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1948 – Josef Martin Presterl
Dienstag, 8. April 2008
Ein Grazer Spanienkämpfer, Schriftsteller und Verleger als Opfer titoistischer Säuberungen

Für den 30. Mai 1948 rief das Steirerblatt dazu auf, recht zahlreich zur Seelenmesse für Josef Martin Presterl und Paul Gasser in der Grazer Stadtpfarrkirche zu erscheinen. Dass in dem Parteiorgan der ÖVP Steiermark dazu aufgerufen wurde, mag den einen oder anderen damals verwundert haben, weit mehr aber dürfte die Leser erstaunt haben, für wen die Seelenmesse stattfand. Presterl und Gasser waren Grazer Spanienkämpfer und Kommunisten und zwei von elf vor 60 Jahren, am 26. April 1948, in Ljubljana/Laibach im so genannten „Dachauer Prozess“ – einem titoistischen Schauprozess – zum Tode Verurteilte. Mit ihnen waren zahlreiche führende jugoslawische Funktionäre wie der Hauptwirtschaftsinspektor der Kontrollkommission im Regierungspräsidium Sloweniens Branco Diehl, der stellvertretende Industrieminister Sloweniens Stane Oswald, der ehemalige Generalsekretär des Außenministeriums in Beograd/Belgrad Ing. Oskar Jurančič sowie Presterls Verlobte Hildegard Hahn angeklagt und verurteilt worden.

Der Dachauer Prozess. Den Ausgangspunkt für diesen jugoslawischen Schauprozess bildete die Festnahme von Janko Pufler, dem Direktor der Glashütte in Hrastnik (Slowenien), am 23. Oktober 1946, dem vorgeworfen wurde, er habe die Fabrik in Brand gesetzt, um das jugoslawische Aufbauwerk zu sabotieren. Nachdem der Prozess am Kreisgericht in Celje/Cilli im Mai 1947 anders als geplant verlaufen und das Todesurteil vom Obersten Gericht aufgehoben worden war, begannen die Ermittlungsbehörden im Sommer 1947 hinsichtlich Puflers politischer Vergangenheit zu ermitteln. Pufler war bereits in den 1920er Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei Jugoslawiens gewesen und deswegen auch 1928 ausgewiesen worden. 1937 kam er aus der Sowjet-
union nach Spanien, wo er als Freiwilliger auf Seiten der Republik kämpfte und schließlich über französische Lager, Gestapozellen – unter anderem jene in Graz – ins KZ Dachau kam. Dieser politische Lebenslauf wurde u. a. von seinen ehemaligen Kampfgefährten in Spanien bestätigt. Dem gegenüber behaupteten einige nach dem Kriegsende in Slowenien festgenommene Grazer Gestapobeamte, dass sie in Graz auf jugoslawische Spanienkämpfer Druck ausgeübt hatten, als Agenten in der Untersteiermark tätig zu werden. Obwohl Pufler von der Gestapo Graz nicht in die Untersteiermark „entlassen“, sondern als Häftling ins KZ Dachau überstellt worden war, gestand er, seit 1928 deutscher Agent gewesen zu sein.

Ein absurdes Geständnis. Was Puflers „Geständnis“ folgte, war jene aus anderen stalinistischen Prozessen bekannte Dramaturgie: All jene, die mit ihm zusammengearbeitet hatten, waren plötzlich verdächtig, und so folgte bald schon Verhaftung auf Verhaftung, bis schließlich im April 1948 der erste und größte von insgesamt neun Dachauer Prozessen in Ljubljana stattfand.
Josef Martin Presterl Geständnis ging ins Absurde: So sei er bereits 1935 anlässlich seiner ersten Verhaftung durch die Polizei in Graz als Gestapoagent angeworben worden. In Dachau und Augsburg sei er von 1941 bis 1945 einer der Hauptagenten der Gestapo gewesen, der die Häftlinge bespitzelt und gefoltert und Vernichtungstransporten zugeteilt habe. Nach der Befreiung habe er sich als ehemaliger Gestapoagent von einem imperialistischen Staat zur Spionage gegen Jugoslawien anwerben lassen, weshalb er im März 1946 zum Kongress der Spanienkämpfer nach Beograd gefahren sei, um andere ehemalige Spanienkämpfer – darunter die Mitangeklagten – für Spionagedienste zu aktivieren. Im Oktober 1946 habe er diesen befohlen, nun zur planmäßigen Sabotage überzugehen und Industrieobjekte, Verkehrsverbindungen und andere staatliche Einrichtungen zu zerstören, was er schließlich im Oktober 1947, bei seinem letzten Besuch in Jugoslawien, noch einmal verstärkt eingefordert habe. Kurzum: er bezichtigte sich als Gestapo-Spitzel, als Agent eines imperialistischen Staates und als Saboteur des jugoslawischen Aufbaus. Mit welchen Verhörmethoden dieses Geständnis zustande kam, darüber gibt es allerdings keine Aufzeichnungen.

