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Hans G Helms: „Sich vergewissern, was in der Welt passiert“ |
Dienstag, 8. April 2008 | |
Wenn es so etwas gäbe wie die ideale Verkörperung des dialektisch funktionierenden Intellekts (was natürlich ein Widerspruch in sich wäre), so müsste sie wohl in vielem die Züge von Hans G Helms tragen. Der derzeit in Berlin lebende, die Grenzen zwischen den Disziplinen jederzeit überschreitende Wissenschafter und Künstler weilte Anfang März auf Einladung der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum und der Fakultät der Architektur in Graz. Christian Stenner besuchte eine der Fernsehvorlesungen zum Thema „Kapitalistischer Städtebau“ und die Lesung aus Helms dereinst bahnbrechendem Werk Fa:m’ Ahniesgwow – und führte ein ausführliches Gespräch mit dem 75-Jährigen, der nach wie vor unermüdlich als „Field Researcher“ (O-Ton Helms) aktiv ist. Hans G Helms zu charakterisieren fällt schwer angesichts des schieren Überflusses an Tätigkeitsfeldern, denen er sich Zeit seines Lebens hingegeben hat: Der 1932 geborene Sohn einer jüdischen Mutter und eines deutschen Vaters, der den deutschen Faschismus nur dank gefälschter Papiere überlebte, zog nach dem Krieg mit einem Nansen-Pass (sein Protektor, ein US-amerikanischer Besatzungsoffizier, hatte ihn darauf als 10 Jahre älter eintragen lassen als der Realität entsprach) als „black marketeer“ durch Europa – „damals ging es mir wirklich gut“, lächelt Helms, der heute von einer schmalen Rente als früherer freier Mitarbeiter verschiedener deutscher Fernsehstationen lebt. Er lernte Tenorsaxophon, spielte mit Charlie Parker und Gene Krupa, arbeitete als Radiojournalist – u.a. für den ORF-Vorläufer Ravag; für den US-Militärsender ,Blue Danube Network‘ erfand er das Sendeformat Jazz & Lyrik. Helms: „Ich habe Jazz in den 50ern als Befreiungsmusik empfunden.“ Auf USA-Reisen studierte er beim berühmtesten Linguisten des 20. Jahrhunderts, dem Strukturalisten Roman Jakobson, vergleichende Sprachwissenschaft und – auf privater Basis – Philosophie und Soziologie bei Adorno und Horkheimer. Ab 1954 wandte er sich der schriftstellerisch-kompositorischen Arbeit zu; die Eltern, beide Lehrer, hatten ihm schon in seinen Kinderjahren Musik- und Kompositionsunterricht erteilt. Avantgarde zwischen Musik und Hörspiel. Ab 1954 arbeitete Helms auch an jenem Werk, das als ein Markstein der Avantgarde gilt: ,Fa:m’ Ahniesgwow‘. Die Komposition, in der Helms Sprechakte aus 30 Sprachen von Jiddisch bis Indonesisch mischt – alles Idiome, die er während seiner Aufenthalte in den Lagern für displaced persons kennen gelernt hat – entstand zum großen Teil im Studio für elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln, „nur dort war es mir möglich, die Tonkurven von Phonemen, Morphemen und Satzteilen zu studieren, um sie entsprechend einsetzen zu können“, sagt der Autor/Komponist. Die Uraufführung von ,Fa:m’ Ahniesgwow‘ – nach einer von Helms selbst in Graz geäußerten Lesart bezieht sich der Titel auf die ,Fama‘, Gerüchte, aus den ,Ami-Gauen‘, fand am 1. Jänner 1959 statt, Dumont-Schauberg produzierte 1000 Stück von dem Buch, das erste, dem eine Langspielplatte beigelegt war. Weitere Beilage: Ein Synchronraster, der die exakten Einsätze der einzelnen Stimmen vorgibt. Bei der Grazer Lesung spielt Helms zunächst die 1959er-Version des Werkes auf Tonträger vor, dann eine zweite aus 1968 („Die hört sich bereits wesentlich politischer an“) und schließlich eine mit Jazzmusik unterlegte aus dem Jahr 1979; eine neue CD-Version ist im Entstehen begriffen. Den Abschluss der Lesung bildet die beeindruckende Live-Performance