Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Von Admont in den Krieg. Und zum Glücksspiel
Dienstag, 8. April 2008
Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde

Für die Lust am Wandern gibt es unzählige Gründe. „Wer rastet, der rostet“, behaupten die einen, das Naturerlebnis wiederum beschwören manche der in den Städten Gefangenen. Bei anderen wiederum stehen Kontemplation, körperlicher Ausgleich oder Ähnliches im Vordergrund. Die Entscheidung, wo man wandert, ist hingegen nicht selten sentimental besetzt. Oft wandert man gerade dort gerne, wo Kindheit und Jugend Fäden verankert haben, deren man sich später zu vergewissern sucht. Die man aufnimmt und bis ins Heute spannt, um sich daran festzuhalten, Boden unter den Füßen zu suchen, oder bewusst Fäden zu kappen, die sich als unhaltbar erwiesen haben.

Gelegenheit zum Geschichtsunterricht. Das sind vermutlich Gründe, die mich von Zeit zu Zeit zum Wandern im Gebiet zwischen Hieflau und Schladming bewegen. Keine Klettereien, ungefährliches Wandern. Der Admonter Kaibling samt dem zweiten Gipfel namens Sparafeld, jeweils etwas mehr als 2200 Meter hoch, hat sich dabei bereits mehrmals als lohnendes Ziel bewährt. Auch für Ungeübte oder ältere Leute bewältigbar und dennoch als Bergerlebnis besonders bei schönem Wetter beeindruckend. Beim letzten Mal kam ich allerdings nicht weit. Ein herbstlicher Schneefall zwang nach einer knappen Stunde zur Umkehr. Aber dafür hatten die australischen Freunde, mit denen ich unterwegs war, erstmals Gämsen gesehen, noch dazu ganz aus der Nähe. Also Einkehr und Aufwärmen in der Klinke-Hütte, dem Ausgangspunkt der Wanderung. Und Gelegenheit zum Geschichtsunterricht.
„Oberst Klinke Hütte“ heißt dieses Alpenvereinshaus. Warum eigentlich? Die auf der Homepage gegebene Auskunft ist dürr. Genauer gibt die in der Hütte hinter der Schank in einem Holzrahmen hängende Tafel Auskunft: „Oberst Rudolf Klinke 1888-1939“, lautet der Titel. Der aus Mähren stammende Mann, liest man da, war seit 1906, also seit seinem 18.Lebensjahr, Soldat. Zunächst für das habsburgische Kaiserreich, ab 1920 in Tirol für die neu gegründete Republik Deutsch-Österreich. „Im Frühjahr 1938“, heißt es dann nach einigen Sätzen über seine Tätigkeit in Tirol plötzlich unvermittelt, „übernahm Oberst Klinke in Admont die Aufstellung des III. Bataillons des Gebirgsjägerregiments 138.“ – Zufällig handelt es sich um jenes Frühjahr, in dem Österreich dem Deutschen Reich „angeschlossen“ wurde. Das irritiert den Hüttenchronisten nicht. Er schreibt weiter: „In diese Zeit fällt die Erkundigung des Platzes, die Planung und der Baubeginn der späteren Oberst Klinke Hütte.“  

„Klug gewählte Rechtsgrundlage.“ Das Hüttenprojekt war demnach nicht nur ein militärisches von jener Art, wie es Klinke in den Jahren davor in Tirol zu erledigen hatte. Im Rahmen des Österreichischen Bundesheeres. Sondern es war vor allem auch Teil der unmittelbar nach der Okkupation Österreichs durch Nazideutschland beginnenden Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. Das von Leoben aus kommandierte Gebirgsjägerregiment 138, dessen III. Bataillon Klinke befehligte, war Teil der in Graz stationierten bzw. von dort kommandierten 3. Gebirgsdivision der deutschen Wehrmacht, Klinkes drittem Dienstgeber. „Am 30. August 1939“, heißt es auf der Info-Tafel weiter, „verließ Oberst Klinke mit seinem Bataillon Admont; es begann der 2. Weltkrieg.“ – Ja, so kennt man sie, die hiesigen Chronisten. „Es begann“. Nicht die Klinkes begannen. Die erklärten auch noch Jahre und Jahrzehnte später, sie hätten nur „zurückgeschossen“. Zwei Tage vor dem Überfall auf Polen am 1. September wussten Klinke und sein Bataillon bereits, wohin „zurückgeschossen“ werden müsste. Auf der Info-Tafel folgt dann der Satz: „Nach der Teilnahme am Polenfeldzug lag Oberst Klinke mit seiner Truppe in der Eifel.“ Dort starb er an Lungenembolie.
Nun aber keine voreiligen Schlüsse! Weniger der Held des Überfalls auf Polen wurde durch die Benennung der Hütte geehrt. Wiewohl sein Nachfolger als Kommandant des III. Bataillons dagegen keinen Einwand gehabt hätte: Major, später Oberst Alexander Götz, Vater des späteren gleichnamigen FPÖ-Kurzzeit-Parteiobmanns und Grazer Bürgermeisters. (Davon steht allerdings in der Info-Tafel nichts.) Oberst Götz betrieb die Fertigstellung der Hütte. Doch nach dem Weltkriegsschlachten traten erst die wahren Qualitäten des Oberst Klinke zutage. Denn als Bauherr hatte von Beginn an offiziell nicht die Deutsche Wehrmacht fungiert, sondern der „Bergsportverein Gesäuse“. Wobei jeder Angehörige des Klinke-Bataillons automatisch Mitglied dieses Vereins war. – In dem 1993 von Gemeinde und Stift Admont gemeinsam herausgegebenen Band „Admont. Heimatgeschichtliches Lesebuch“ berichtet ein ungenannter Chronist mit unverhohlener Schadenfreude: „Durch diese klug gewählte Rechtsgrundlage konnte die Hütte nach Kriegsende aus der den Siegermächten verfallenen Masse des ‚deutschen Eigentums’ gelöst werden … Der Bergsportverein Gesäuse wurde wieder ins Leben gerufen, und dieser Verein erhielt die Hütte zurück.“ (Kaum waren die Besatzer abgezogen, wurde der Verein wieder aufgelöst und das Gebäude dem Österreichischen Alpenverein übergeben.)

