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Zwischen den Spiegeln die Unendlichkeit |
Dienstag, 8. April 2008 | |
Schon 2006 präsentierte das Kunsthaus Graz mit Inventur. Werke aus der Sammlung Herbert eine herausragende europäische Kollektion von Minimal- und Konzeptkunst in der Ausstellungsgestaltung von Heimo Zobernig. Nach einem Konzept der Kuratoren Daniela Zyman und Adam Budak sind nun Werke aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary unter dem titelgebenden Thema Sammlung als Aleph im Space02 der blauen Blase zu sehen. Stiftung vor dem Aleph. Francesca von Habsburg gründete Thyssen-Bornemisza Art Contemporary im Jahr 2002 mit Sitz und Präsentationsraum in Wien, wo seither Wechselausstellungen aus den Beständen frei zugänglich sind. Die Stiftung unterstützt die Produktion zeitgenössischer Kunstwerke und begleitet Realisierungs- und Vermittlungsprozesse. Dabei liegt die programmatische Konzentration auf der Erfassung regionaler Breite und Diversität künstlerischer Formen und Wissensdisziplinnen. Projekte wurden in den vergangenen Jahren weltweit realisiert, darunter Küba: Journey Against the Current, eine Wanderausstellung, die 2006 auf einem Frachtschiff flussaufwärts durch den gesamten süd-östlichen Donauraum reiste. „Ist Borges hier?“, fragte jemand während der Vorbesichtigung. Mit der Sammlung als Aleph im Kunsthaus Graz verweisen die Kuratoren auf intendierte Bezüge zum schriftstellerischen Werk des argentinischen Autors Jorge Luis Borges (1899-1986), der mit seinen phantastischen Erzählungen entscheidende Grundzüge der Postmoderne vorwegnahm und ein als enzyklopädisch zu bezeichnendes Universum in der Verbindung von mythischen und archetypischen Bildern in logischer Konstruktion erschuf. Nach heutiger Interpretation könnten die weiterführenden Bezugspunkte und Verknüpfungen, die Intertextualität verschiedener Erzählungen im Werk Borges’ durchaus einem System entsprechen, wie es seit einigen Jahren als Hypertext beschrieben wird oder wie es kürzlich die argentinische Literaturwissenschafterin Perla Sassón-Henry in ihrer Arbeit als Borges 2.0 – From Text to Virtual Worlds (2007) vorstellte. Das alles hält Borges – posthum ohne Widerrede – gut aus beziehungsweise erlaubt sein Werk ein wohl auch von ihm vorbereitetes Weiterdenken an ein nicht absehbares Ende oder in die Paradoxa des Unendlichen. Sassón-Henry analysiert in ihrer Publikation Die Bibliothek von Babel (die schon eine Art Exposé für Umberto Eco war), Der Garten der Pfade, die sich verzweigen und Eindringling in ihrer Wechselwirkung mit Wissenschaft, Technologie und virtueller Welt. – Borges als Vordenker des Cyberspace und Präsystemiker für William Gibson? Immerhin schlägt Google Sites vor, in denen beide Autoren als Favoriten persönlicher Literaturlisten angeführt sind, ein entsprechender Essay könnte noch geschrieben werden – ich schlage einen französischen Philosophen und Schriftsteller vor: Pierre Menard, Autor des Quijote, dem Literaturwissenschaft und Fiktionen gleichermaßen Anliegen und so ununterscheidbar verbunden sind. Zur Sache! Die Sammlung als Aleph aber stellen die Kuratoren in vielfachen Bezug zur vergleichenden Lektüre der „konzeptuellen und narrativen Landschaft“ von Borges komplexem Œuvre. Sie suggerieren damit „potentielle Narrative (und Fiktionen)“, das Nicht-Erzählte vielleicht, wie es aus der thematischen Vorbereitung und Rezeption der ausgestellten Arbeiten bildender Kunst – in der Ausstellungsarchitektur von nextENTERprise-ArchitektInnen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs – in die Bahnen individueller BesucherInnen-Erfahrung geleitet werden will. Ein hoher Anspruch, dem gerecht zu werden ich fürchte nach nur zweimaligem Ausstellungsbesuch kaum entsprechen zu können. Aber immerhin führten mich immer weiter ausufernde und abgleitende Recherchen für diesen Artikel bis zu Nikolaus von Kues (1401-1464), Theologe, Mathematiker, Naturwissenschafter – also Philosoph, der in seinen Ausführungen um die nicht mehr rational fassbare Unendlichkeit Gottes mehrfach auf die Spiegelmetapher zurückgreift, die ein zentraler Topos bei Borges ist. Cusanus könnte damit seinerseits in einer Zeit/Raum-Faltung Teil von Borges’ Universum sein und ihm bleibt letztlich der Titel zu diesem Artikel geschuldet. Das Aleph ohne Sammlung. Die Herkunft des Zeichens Aleph führt zu den Phöniziern, als Abstraktion des Ochsenschädels mit Hörnern, das im griechischen Alphabet zu Alpha wurde. Der Religionshistoriker Gershom Scholem beschreibt in seiner Arbeit zur Kabbala (1960) den Konsonanten Aleph im Hebräischen dagegen als nichts anderes als den Stimmeinsatz im Kehlkopf, der einem Vokal am Wortanfang vorausgeht. „Das Aleph stellt also gleichsam das Element dar, aus dem jeder artikulierte Laut stammt, und in der Tat haben die Kabbalisten den Konsonanten Aleph stets als die geistige Wurzel aller anderen Buchstaben aufgefasst, der in seiner Wesenheit das ganze Alphabet und damit alle Elemente menschlicher Rede umfasst. Das Aleph zu hören ist eigentlich so gut wie nichts, es stellt den Übergang zu aller vernehmbaren Sprache dar, und gewiss lässt sich nicht von ihm sagen, dass es in sich einen spezifischen Sinn klar umrissenen Charakters vermittelt.