Als Interbrigadist in Spanien.
Fest steht: Josef Presterl war das Gegenteil von dem, dessen er sich selbst bezichtigte. Er war Kommunist, angehender Lehrer, Widerstandskämpfer, Spanienkämpfer, KZ-Häftling, Journalist, Schriftsteller und Verleger. In Spanien hieß er Martin Prestes, nach der Befreiung 1945 nannte er sich Josef Martin Presterl.
Presterl wurde am 8. März 1916 in Graz geboren, wo er auch die Lehrerbildungsanstalt besuchte. Seit 1930 gehörte er dem Kommunistischen Jugendverband (KJV) an. An der Lehrerbildungsanstalt organisierte Presterl eine Zelle des illegalen KJV, der sich auch der um drei Jahre jüngere Richard Zach anschloss.
Presterl, der wie Zach bereits in jungen Jahren schriftstellerisch tätig gewesen war, war es dann auch, dem Zach seine ersten Gedichte zur Begutachtung anvertraute. Zehn Jahre später sollte es Josef Martin Presterl sein, der erstmals die Gedichte von Richard Zach in der Anthologie Bekenntnis zu Österreich einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte.
Im Frühjahr 1935 wurde die KJV-Zelle an der Lehrerbildungsanstalt entdeckt, Presterl aus der Bundeslehrerbildungsanstalt ausgeschlossen und im August 1935 wegen kommunistischer Betätigung zu drei Monaten Arrest verurteilt. Nach der Haftentlassung hielt er sich in Wien auf und emigrierte von dort illegal nach Tschechien. Nachdem in Spanien am 17. Juli 1936 die Generäle unter Franco von Spanisch-Marokko aus einen Putschversuch gegen die im Februar 1936 gewählte spanische Volksfrontregierung unternahmen, ging Presterl Ende 1936 nach Spanien, wo er als Interimspolitkommissar Angehöriger des Thälmann-Bataillons wurde. Später redigierte er für die XI. internationale Brigade die Zeitung Pasaremos, in der er unter dem Namen Martin Prestes auch zahlreiche Beiträge schrieb.

Dachau, Rückkehr nach Graz und Tätigkeit in der KP.
Nach dem Abzug der Internationalen Brigaden aus Spanien verlief sein weiterer Weg wie jener von Hunderten anderen österreichischen Spanienkämpfern: Rückzug über die Pyrenäen nach Frankreich, nach Kriegsbeginn als „feindlicher Ausländer“ festgenommen und in verschiedenen französischen Internierungslagern festgehalten, am 4. September 1940 den Deutschen übergeben und von diesen ins KZ Dachau eingeliefert.
Nach der Befeiung kehrte Presterl aus Dachau nach Graz zurück, wo er sofort politisch, kulturpolitisch, publizistisch und letztlich auch verlegerisch tätig wurde. Im Rahmen der Kulturgemeinschaft der Werktätigen, die musikalisch-literarische Abende veranstaltete, hielt Presterl Vorträge. Im Steirischen Verband demokratischer Schriftsteller und Journalisten wurde Presterl im Juli 1945 neben Otto Hoffmann-Wellenhof zum Stellvertreter des Präsidenten Robert Michael Raffay gewählt. Zudem wurde Presterl verlegerisch tätig. Als seitens der Landesleitung Steiermark der Kommunistischen Partei der Antifaschistische Volksverlag gegründet wurde, fungierte Josef Martin Presterl als sein Leiter. In diesem Verlag erschien ab 28. Oktober 1945 vorerst wöchentlich, ab 1. Jänner 1946 täglich, die Tageszeitung der Kommunistischen Partei Steiermark, Die Wahrheit, wobei Presterl bis Ende März 1946 Verleger und Herausgeber der Zeitung war. Der Antifaschistische Volksverlag gab aber nicht nur die Zeitung heraus, er betrieb auch einen Buchhandel und verlegte Bücher. Noch im Jahr 1945 erschienen in diesem Verlag vier Werke. Neben Ernst Fischers Unsere Stellung zur Nazifrage und Maxim Gorkis Die Mutter gab Presterl ein Buch mit Gedichten heraus, das allein schon vom Titel her ein Gegenentwurf zum 1938 im Krystall-Verlag erschienenen Bekenntnisbuch österreichischer Dichter war. Neben Gedichten von Erich Fried und Jura Soyfer finden sich hier unter anderem Gedichte von Richard Zach, Alois Hergouth, Erich Kästner und anderen. Das vierte 1945 erschienene Buch des Antifaschistischen Volksverlags war die von Presterl herausgegebene Broschüre Konzentrationslager DACHAU. Geschildert von Dachauer Häftlingen.