Ora et labora. Allerdings hätte ein fremder Eigentümer möglicherweise wenig Freude an dem schön gelegenen Haus gehabt. Ist es doch nur über den Großgrundbesitz des Benediktinerstifts Admont erreichbar. Wofür noch heute Maut an das Stift zu entrichten ist. Der Admonter Stolz auf den Hüttenerrichter und -Retter Klinke führt uns daher auf den Ort selbst und sein Stift zurück. – Googlen Sie „Admont“! Oder „Stift Admont“. – Sie werden nur Gutes finden. Ein alterwürdiges Stift des Benediktinerordens, mit der größten Klosterbibliothek der Welt, einer tollen Schule, vorbildlicher Zusammenarbeit mit der Gemeinde, eine großartige neue Museumsgestaltung und einer Reihe von zukunftsträchtigen und erfolgreichen Wirtschaftsbetrieben. Wikipedia beispielsweise erscheint in Sachen Benediktiner, Admont, Stift etc. wie eine katholische Propagandaseite. Was Wunder, dass das erwähnte fast fünfhundert Seiten starke Heimatgeschichtliche Lesebuch es damit genauso hält. Dabei hätte ohne viel Kommentar beispielsweise nur eine kleine Passage aus der Chronik des Gendarmeriepostens ausgereicht, um den vielen Weihrauch, mit dem sich das Kloster umgibt, etwas ins rechte Licht zu rücken:
„15. Mai 1927. Arbeiterdemonstration in Admont: 150 Forstarbeiter des Stiftes Admont hätten gemäß L.G.Blatt Nr.120/1921, da sie 5 Jahre ununterbrochen beim Stifte in Arbeit standen, an diesem Tage auf eine außerordentliche Entlohnung in der Höhe von 25% des Jahreslohnes Anspruch. Um die Auszahlung dieser Prämie nicht leisten zu müssen, hatte das Stift diesen 150 Arbeitern die Arbeit gekündigt, und zw. einige Tage vor der Vollendung der 5 Jahr-Frist. Dieserwegen fand am 15.5. eine Demonstration von zk.1000 Arbeitern (samt Frauen) statt, wobei auch 56 Mann republikanischer Schutzbund in Uniform aus Hieflau und Rottenmann teilnahm.“

Nun ja, das war einmal. Eine andere Zeit. So böse sind diese Katholiken heute nicht mehr. Das Stift beteiligt sich allerdings heutzutage stattdessen als Aktionär an einem Glücksspielkonzern, der Tausende ins Unglück stürzt; es bezieht als einer der größten Grundbesitzer Österreichs EU-Agrarsubventionen in schwindligen Höhen und zapft gekonnt die Fördertöpfe für Ökostromproduktion an. Was soll daran schlimm sein? „Ora et labora“, lautet die Benediktinerregel. Zu deutsch: „Bete und arbeite!“ – Zugleich jahrhundertealtes Kommando für Untertanen aller Art. Schon vor fast eineinhalb Jahrhunderten, 1863, beantwortete der deutsche Dichter Georg Herwegh diesen Lebensbefehl mit dem „Bundeslied“. Dessen erste Strophe lautet:

„Bet’ und arbeit’!“ ruft die Welt,
Bete kurz, denn Zeit ist Geld!
An die Türe pocht die Not,

Bete kurz, denn Zeit ist Brot!

Und er endete mit den heute ziemlich antiquiert, aus ferner Vergangenheit scheinenden Strophen:

Mann der Arbeit, aufgewacht,
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will!


Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!


Dieses Lied wird so hierzulande vermutlich kaum mehr gesungen werden. Aber vielleicht erklingt es gerade in diesem Moment mit identischem Inhalt und ähnlicher Melodie in einer asiatischen, lateinamerikanischen, afrikanischen Sprache.


Nächste Folge von „Meine heimatliche Fremde“: „Frohnleichnam in Graz und das Obszöne“

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