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Aufgefangen im World Wide Web der Poesie |
Mittwoch, 12. März 2008 | |
Drei steirische DichterInnen beim internationalen Lyrikfestival in Nicaragua KORSO-LiteraturBox Ab März 2008 veröffentlicht KORSO in jeder Ausgabe einen umfangreicheren literarischen Beitrag. Den Anfang macht Helwig Brunner, der seine tiefen Eindrücke vom weltgrößten Poesiefestival im nicaraguanischen Granada in eine Prosaskizze gegossen hat. 1. Reisefieber Am Anfang ist eine Flugreise, zehntausend Meter fußfrei mitten hinein in eine um sieben Stunden verschobene Zeit, einen kaum enden wollenden, auf einunddreißig Stunden gedehnten Tag. Keine zwei Wochen später werden wir auf der Rückreise sein, der Sonne entgegen und dann durch eine schwer begreiflich verdichtete Nacht, die uns schwarz aus dem Osten entgegenschwappen und nach wenigen Stunden schon wieder westwärts hinter uns versickern wird. Nein, über den Wolken ist die Freiheit nicht grenzenlos, man sitzt da viele Stunden ziemlich belämmert und beengt in eine Sitzreihe geklemmt, spürt, wie der Organismus allmählich durcheinandergerät und fällt ab und zu samt dem ganzen Vehikel in ein Luftloch, ohne zuvor verstanden zu haben, wie es möglich ist, dass so ein tonnenschwerer Metallvogel überhaupt fliegt. Und draußen, bei minus zig Grad Celsius, möchte man nun wirklich auch nicht sein und wäre es gewiss nicht lange bei Bewusstsein und aufrechten Lebensfunktionen. Die Freiheitsgrade über den Wolken beschränken sich also auf die Wahl zwischen zwei Alufolienmenüs und auf die Entscheidung, jetzt gleich oder erst fünf Minuten später die Treppe zum Unterdeck hinabzusteigen, um dem Stoffwechsel Genüge zu tun. Das Einzige, was sich da wirklich noch über Selbstbestimmung freuen darf, ist der Kopf, der hier heroben jede Menge Zeit hat, seinen Gedanken nachzuhängen und vielleicht, wenn er es nötig hat, die eine oder andere Verszeile auszuhecken, fiebrig und begeistert wie immer. Und er hat es nötig, sehr sogar. Er fiebert, während ihn im Gedanken an ein fernes und immer ferneres Du die gleißende Zukunft (noch verborgen hinter Wolken) und die aus der ozeanischen Tiefe heraufragende Vergangenheit ganz und gar im Jetzt gefangen nehmen. Er deliriert, während er sich im Anblick der sanft gekrümmten, perlmuttrig schimmernden Wolkenschicht die bescheidene Endlichkeit und unermessliche Riesigkeit der Erde vor Augen führt, die jede Reise gleichermaßen als Weg ins Ungewisse und ins Altbekannte erscheinen lässt. Mag also sein, dass du es bist, die ich als Passagier umkreise, und die Erde ist es, die ich so innig umarme ... Umgekehrt ist es mir dennoch lieber. Ich vermisse dich. Die Schrift indessen ist irdisch, ist tief und geologisch, ist flüssige Lava auf dem Papier. Wir fliegen nach Nicaragua, in ein Land, in dem die Vulkane noch rauchen und die sandinistische Revolution es ihnen vor kaum drei Jahrzehnten gleichtat. 2. Verfangen und aufgefangen Ich sollte nicht für ein Wir sprechen, das, wie es zunächst scheint, durch wenig mehr als die Tatsache geeint wird, dass wir Gedichte produzieren, die jetzt unsere Eintrittskarte nach Nicaragua sind. Mit Sonja Harter (*1983), Stefan Schmitzer (*1979, vielleicht rein zufällig im Jahr jener erwähnten Revolution) und Helwig Brunner (*1967) sind es just drei steirische Dichtende der mittleren und jüngsten Generation, die Österreich bei einem literarischen Großereignis vertreten, dem IV Festival Internacional de Poesía in Granada, Nicaragua. Das ist kein Zufall, denn die Steiermark hat sich in den letzten Jahren zu einer widerständigen Provinz gemausert, die dem Imperium des kommerziellen, weitgehend narrationsfixierten Literaturbetriebs trotzt und durchaus beachtenswerte Lyrik in einer Dichte und Vielfalt hervorbringt, die österreichweit ihresgleichen sucht und auch über Österreichs Grenzen hinaus zunehmend wahrgenommen wird. Und die Kultur Service Gesellschaft Steiermark hat ihrem Namen alle Ehre gemacht und mit großem organisatorischen Eifer der Dichtertrinität beinahe einen roten Teppich über den Atlantik gerollt. Das Engagement lag insofern nahe, als die Steiermark auch stark