Redakteur, Autor und Verleger.
Neben seinen kulturpolitischen Aktivitäten wurde Presterl 1946 u. a. auch im Rahmen der Vereinigung ehemaliger Spanienkämpfer aktiv, die ihn am 3. März 1946 zum Vorsitzenden und Delegierten für den Kongress der Spanienkämpfer in Beograd wählte. In Beograd traf er schließlich die früheren jugoslawischen Spanienkämpfer, die wie er im KZ Dachau gelandet waren; diese Begegnung wurde im Prozess 1948 als erstes Treffen der Verschwörer gegen Jugoslawien ausgelegt.
Nachdem Presterl Ende März 1946 als Herausgeber der Wahrheit und als Leiter des Österreichischen Volksverlags, wie er ab Jänner 1946 hieß, zurückgetreten war, gründete er einen eigenen Verlag – den Kristall-Verlag. Er blieb aber weiterhin Redakteur der Wahrheit, für die er weiterhin Beiträge schrieb, die mit MP oder JMP gezeichnet waren. Gleichzeitig war er Steiermarkkorrespondent der Österreichischen-Zeitung, der Zeitung der Sowjetischen Besatzung. Auch war er wieder literarisch tätig. So schrieb er beispielsweise Erzählungen zum Bauernkrieg und zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
Im März und Oktober 1946 unternahm Presterl zwei Reisen nach und durch Jugoslawien. Daraus entstand das Buch 2000 Kilometer durch das neue Jugoslawien, das im Frühjahr 1947 in der Reihe „Die interessante Reihe“ in seinem Kristall-Verlag erschien. Gleichzeitig mit Presterls Buch wurde in dieser Reihe auch Josef Sledzinskis Die Fahrt ins Blaue. Mit Motorrad und Kamera durch den Orient verlegt. Ebenfalls noch 1947 erschienen im Kristall-Verlag die deutsche Erstausgabe der vom ehemaligen serbischen Partisanen Branco Copic verfassten Erzählungen Die Mutter aus Drvar. Auch plante Presterl 1947 im Kristall-Verlag die Buchreihen „Der Kriminalroman“ und „Der Liebesroman“, wobei die bereits angekündigten Werke auf Grund der Verhaftung Presterls nicht mehr verlegt wurden. Seine Verhaftung in Jugoslawien im Herbst 1947 führte auch dazu, dass seine Arbeit mit dem Titel Im Schatten des Hochschwab, die bereits für den Druck vorgesehen war, nicht mehr erscheinen konnte. Darin hat Presterl anhand von Berichten ehemaliger Widerstandskämpfer erstmals die Geschichte des steirischen Widerstands von 1938 bis 1945 darzustellen versucht und diese um Flugblätter und Gedichte von Richard Zach ergänzt.

Auf der Studienreise verhaftet. Voll Tatendrang – so kündigte Presterl im Vorwort von Branco Copic’ Buch an, mit diesem Band den Beginn zu setzen, um „die schöne Literatur des Neuen Jugoslawien unserem Volke zugänglich zu machen und eine Brücke mehr zu unserem südöstlichen Nachbarn [zu] schlagen“ – nahm Presterl eine am 17. September 1947 erfolgte Einladung zu einer Studienreise nach Jugoslawien an. Gemeinsam mit seiner Verlobten Hildegard Hahn verließ er am 6. Oktober 1947 Österreich. Nachdem Presterl nicht wieder zurückkam, begannen sich seine Freunde um ihn zu sorgen. Als Presterls Verschwinden in Graz publik wurde, berichtete das Organ der steirischen SPÖ Neue Zeit darüber am 27. November 1947, woraufhin die Wahrheit im Kommentar Thorez, Dimitroff – und Presterl verschwunden spöttelte, dass die Neue Zeit ständig über das Verschwinden führender Kommunisten berichte, die angeblich in Opposition zur herrschenden Parteilinie stünden.
Klarheit über Presterls Verbleib herrscht erst, nachdem am 23. April 1948 die amtliche jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug und mit ihr die österreichischen Zeitungen über den Prozess in Ljubljana, in dessen Mittelpunkt Josef Martin Presterl stand, berichteten.

Nach 30 Jahren rehabilitiert. Bald nach seiner Verurteilung und Hinrichtung am 18. Mai 1948 in Ljubljana wurde Josef Martin Presterl von seinen ehemaligen Genossen zuerst verleumdet und dann vergessen. Presterl wurde aber auch von seinen ehemaligen politischen Gegnern vergessen, die ihn in ihrem „Kalten Krieg“ in der Steiermark im April und Mai 1948 kurz in die Öffentlichkeit brachten und für ihn sogar eine Seelenmesse haben lesen lassen. Vergessen blieben in Slowenien lange auch die „Dachauer-Prozesse“. Erst nach fast 30 Jahren stellte der Oberste Gerichtshof der Republik Slowenien einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, im Zuge dessen die damals Verurteilten – unter ihnen auch Josef Martin Presterl – rehabilitiert wurden. In Österreich war das kein Thema und erst, als es 1988 Bemühungen gab, ein Denkmal für die Opfer des Dachauer Prozesses zu errichten, wurde erstmals wieder in der österreichischen Öffentlichkeit der Fall Presterl thematisiert.

Heimo Halbrainer

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