einer Passage von ,Fa:m’ Ahniesgwow‘ durch den Autor. Obwohl er allein liest, spricht, plaudert, flüstert, ruft und schreit es da plötzlich in allen Sprachen der Welt, ein vorweggenommenes Global Village aus Menschen, die der Krieg aus allen Winden an einem Ort zusammengeführt hat. Mindestens ebenso eindrucksvoll erscheint schließlich die im Rahmen der Lesung vom Tonträger vorgespielte Passage aus dem 1962 entstandenen ,Golem. Polemik für neun Vokalsolisten‘, worin Helms Martin Heideggers „Holzwege“ durch die künstlerisch-sprachkritische Mangel dreht. Sätze aus dem Opus Heideggers, den Helms schlicht einen „faschistischen Philosophen“ nennt, erscheinen bei entsprechender Intonation als wie von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels gesprochen. Einer der Sprecher der Originalaufnahme ist übrigens der jüngst verstorbene Ivan Rebroff, „ein grandioser Bass, der sich dann leider völlig verkauft hat“, bedauert Helms. Über die Ablehnung von Stirner zu Marx und Engels. Die künstlerische Aktivität an der Schnittstelle zwischen Hörspiel und Musik – Helms pflegte auch ein Naheverhältnis zu John Cage, mit dem er die filmische Komposition „Birdcage“ realisiert hat, zu Stockhausen und zu Ligeti – stellt aber nur einen Ausschnitt aus seinem Gesamtschaffen dar. So ganz nebenbei promovierte er nämlich 1974 auf Wunsch der Universität Bremen auf Basis seiner beiden Publikationen „Die Ideologie der anonymen Gesellschaft“ (1966) und „Fetisch Revolution – Marxismus und Bundesrepublik (1969) zum Doktor der Politikwissenschaft. Das erstgenannte Werk stellt eine akribische, 600-seitige Kritik von „Der Einzige und sein Eigentum“ des Individualanarchisten Max Stirner dar. Durch Stirner war Helms letztendlich zum Marxismus gekommen: „Irgendwann, das muss 58 gewesen sein, bin ich durch Zufall auf den ,Einzigen und sein Eigentum‘ gestoßen; bei der Lektüre hab’ ich mich gefragt, ob denn noch nie jemand diesen Blödsinn kritisiert hat – und bin dann draufgekommen, dass einzig Marx und Engels Stirner fundierte Kritik an Stirner geübt haben. Das war für mich der Beginn eines klaren politischen Verständnisses.“ Die Annäherung an den Marxismus erstreckte sich bald auch auf dessen Wirtschaftstheorie; der Doyen der marxistischen Ökonomie in der damaligen DDR, Jürgen Kuczynski – ein West-Flüchtling – motivierte Helms bei einem Telefongespräch mit den Worten: „Du kannst dich nicht immer nur mit Ideologie beschäftigen, Junge, du musst dich auch mit dem ökonomischen Unterbau auseinander setzen“ zu entsprechenden Studien. Das Kapital und die Stadt. Das dabei erworbene Wissen konnte Helms fruchtbringend in seinen Studien zur Urbanität verwerten: Das erste Buch zu diesem Schwerpunkt („Kapitalistischer Städtebau“, 1971) wurde rasch zum Standardwerk unter fortschrittlichen Architekten und Stadtplanern. In den 70ern entstanden auch die nun in Graz gezeigten „Fernsehvorlesungen“ zum gleichen Thema, die es gegen Schluss der Serie auf 1 Mio Zuschauer brachten – ein Fünftel der damit angesprochenen Bevölkerung Nordrhein-Westfalens. Mit Akribie zeichnet Helms darin u.a. die Abhängigkeit der Stadtentwicklung vom ökonomischen Umfeld ab: Das Kapital und seine Interessen formte die Gestalt der Städte, ob es nun – wie im Falle von Paris unter Louis Napoleon und dem Präfekten Haussmann – Sanierung Werks setzt, die Neubauten zum Zweck der profitablen Vermietung ermöglichen und gleichzeitig Aufmarschmöglichkeiten für die Armee gegen aufständische Arbeiter schaffen oder wie im Fall deutscher Stahlstädte eine Stadtentwicklung gar nicht zulässt, weil diese dem Flächen- und Infrastrukturbedarf des allbeherrschenden ansässigen Industriebetriebs untergeordnet wird. Wie sieht er die heutigen großen Trends der sozio-ökonomischen Entwicklung? Zum einen, sagt Helms, könne man etwa anhand des Beispiels der deutschen Hauptstadt die Internationalisierung der Immobilienspekulation durch Konzerne wie Hines feststellen, „die halb Berlin mit sinnlosen Bürogebäuden zupflastern“, zum anderen sei ein von den USA ausgehender Trend festzustellen, „dass die Wohlhabenden wieder in die großen Städte zurückkehren.