt auf 7 bis 8 Billionen Dollar, das Kreditvolumen sei aufgrund der Vertrauenskrise im Kreditverkehr zwischen den Banken bereits um 2000 Mrd Dollar zurückgegangen – eine Tatsache, die sich natürlich auf die Realökonomie auswirkt, auf Investitionen und den Konsum. Bischoff nennt den Abschreibungsbedarf einzelner Institute, der jeder allein für sich genommen dem Budget einer großen Kommune entspricht: Merril Lynch muss 25,1 Mrd Dollar abschreiben, die Citygroup 29,3, die Deutsche Bank 3,2 etc. „Die Bayerische Staatsbank muss 4 Mrd Dollar abschreiben, das entspricht dem Konsolidierungsbetrag, der den Bayern in den letzten vier Jahre abgepresst wurde.“
Die Hilferufe der Banker wurden gehört – der öffentlichen Hand blieb nicht viel anderes übrig als sie mit Steuergeldern vor dem Untergang zu retten, um einen Crash der Weltwirtschaft zu verhindern. Allerdings mehrten sich aufgrund der Dreistigkeit der Manager à la Josef Ackermann von der Deutschen Bank, die unablässig Privatisierung und Deregulierung predigen, um dann in Zeiten der selbst verschuldeten Krise laut nach der staatlichen Finanzspritze zu rufen, auch jene Stimmen, die meinen, weitere Unterstützungen würden die großen Banken nur weiter in ihrer sorglosen Gier bestärken.

Die Finanzinstitute ohne Auflagen vor dem Crash zu retten hält auch Bischoff für falsch, da aufgrund der geltenden wirtschaftspolitischen Bedingungen einer „finanzmarktgetriebenen Akkumulation“ eine Wiederholung des aktuellen Szenarios absehbar sei. Begonnen habe die Entwicklung in den siebziger Jahren mit der politischen Entscheidung zur Deregulierung der Finanzmärkte: „Seit damals wächst das Finanzvermögen schneller als die Realökonomie.“ Der Überhang an „anlagewütigem Vermögen“ habe erst den Druck zur Privatisierung, zur Entstaatlichung und zum Abbau öffentlicher Verantwortung erzeugt, sagt Bischoff. 1980 war die realwirtschaftliche Leistung noch höher als die finanzwirtschaftlichen Ansprüche darauf, Ende 2006 beträgt der Finanzüberbau das 3,2 fache des weltweiten Bruttosozialproduktes. Bischoff: „Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Finanzgesellschaften – Investitions- und Pensionsfonds, Hedgefonds, Private-Equity-Gesellschaften usw. – die zentralen Akteure der Weltwirtschaft.“ Damit einher ging eine Rollenumkehr: Hatten die Finanz­institutionen sich bis in 80er Jahre mit der passiven Finanzierung von Unternehmen begnügt, bestimmten sie jetzt mehr und mehr über das Produktionskapital – und auch über politische Entscheidungen: Die Politik der Senkung und Abschaffung aller Steuern auf Gewinne und Vermögen spricht hier eine deutliche Sprache.

Die Dominanz des Finanzkapitals
untergräbt Wirtschaft und Gesellschaft auf mehrfache Weise: Unternehmerische Innovationen werden nur dann finanziert, wenn sie raschen Gewinn versprechen; die Verteilungsverhältnisse ändern sich drastisch in Richtung einer immer stärkeren Vermögenskonzentration, die Kreditsysteme sind instabil und die Systeme der sozialen Sicherheit werden unterhöhlt. Sie beinhaltet zudem eine Komponente der Selbstbeschleunigung: Seit Anfang der 80er Jahre steigen die Investitionen weniger stark als die Gewinne. Und die suchen nach immer rentablerer Veranlagung.
Der Druck auf die Unternehmen, immer mehr Gewinn zu machen, führt zu einer „Aushebelung des Wertes der Arbeitskraft“.

„Konfiskatorische Besteuerung“.
Wie gegensteuern? „70 bis 80% der Bevölkerung“, schätzt Bischoff, sind inzwischen gegen eine Fortsetzung des neoliberalen Kurses, „die Menschen wollen ein Sofortprogramm, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.“ Allerdings fehle es der Linken (für die Bischoff selbst als Gemeinderat in Hamburg tätig ist) trotz der Legitimationskrise der neoliberal inspirierten herrschenden Politik „an Möglichkeiten für tragfähige Bündnisse“ zur Durchsetzung von Alternativen. Wie diese aussehen könnten? Bischoff nennt den Abbau steuerlicher Privilegien für Finanzvermögen, Detailmaßnahmen wie Stimmrechtsbeschränkungen für Neueinsteiger in Aktiengesellschaften, die Begrenzung von Sonderausschüttungen, Einschränkung der Investitionsmöglichkeiten von Pensionsfonds in hoch spekulative Anlagen, Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen usw. – aber er fügt hinzu: „Ohne eine konfiskatorische Besteuerung von Finanzvermögen werden alle diese Maßnahmen nicht greifen.“

Christian Stenner


Joachim Bischoff: Mehr wirtschaftliche Dynamik durch Regulierung

Auch wenn die spekulierenden Banken jetzt zu Recht unter Beschuss geraten – es braucht Finanzinstitutionen, die Investitionen vorfinanzieren.
Sicher. Wir sind deshalb ganz energische Verfechter des Sparkassensystems, weil es eine entscheidende Bedeutung für die Investitionstätigkeit von kleineren und mittleren Unternehmen hat. Es gab übrigens in den letzten 3-4 Jahren ganz harte Auseinandersetzungen, weil die Fonds auch die Sparkassen kaufen wollten.

Aber ohne Kontrolle könnten auch die Sparkassen ihre Gelder spekulativ anlegen …
Die Sparkassen müssen regional kontrolliert werden – sowohl professionell von der Bankenaufsicht als auch politisch von den parlamentarischen Gremien. Natürlich muss verhindert werden, dass sie die verlockenden Ausflüge auf die deregulierten internationalen Finanzmärkte mitmachen.

Aber genau letztere sollen ja angeblich bewirken, dass das Kapital am effizientesten verwertet wird …
Das stimmt einfach nicht: Der Kapitalismus hatte seine Blütezeit in einer Phase, wo alles relativ hart reguliert war, von Hypothekenkrediten bis hin zum Kapitalverkehr, und wo Supergewinne strikt weggesteuert wurden. In dieser Periode wurde kräftig investiert, die Wirtschaft war viel dynamischer und innovativer als heute.


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