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Die Zeitung ist unverlässlich |
Montag, 7. April 2008 | |
Kopfzeile von Martin Novak Inzwischen habe ich mich irgendwie damit abgefunden, aber es tut gut, endlich darüber zu reden. Eine Zeit lang war ich fast süchtig nach den Kochkolumnen von Gudrun Harrer und Christa Koch in der Standard-Beilage Rondo. Immer öfter blieben deren Fressgeschichten aus. Ich kann zwar verstehen, dass eine exzellente Außenpolitik-redakteurin wie Harrer lieber über Außenpolitik schreibt als über gebratene Gänse und Serviettenknödel, aber ich leide immer noch: Man darf den Leser (also mich) nicht dermaßen vor den Kopf stoßen. Die persönliche Abneigung davor, statt in die Geschichte des außenpolitischen Journalismus in die der Fress-Essayistik einzugehen, kann nicht schwerer wiegen als das Bedürfnis des Lesers (also meines). Seither enttäuscht mich das Rondo Woche für Woche. Die gute Nachricht für das Standard-Leser-Marketing: Ich lese das Rondo trotzdem, ich weiß nur nicht mehr, warum. Weil ich aber weiterhin in der Mediaanalyse aufscheine, braucht die Zeitung nicht auf mich Rücksicht zu nehmen. Gudrun Harrer kann brillante Exklusiv-Interviews mit iranischen Oppositionspolitikerinnen verfassen statt einer fundierten Anleitung zur Herstellung von Marillenmarmelade. Das Zeit-Magazin kann eine ganze Ausgabe lang nur über Mode berichten und die Kolumnen von Martenstein und Siebeck (kein Vergleich zu Harrer, der Mann hat keine Ahnung vom Essen, aber trotzdem) bewegungsunscharfen Dolce&Gabbana-Fotos opfern, ich bleibe treu. Zu oft sollte es allerdings nicht vorkommen, ich könnte nämlich auch anders. Die Weltwoche lese ich nämlich nicht mehr. Das ist aber eigentlich eine andere Geschichte, die nicht in diese Kolumne passt. Hier geht es um den Wunsch des Lesers (vermutlich auch der Leserin, aber für die maße ich mir nicht an zu sprechen) nach Verlässlichkeit, nicht um die unvermeidliche Reaktion auf die Bewegung des Schweizer Wochenmagazins nach ziemlich weit rechts. Nein, das Stichwort lautet Verlässlichkeit. Die Aufsehen erregende Exklusiv-Skandalstory des Starjournalisten, die es bis in die Ö3-Nachrichten schafft, interessiert nur, wenn nahe Verwandte oder zumindest Golf-Partner darin vorkommen. Für das, was uns wirklich an die Zeitung bindet, gibt es keine Journalistenpreise, für journalistenpreiswürdige Geschichten gibt es keine Dankbarkeit. Exklusivität beeindruckt uns nicht, wir lesen ja nur die eine Zeitung, da ist alles exklusiv für uns. Den fett, weiß auf rot gedruckten Hinweis „EXKLUSIV“ finden wir manchmal sogar irritierend. Sind Interviews denn nicht immer weitgehend exklusiv? Oder gehören gleichlautende Befragungen des Dalai Lama in der Tiroler Tageszeitung und den Oberösterreichischen Nachrichten zum medialen Standardprozedere? Na eben. Was wir wollen, sind das Wetter, das Kinoprogramm und Leserbriefe, deren Verfasser wir persönlich kennen. Die Magazingruppe 8020 aus San Francisco zelebriert das perfekt. Sie braucht zwar noch 14 bezahlte Mitarbeiter, um zwei Publikationen zu produzieren, den Inhalt – Fotos und Text – steuern aber Amateure bei, Liebhaber der eigenen Texte und Fotos. Dafür bekommen sie zwar ein Jahresabonnement im Wert von 25 Dollar, tatsächlich geht es aber um Wertschätzung: „Meine Eltern wollten sofort wissen, wo sie es kaufen können“, erzählt ein stolzer 8020-Magazin Autor laut Newsweek. Das wird Starjournalisten weniger freuen als den Herausgeber dieser Zeitschrift. Er weiß, dass er mir weiterhin nichts zu bezahlen braucht.
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