“ Gewissermaßen ist das Aleph also – und damit wieder zu Borges – das Incipit aller Beschreibung der Welt oder, unter einem zugleich konstruktivistischen und schöpferischen Aspekt, das Incipit einer Weltkonstruktion mittels Sprache. Sammlung als Aleph. Die Sammlung als Aleph rekurriert direkt auf Borges Erzählung Das Aleph von 1949. Ein Schriftsteller spricht von seiner Sorge um den geplanten Abriss des Hauses, in dem er lebt. Um seine Dichtung an ein Ende zu führen, sei ihm dieses Haus unentbehrlich, da sich in einem Winkel des Kellers ein Aleph befinde. Das Aleph – in dieser Erzählung – sei nämlich einer jener Punkte im Raum, die alle Punkte in sich enthielten. Der Ort, „ an dem, ohne sich zu vermischen, alle Orte der Welt sind, aus allen Winkeln gesehen“ – ein neuplatonischer Mikrokosmos im Makrokosmos. Der Erzähler namens Jorge Luis Borges begibt sich nun an besagten Ort, sieht das Aleph im mystischen Augenblick und damit beginnt wiederum seine eigene Verzweiflung als Schriftsteller, das simultane Erleben allen Weltgeschehens in das sukzessive System der Sprache zu übersetzen. „Im Durchmesser mochte das Aleph zwei oder drei Zentimeter groß sein, aber der kosmische Raum war darin, ohne Minderung seines Umfangs. Jedes Ding (etwa die Scheibe eines Spiegels) war eine Unendlichkeit von Dingen, weil ich sie aus allen Ecken des Universums deutlich sah … sah in einem Kabinett von Alkmaar einen Globus zwischen zwei Spiegeln, die ihn endlos vervielfältigten …“ Zurück an den Anfang. Die Ausstellung beginnt schon im Foyer mit den Optik und Gleichgewicht aushebelnden, glänzenden Bodenfolien von Jim Lambie (Zobop Gold, 2000). Inmitten nach außen geneigter Spiegelfolien von next-ENTERprise, die den unregelmäßigen Space02 an eine Simulation endlosen Raumes führen, befinden sich etwa ein Dutzend Objekte und Installationen, die sich nun wieder – wenigstens in Teilen – in den umgebenden Spiegeln vervielfältigen. Da ist zunächst Carsten Höllers Y aus dem Jahr 2003, ein sich gabelnder Laufsteg, eingefasst in scheinbar rotierende Leuchtspiralen, in dem man sich illuminiert und über Spiegel selbst begegnet, wie es dem Erzähler Borges in Der Andere geschieht. Allerdings – und Gleiches für die weiteren KünstlerInnen – wird der Konnex zwischen Höllers Y und Borges Werk erst über das Kuratorenkonzept hergestellt. Zentral auf der Ausstellungsfläche ein Büchertisch mit einer Auswahl relevanter Werke. An einer Wand die feine paradoxe Neonschrift von Tracey Emin I Dream of Sleep (2002). Die Kubaner Los Carpinteros sind mit zwei Arbeiten vertreten: Cama (2007) ist ein Bett, das scheinbar sich selbst entflieht und Frío Estudio del Desastre (2005) zeigt den gefrorenen Augenblick, eine plastische Momentaufnahme, eines Mauerdurchschusses. Vom schnell gelebten Jason Rhoades kommt ein fiktives Selbstporträt als materialintensive Installation unter dem Titel Mi Saga, U Saga (Emmanuelle Saga) (2005), zugleich ein Memorial für die Emanuelle-Darstellerin der Filme aus den 1970er Jahren. Die Illusion eines Ursprungsmoments – damit wieder deutlich näher am Thema, wenngleich die Themenverfehlung hier schier unmöglich wird – vermittelt Haluk Akakçe in seiner Dreikanal-Videoinstallation Illusion of the First Time (2002). Vorrangig ist die formale Gestaltung der Wandzeichnung, mitzudenken allerdings ein nicht enden wollendes Szenario militärischer Machtbehauptung, in Fiona Banners All the world’s Fighter Plans (2004). Und einsam, an den Spiegel gerückt, steht das Bunny Gets Snookered #3 von Sarah Lucas aus dem Jahr 1997 da. Das Ausstellungskonzept beinhaltet auch die Metamorphose: In zwei weiteren Phasen bis zum 26. Oktober werden Arbeiten derselben und anderer KünstlerInnen im Raum zwischen den Spiegeln präsentiert. – Zwar nicht intendiert, aber wie ein Supplement wirkt Pedro Cabrita Reis’ in mehrfachem Sinn große Installation True Gardens #6 – ein Stockwerk höher angelegt und noch bis zum 18. Mai zu sehen. Rahmenprogramm im Spiegelrahmen: Am 16. und 17. Mai findet ein Aleph-Symposium im Space04 statt, am 03. Juni ein Filmabend Jorge Luis Borges und ein Symposium am 5. und 6. September zum Thema Die Sammlung als Aleph. Gemäß dem Ausstellungskonzept, und diesem gleichermaßen widersprechend, endet Die Sammlung als Aleph am 26. Oktober. Informationen unter www.kunsthaus.at excipit Wenzel Mraček
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