“ Im Gleichklang damit entwickle sich dort ein Angebot, das sich Arme nicht mehr leisten könnten. Aufklärung und Ost-Judentum. Auch wenn er seine bisherigen Forschungsgebiete nicht aus den Augen lässt – im Laufe der Jahrzehnte hat Helms auch zu so unterschiedlichen Themen wie Künstliche Intelligenz und Geschichte des Transportwesens geforscht und publiziert –, so gilt sein aktuelles Interesse jetzt einem gänzlich anderen Thema, nämlich der Entwicklung der Aufklärung im Ost-Judentum. Eigens deswegen ist er von Köln nach Berlin gezogen: „Dort gibt es das meiste Archivmaterial und Polen liegt auch näher.“ Bis jetzt gebe es kaum fachhistorische Darstellungen über die „Frage, warum in diesen wohlhabenden jüdischen Händlerfamilien Kinder herangewachsen sind, die in eine ganz andere Welt wollten – und wie sie das geschafft haben“, polnische und ukrainische Geschichtswissenschafter seien an diesem Thema ressentimentbedingt eher wenig interessiert. Literarische Darstellungen wie etwa die Romantrilogie Soma Morgenstern „Funken im Abgrund“ und diverse Biografien böten aber wichtige Hinweise. Helms erste Publikation zum Thema („Oswiecim – Oshpitsin – Auschwitz. Zentrum jüdischen Lebens, Stätte des Massenmords. Chronik einer polnischen Stadt“) hat er voriges Jahr veröffentlicht. „Auschwitz war ja bis 1939 eine mehrheitlich jüdische Stadt, das geht auf die österreichische Zeit zurück; in Westpolen kamen abgesehen von dieser Ausnahme jüdische Majoritäten wegen des enormen polnischen Antisemitismus nicht vor.“ „Die Spielräume sind eng geworden.“ Wie sieht Helms seine eigene gesellschaftliche Rolle, frage ich ihn. Der Intellektuelle wurde ja von der Mehrheit der 68er zum neuen revolutionären Subjekt erklärt, während die orthodoxen Strömungen des dialektischen Materialismus ihn eher im Verdacht hatten, ein Schwankender zu sein, der sein Fähnchen nach dem Wind der Mächtigen dreht. Helms neigt eher der zweiten These zu: „Wenn man sich die Geschichte der 68er ansieht, findet man Tausende Beispiele für den Schwenk aus dem Kleinbürgertum in die politische Aktivität und dann wieder in das Kleinbürgertum zurück. Mir selbst blieb als einem Juden, der das Dritte Reich überlebt hat und dann feststellen musste, dass die Führungsmannschaften der Nazis nach dem Krieg munter weitermachen konnten, eine solche Entwicklung zum Glück verwehrt.“ Diese gesellschaftspolitische Verortung – Helms begreift sich als „Linker ohne Berührungsängste – ich arbeite mit Leuten aus der DKP ebenso zusammen wie mit linken FDPlern“ – wird ergänzt durch das wissenschaftliches Credo, das sein Großvater, Germanist und Historiker, ihm vorlebte: „Er lehrte mich, dass man sich durch unermüdliche Recherche unablässig dessen vergewissern muss, was eigentlich in der Welt passiert, egal, ob man sich mit Ökonomie oder mit Kunst beschäftigt – es gilt, um es mit heutigen Worten auszudrücken, Field Research zu betreiben. Das würde ich auch gerne allen jungen Wissenschaftern raten, auch wenn ich weiß, dass deren subjektive Ökonomie das oft nicht erlaubt; die Spielräume sind ja sehr eng geworden.“ cs
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