in das nicaraguanische Kultur- und Entwicklungsprojekt Casa de los Tres Mundos in Granada involviert ist, das seinerseits ein wesentliches Zahnrad im schwer durchschaubaren Getriebe des Poesiefestivals bildet. (Warum auch, so werde ich mir gewisse nicaraguanische Impressionen bald erklären, sollte der Literaturbetrieb nur in Österreich kompliziert und verhängnisvoll und von narzisstischen Mimosen bevölkert sein.) Bereits vorweg hatte das Bundeskanzleramt dem Ältestgedienten von uns mit einem Reisestipendium unter die Dichterflügel gegriffen. Und Dichtergeflügel sind wir, schnattern und diskutieren viel während des Festivals; so entdecken wir uns neu in der Unvereinbarkeit, die uns zunehmend verbindet und für andere Begegnungen öffnet. Beim Frühstück im kolonialzeitlichen Wandelgang lerne ich im angenehmen Gespräch einen bolivianischen Dichter kennen, der wiederum mit einem venezuelanischen Kollegen befreundet ist, mit dem ich selbst vor nicht allzu langer Zeit im Rahmen eines Übersetzungsprojektes beim Poesiefestival Berlin produktiv zusammenarbeiten durfte. So treffen sich drei Fäden zu einem virtuellen Knoten, einem von vielen, die bei Festivals dieser Art geknüpft werden. Jeder und jede von uns sind wir hier gleichzeitig gefangen, verfangen oder doch vor allem aufgefangen im World Wide Web der Poesie. 3. La Poesía es la Esperanza Wir betreten also mittelamerikanisches Neuland, lesen, hören und staunen. Der Eindruck der Armut mit ihren Begleiterscheinungen wie dem wieder verstärkt aufkommenden Analphabetismus erreicht uns in der betuchten Touristenstadt Granada in abgeschwächter Form. Manches lässt sich auf Überlandstrecken erahnen, etwa auf der Fahrt zur Dichterlesung in der Universitätsstadt León, über schlaglöchrige Straßen vorbei am savannenartigen Weideland ärmlicher Fincas und an Streudörfern aus winzigen Baracken. In geballterer Form würde uns das Elend wohl in den Außenbezirken der Hauptstadt Managua oder in der nahen Zona franca, der Freihandelszone mit ihren an Sklaverei grenzenden Arbeitsbedingungen, begegnen; aber dorthin verschlägt uns das Festivalprogramm nicht. Was wir hier also vor allem (wenn auch im Bewusstsein einer gewissen Vordergründigkeit) erleben, ist eine ungekannte Verdichtung des Interesses am Poetischen, die in scheinbarem Gegensatz, in Wahrheit aber vielleicht in kausalem Zusammenhang zur schwierigen Lebenssituation steht. 155 Namen aus 50 Staaten umfasst die Liste der zum Festival eingeladenen Dichterinnen und Dichter, die meisten sind gekommen. Und das Ereignis erschöpft sich nicht in sich selbst, sondern findet den Weg nach draußen. Einige tausend Menschen säumen den Weg eines Karnevals, bei dem neben Musik- und Tanzeinlagen nur eines vorgetragen wird: Poesie und nochmals Poesie. Vom blumengeschmückten Karnevalswagen herunter verlesen die Dichterinnen und Dichter ihre Verse. Im Vergleich zu dieser sambaumtanzten Blumigkeit erscheint der Boden für Gedichte im konsum- und bildungssatten Mitteleuropa und in den Köpfen der deutschsprachigen Dichterelite ziemlich dürr und mager. Ein Menschenmeer von vielleicht tausend Zuhörern verfolgt die Lesungen und flammenden Appelle (»La Poesía es la Esperanza!«) auf der Plaza de la Independencia, dem palmenbestandenen Hauptplatz Granadas. Das alles überrascht freilich nur wenig in einem Land, in dem ein Dichterkopf die 100-Cordoba-Banknote und ein Parque de la Poesía mit Skulptur gewordenen Gedichten das Stadtbild schmückt. Der ausländische Dichter wird hier mit protokollarischen Ehren empfangen, die ihn mit erheitertem Staunen und ein wenig Demut die eigene Rolle reflektieren lassen. 