Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Fronleichnam in Graz und das Obszöne
Sonntag, 11. Mai 2008
Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde

Pädophilie gilt in heutigen Zeiten und hiesigen Kulturen weithin als Obszönität und Verbrechen allerersten Ranges. Dass das nicht immer so war, ist nur manchen rassistischen Politikerinnen unbekannt. Und die haben auch noch nie von verheirateten Infanten und Infantinnen gehört, sondern entdecken die Kinderehe just nur im islamischen Kulturkreis. Aber Schwamm drüber. Bleiben wir bei der Pädophilie. Zehn Jahre ist es nun her, dass der Primas der katholischen Kirche in Belgien, Kardinal Godfried Danneels, sowie der stellvertretende Bischof von Brüssel, Paul Lanneau, in einem Prozess um Kindesmissbrauch wegen Mitverantwortung von einem Zivilgericht verurteilt wurden.

Sie hatten die Taten eines Priesters geduldet und gedeckt, der im gleichen Prozess zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Laut seinem eigenen Geständnis hatte dieser ein Dutzend Kinder zwischen zehn und 16 Jahren missbraucht. Da aber der Kardinal und der Bischof Vertrauen in die staatliche Justiz hatten, bemühten sie die zweite Instanz, die sie prompt von jedem Mitverschulden freisprach. Begründung: „Zwischen einem Bischof und einem Pfarrer bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis“. (Sonntagsblatt 4.10.98; das Urteil über den Pfarrer wurde bestätigt.)

Krenn und Fischer. Um dieselbe Zeit vor zehn Jahren enthob der damalige Bischof von St. Pölten, Kurt Krenn, seinen Untergebenen, Pater Udo Fischer, von seinem Amt als Pfarrer. Ohne Abhängigkeitsverhältnis. – Natürlich bedienten sich die belgischen Kleriker der Mittel des Rechtsstaats, um ihren Kopf und den ihrer Religionsgemeinschaft aus der Schlinge zu ziehen. Und nichtsdestotrotz wurde ihre Argumentation von nicht wenigen Beobachtern als Obszönität sondergleichen empfunden. Sind doch in keiner Organisation Hierarchie und Befehlsgewalt derart eindeutig und unmissverständlich geregelt wie in der katholischen Kirche – mit Ausnahme des Militärs. Über dessen Führungspersonal der deutsch-amerikanisch-jüdische Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse vor mehr als vier Jahrzehnten sachkundig diagnostizierte: „Nicht das Bild einer nackten Frau, die ihre Schamhaare entblößt, ist obszön, sondern das eines Generals in vollem Wichs.“

Fronleichnam in Graz. Die Obszönität ist ein weites Feld. Und je nach Anwendung dieses Begriffs enthüllt sie die Werte des Urteilenden. Einmal befand ich mich zufällig zu Fronleichnam vormittags in der Grazer Innenstadt. Und konnte verfolgen, wie dieser Frühlingsfeiertag, einer der bei Gläubigen und Ungläubigen beliebten Donnerstag-Feiertage, in einer Stadt wie Graz kirchlicherseits abläuft (heuer wegen der frühen Ostern bereits am 22. Mai). Und ich kann einen solchen Ausflug in die Feldforschung jedem zumindest einmal im Leben nur empfehlen. Stieß ich doch auf einen eigentümlichen Demonstrationszug, dessen Teilnehmeranzahl so manchen Veranstalter politischer Demonstrationen glücklich machen würde: mehrere Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer in unterschiedlicher und charakteristischer Kostümierung. Dieses im Rahmen der katholischen Festtage nicht unbedeutende sogenannte „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“ preist einen zentralen Glaubens- und Ritualbestandteil des katholischen Christentums: Die Verwandlung „von Brot und Wein in Leib und Blut“ des jesuanischen Christus während der Messfeier („Eucharistie“). Dazu wird eben jenes „Allerheiligste“ in der Monstranz unter dem Baldachin („Himmel“) durch die Straßen getragen („Umgang“). Eigenartig aber, in welcher Weise: Nach dem obligatorischen Kreuz zu Beginn des Zuges, flankiert von einigen Ministranten, folgen Behinderte in Rollstühlen. Nicht etwa zufällig, sondern genau gemäß der jährlich identen Aufstellungsordnung. Und nicht irgendwelche Behinderte, sondern ausgerechnet solche in Rollstühlen. Vermutlich wegen der sichtbaren Symbolkraft. – Eine in meinen Augen obszöne Zurschaustellung der Schwachen. Die so gerade nicht Teil einer Gemeinde von Gläubigen und Gleichwertigen sind, sondern Herzeige- und Prestige-Objekt der hinter ihnen Marschierenden: Malteser, verkleidete Verbindungsstudenten und Bundesheer. Hiebei natürlich Offiziere voran. Wobei manche Grundwehrdiener (gegen wie viel Urlaubszusage?) die Ehre haben, über den gesamten Prozessionszug verteilt Lautsprecher durch die Straßen zu tragen.

Fußvolk am Schluss. Nach Theo-logen, Stadtklerus usw. folgen, hinter dem Bischof samt Himmel, ganz nah am Allerheiligsten, „Vertreter von Stadt und Land“ – also hauptsächlich einige führende Mitglieder der Österreichischen Volkspartei. Und am Schluss dieser illustren und großteils merkwürdig maskierten Gesellschaft: geistliche Schwestern und sonstige Gläubige. – Wie überall, denke ich mir: Fußvolk am Schluss. Und erinnere mich an die im März 1982 in der in Bozen erscheinenden Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ gedruckte Aufstellung des Trauerzuges für das Begräbnis „des Komponisten und Kapellmeisters Sepp Thaler“:

Kreuz / Musikkapelle Kurtatsch / Männer / Musikkapelle Kaltern / Fahnenabordnung der Musikkapellen (je eine Person) / Vorstand des Verbandes Südtiroler Musikkapellen / die übrigen Musikanten / Delegationen aus dem In- und Ausland / Kranzträger / Musikkapelle Zwölfmalgreien / Fahnenabordnung der Musikkapelle Auer / Fahnenabordnung der Schützenkompanie Auer / Fahnenabordnung der Feuerwehr Auer / Schützenkompanie Auer / Musikkapelle Auer / Polster mit Ehrungen / Polster mit Taktstock / Geistlichkeit / Sarg / Verwandte / Frauen
Die Frage, wer da von wem gelernt hat, dürfte sich im heiligen Land Tirol erübrigen. Eine gewisse Obszönität aber, wenn man nur an die Abteilungen „Männer“ und „Frauen“ denkt, lässt sich nicht von der Hand weisen. So neu ist diese Erkenntnis allerdings auch wieder nicht: Im Liederbuch des Steirischen Volksliedwerks „Enns Grimming Land“ findet sich das Lied: „Der Umgang“. Darin heißt es unter anderem:

Nebn an Himml gehen d’Hatscher,
stolz als wia, Sporngeklirr,
verwünschn in ganzn Umgang schier,
wulln liaba a Bier.
A Schuastabua, a klana,
a recht a plana,
a Lump, wia koana,
wia der d’Hatscher siacht, muaß er woana,
weil s’habn die Sporn so groß
und koane Roß

….

Und die Musi spielt das Fischerliad
Dass oan ganz damisch wird
und dass ma’s Ghör verliert,
s letzti Jahr san glei drei Hund krepiert,
weil so a saudummes Liad,
jedes Viech ruiniert.


Aber wer singt heute noch solche Lieder?

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