Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Graz, Mai 1968
Sonntag, 11. Mai 2008
1848 – 1918 – 1933 – 1938 – 1948 – 1968 – 1978

Im heurigen Jahr gibt es zahlreiche historische Ereignisse, derer Österreich aus Anlass des 160., 90. des 75. oder 30. Jahrestags gedenkt. So wird am 12. September in Wien im Parlamentsgebäude die „Republik.Ausstellung 1918-2008“ eröffnet. KORSO geht bis Jahresende monatlich einigen dieser Ereignisse und deren Auswirkungen auf die Steiermark nach. Dabei werden nicht die großen Ereignisse und Männer im Mittelpunkt stehen, sondern die „andere“, die vielfach vergessene Geschichte.


Graz, Mai 1968. Im Vorfeld des 1. Mai 1968 verteilten StudentInnen des Verbands Sozialistischer Studenten (VSStÖ) vor den großen Grazer Betrieben das Flugblatt „Es lebe der 1. Mai“, in dem es u.a. heißt: „Bei Elin werden zur Zeit 800 Arbeiter entlassen, bei Wagner-Biro bekamen hundert andere den blauen Brief. … Währenddessen veranstaltet man in Graz am 1. Mai, dem Kampftag der Arbeiter, eine unpolitische Maifeier von Magistrat und Gewerkschaft, d.h. gemeinsam von SPÖ, ÖVP und FPÖ. Werden so die Interessen der Arbeiter vertreten? Sehr viele Sozialisten, so auch wir, die sozialistischen Studenten, verfolgen diese Entwicklung mit Besorgnis. Wir können nicht am Tag der Arbeit mit den politischen Gegnern gemeinsam „feiern“. Gehst Du morgen auch zur gemeinsamen Maifeier der Unternehmer und der Arbeiter? Vergiß aber nicht, dem Unternehmer die Hand zu schütteln! Wir fordern von unserer Sozialistischen Partei, dem Klassenkampf von oben den bewussten Widerstand für die Sache der Arbeiter und Angestellten entgegenzusetzen!“ Gleichzeitig hissten Mitglieder des VSStÖ am Parteihaus der SPÖ in der Hans-Resel-Gasse die Vietcong-Fahne.

Eine weltweite Bewegung. Was in Graz mit dem Hinauswurf der Sozialistischen Studenten aus dem Parteihaus endete, fand dieser Tage, Wochen und Monate allerorts in ähnlicher Weise statt, denn 1967/68 war „Weltrevolution der Studenten“. In den USA, Frankreich, Deutschland, Italien, in der Tschechoslowakei, Polen, Japan, Mexiko und anderen Ländern mehr protestierten StudentInnen unter anderem gegen den Vietnamkrieg und für eine Verbesserung der Studienbedingungen, gegen das veraltete Bildungswesen und für eine Demokratisierung der Hochschulen, gegen Kriminalisierung des Sex u.a.m.
Den ersten Höhepunkt erreichte die 68er-Bewegung in Frankreich, wo es im „Pariser Mai“ ab dem 3. Mai zu Straßenschlachten im Quartier Latin kam, nachdem die Polizei die von Studenten besetzte Pariser Sorbonne geräumt und Hunderte Studierende verhaftet hatten. Als die Polizei in der „Nacht der Barrikaden“ vom 10. auf den 11. Mai mit brutalen Mitteln vorging und Hunderte verletzt und verhaftet wurden und auch Gerüchte über Tote kursierten, solidarisierten sich die Arbeiter und fast alle Gewerkschaften riefen zum Generalstreik auf. Millionen Arbeiter streikten und legten bis Ende Mai 1968 fast die gesamte französische Wirtschaft lahm.

Demokratisierung des Bildungswesens. Die Studentenproteste des Mai 1968 und das, was heute als „1968“ begriffen wird, war aber mehr als nur die zwölf Monate dieses Jahres; auch in Graz. So wurde in Graz schon 1967 gegen veraltete Strukturen und für eine Demokratisierung des Bildungs- und des Hochschulwesens gekämpft. Vor allem die um den damaligen Vorsitzenden der Hochschülerschaft Gerfried Sperl gegründete Aktion, eine Reaktion auf den von CV und KV – den Kartellverbänden der katholischen Burschenschaften – beherrschten konservativen Wahlblock, war es, die mit Einsatz von Witz und symbolischen Handlungen politisch Akzente gegen übervolle Hörsäle und für eine Hochschulreform und anderes mehr setzte und dies auch mit der Übersiedelung von Bernhard Frankfurter an die Universität Wien trug. So riefen Mitglieder der Aktion und des VSStÖ für den 7. November 1968 zur „Inauguration des Studens Magnificus“, bei der eine Klopapierrolle den Samtteppich und Bananen die Rektoratskette ersetzten, was heftige Proteste der Burschenschaften provozierte. Damit die richtige Inauguration des Rektors nicht gestört werden konnte – der Ruf „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“ wurde allerorts skandiert –, wurden präventiv „potentielle Unruhestifter“ verhaftet – damit waren die „Aktionisten“, der nachmalige Kulturstadtrat Helmut Strobl, der heutige Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Universität of California, Matthias Wabl, oder der inzwischen verstorbene Wolfgang Pumpernig gemeint.