4. Verwirrung und Verwandtschaft Was sich im Gedicht inhaltlich und ästhetisch auffaltet, erschließt sich in babylonischer Sprachverwirrung nur den spanischsprachigen Teilnehmern zur Gänze. Uns Österreichern wird manches davon erst in den Gesprächen deutlich, die sich bei den Mahlzeiten, an nächtlichen Kneipentischen, auf Ausflugsfahrten und auf Lesereisen in umliegende Dörfer und Städte auf Englisch oder Deutsch führen lassen. Gedichte, was sind sie? Homöopathisch destillierte Erzählungen oder Schrebergärten des Pathos, authentisch hingeworfene Freihandskizzen, Streiflichter einer Lebenswahrheit oder handfeste, gerade in diesem Land auch politisch aufgeladene Manifestationen der Sprachliebe und der Sprachwut? Wenn ich vorhin meinte, ich solle nicht für ein Wir sprechen, dann schon gar nicht für einen fiktiven Singular der Dichtung. Denn schon in unserem engen, vergleichsweise spärlich besiedelten österreichischen Dichterbiotop ist mir des Öfteren der Gedanke gekommen, dass es mindestens zehn Begriffe geben müsste für jenen verwinkelten und abgründigen Kosmos unterschiedlichster Textformen, der leichtfertig mit dem einen Schlagwort Lyrik bezeichnet wird. Tatsächlich ist diese Simplifizierung grob irreführend, denn wer einmal mit irgendeinem Deutschunterrichtsgedicht schlechte Erfahrungen gemacht hat, und wer hat das nicht, wird wohl allzu leicht meinen, die Lyrik in Bausch und Bogen als entbehrlich erkannt zu haben. Umso erstaunlicher faltet sich die Sternenkarte dessen, was Lyrik sein kann, bei einem globalen Zusammentreffen wie hier in Granada auf. Und unschwer lassen sich gerade in dieser Weitläufigkeit geistige Verwandtschaften, Verbindungslinien des Einverständnisses über Qualität und Tiefe identifizieren. 5. Vorwärts zurück Wohin ich in der flüchtigen Nacht unseres Rückflugs auch schauen werde in diesem Kerosin fressenden, mit acht parallelen Sitzreihen möblierten Traumsaal, überall hängen schlafende Menschen schwer in ihren Sitzen: eine Inderin mit Kleinkind, ein pickelgesichtiger Chinese, ein österreichischer Dichter, ein bulliger Schwarzer im Kleiderschrankformat, der mich an Rugby und Boxsport denken lässt, und natürlich jener waschechte amerikanische Weiße, der auf dem Weg zu seinem Erdöljob im Oman, den Schirm seiner Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen, gleich neben mir seine Träume träumt. Ich aber bin eben noch die Treppe vom Unterdeck hochgetaumelt, ein wenig übel ist mir von den Luftlochstürzen, die uns gelegentlich in die Tiefe ziehen. Das Wasser, das ich von mir gab, geht indessen als verschwindend lokaler Eisregenschauer auf die gekräuselte Großhirnrinde des Atlantiks nieder. So geht es mir manchmal, wenn ich müde bin: Ich fange dann in der Metaphorik von Gedichten zu denken an, die ich irgendwann geschrieben habe. die Nachdenklichkeit des Ozeans / ist keine, sie ist bloß eine Flaute und / Ebbe dank stumpfer Mondmechanik, // das sieht dann wie nachdenken aus, / denkst du mit deinem vergleichsweise / kleinen Gehirn, doch wäre dieser ge- // kräuselte Atlantik eine Großhirnrinde, / schieres Gedankenmeer, er eignete sich / vor allem für eines: fürs Vergessen Meine Gedanken kreisen als träge Zirkelströme in der wässrigen Masse meines Gehirns und scheinen einen seltsamen Rückstand zu hinterlassen, eine Schlacke, einen unsauberen Abrieb, den ich wohl noch tagelang mit dem Aroma des Jetlags auf der Zunge schmecken werde. Auch ich sollte den Schlaf suchen und zu träumen beginnen: vielleicht von einem Poesiefestival in Graz, davon, auf dem Grazer Hauptplatz einige von jenen Versen in ein Mikrophon zu flüstern, die das Genaueste und Verbindlichste sind, was wir Dichter zu sagen haben, und die dann, so erzählt es mein Traum, auch tatsächlich jeder von den tausend Zuhörern zwischen Rathaus und H&M verstehen kann und verstehen will. Oder ganz allgemein von der Versöhnung des aristotelisch dressierten Geistes mitteleuropäischer Schule mit den offenen, von flimmernden Paradoxien und dreisten Denkfiguren bewohnten Sprachräumen des Gedichts, von der Auflösung der Unvereinbarkeiten zwischen Gedächtnis und Vergessen oder der Unverträglichkeit zwischen Sprache und Welt, vielleicht auch von einem Ausgleich der offensichtlichen Inkompatibilität zwischen der nimmersatt saturierten Betriebsamkeit des Grazer Alltags und den erstaunlichen Begegnungen von Schein und Widerschein in der virtuellen Tatsächlichkeit des Gedichts. Denn dass das Gedicht, wie der Traum, ein Zusammen des sich Ausschließenden sei, wusste schon Stefan George und wird an dieser Stelle gerne nochmals verraten. Helwig Brunner, www.helwigbrunner.at
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