Auch in Graz zentral: Der Protest gegen den Vietnamkrieg. Was für ein Klima 1967/68 an den Grazer Universitäten herrschte bzw. wie schwierig es war, hier politische Diskussionen zu führen, zeigt sich schon allein darin, dass jede politische Betätigung an der Universität – ausgenommen waren nur die Aufmärsche der Burschenschaften – verboten war. Selbst das Verteilen der offiziellen Zeitung der Hochschülerschaft wurde verboten, wobei neben einem prinzipiellen Verbot der Rektor im Herbst 1967 dies zudem damit begründete, dass die darin abgedruckte Kondom-Werbung „unanständig und daher eines Akademikers unwürdig“ sei.
Neben hochschulpolitischen Themen versuchten die Grazer Studenten ähnlich wie in Berlin und anderen Städten mehr auch allgemeinpolitische Themen zu diskutieren. Sie demonstrierten gegen Otto Habsburg, der auf Einladung der Kartellverbands-Verbindung Suevia in Graz referierte und organisierten eine Plattform und Kundgebungen gegen die Obristendiktatur in Griechenland. Zentral war über Jahre hinweg der Protest gegen den US-Imperialismus in Vietnam. Als der ÖVP-Akademikerbund am 18. Mai 1967 zu einem Vortrag des US-Presseattaches über „Vietnam – schmutziger Krieg oder politische Notwendigkeit“ lud, musste die Veranstaltung wegen fortwährender Störung abgebrochen und der Saal geräumt werden. Vor der Veranstaltung hatte der VSStÖ ein Flugblatt verteilt, in dem es hieß: „Der Krieg in Vietnam ist ein amerikanischer Aggressionskrieg! Nicht „Freiheit und Demokratie“ verteidigen die USA in Vietnam, sondern die brutalen Interessen des amerikanischen Imperialismus! Der amerikanische Krieg in Vietnam ist Völkermord! Wir stören heute Ihren Vortrag und wollen ihn verhindern – nicht, weil wir keine Argumente haben, sondern weil wir der Meinung sind, dass es über Mord und Völkermord nichts zu diskutieren gibt.“

Verbindungen zur Arbeiterbewegung. Aber nicht nur mit internationalistischen Solidaritätsbekundungen wollten die politisierten StudentInnen ihr Universitätsghetto durchbrechen, sie versuchten auch mit der Arbeiterschaft in Kontakt zu treten. Wie in der Bundesrepublik Deutschland, wo StudentInnen im April und Mai 1968 Institute besetzten und der SDS, der Sozialistische Deutsche Studentenbund, gemeinsam mit der Industriegewerkschaft Metall Demonstrationen gegen die Notstandsgesetzgebung organisierte, versuchten in Österreich, in Wien, aber auch in Graz, die StudentInnen Kontakte zu den Arbeitern herzustellen. In Wien beteiligten sich StudentInnen Ende April 1968 an einer Kundgebung gegen die Entlassung von ELIN-Arbeitern vor der ELIN Firmenzentrale und gründeten ein Aktionskomitee sozialistischer Arbeiter und Studenten. Und in Graz wurde vor dem 1. Mai das zitierte Flugblatt vor den Grazer Betrieben verteilt, das zu über 50 Parteiaustritten führen und den sozialistischen StudentInnen den Hinauswurf aus dem Parteihaus eintragen sollte.

Eine gespaltene Bilanz. Während für die Ereignisse in Graz eine umfassende Darstellung noch aussteht, liegt eine solche für Wien schon länger vor. Fritz Kellers eben wieder erschienenes Buch Wien, Mai 68. Eine heiße Viertelstunde zieht eine realistische Bilanz der österreichischen 68-er-Bewegung. Zum einen wurde in den folgenden Jahren eine Reihe von hochschulpolitischen Forderungen der Studierenden umgesetzt und erst in den letzten Jahren durch Schwarz/Blau wieder teilweise rückgängig gemacht. Viele der von ihnen selbst gesteckten Ziele sind aber gescheitert und jene 68er, die bei ihrem Marsch durch die Institutionen die Stufenleiter der Hierarchie hochgeklettert sind, haben diese Einrichtungen – denen sie 1968 den Kampf angesagt hatten – nicht wirklich erschüttert.
Fritz Keller attestiert gleichzeitig den 68ern aber, dass sie bei einer Reihe von gesellschaftlichen Entwicklungen, die in den Jahren vor 1968 bereits angelegt waren, als Verstärker gewirkt haben. So lässt sich ihr Einfluss u.a. bei der Schul-, der Hochschul- und Bundesheerreform, bei der Abschaffung des § 144 (Verbots der Abtreibung), der Justizreform und auf dem Gebiet der Heimerziehung nachweisen. Sie haben zudem das Feld bereitet für neue Initiativen, die sich im nächsten Jahrzehnt etablieren sollten: die Frauenbewegung, die Grün-Alternativen oder auch neue Formen der Jugendkultur.

Heimo Halbrainer

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