Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
„Gedichte aus dem Paulustor 1938“
Mittwoch, 12. März 2008
Herbert Schneider, ein Schriftsteller in den Fängen der Gestapo in Graz

„Ich habe bei dem sächsischen Feldartillerie-Regiment Nr. 12 gedient und wurde in Dresden geboren. Mein Vater hat mir immer prophezeit, dass aus mir nichts wird. Ich werde mit der Erfüllung dieser Prophezeiung nur die Familientradition wahren. Die Absicht zu heiraten habe ich auch nicht, aber ich bin von Natur nicht charakterfest, sodass dieser Zusicherung kein unbedingtes Vertrauen zu schenken ist. Außer schriftstellerisch betätige ich mich auch in bildenden Künsten: Ich koche und fotografiere, wie meine Freunde behaupten, besser, als ich schreibe. Ich habe blaue Augen, wiege 69 Kilo und mein Haar war früher blond. Meine Prinzipien: Ich trage nur einfarbige Krawatten, achte jedes Menschen Meinung, der auch die meine achtet, und behaupte, dass ein guter Wein mehr mit Kultur zu tun hat als ein mittelmäßiges Gedicht. Dreimal fünf Jahre meines Lebens verbrachte ich als Kind, weitere fünf Jahre als Schmied, die nächsten als Vagabund und die letzten als Landwirt. Was dazwischen liegt, wurde vertrödelt. Ich habe es weder als Schmied, noch als Vagabund, noch als Landwirt zu etwas gebracht, wie gesagt, das liegt in meiner Familie – jetzt versuche ich es mit diesem Erbauungsbuche. Mein nächstes Werk wird: ‚Die Memoiren meines Katers oder die Grundlagen der Democratie’. Der Kater heißt Mutz und ich liebe ihn leidenschaftlich. Zwischendurch entsteht – stückweise unter Schweiß und Tränen: ‚Die Geburt des Helden’. Das ist alles.“

Der, der sich hier so vorstellt, war der zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes in Thal bei Graz lebende Schriftsteller und Landwirt Herbert Schneider. Schneider wurde am 17. März 1900 in Dresden geboren und kam walzend 1925 nach Österreich. In Klagenfurt wurde er Mitarbeiter der dort erscheinenden Alpenländischen Rundschau, einer unpolitischen Wochenschrift für Kärnten, Tirol, Vorarlberg, Salzburg und die Steiermark. Ende der 1920er Jahre zog er nach Graz, das ihn deshalb gereizt habe, da es hier eine große Universitätsbibliothek gab und er diese nutzend Gedichte, kleine Theaterstücke und Geschichten schreiben konnte.
Bereits in Wien hatte Schneider den seit 1908 hier lebenden Schweizer Bankbeamten und Schriftsteller Georg Friedrich (Georges) Walz kennen gelernt. Dieser engagierte sich seit Beginn der 1920er Jahre pazifistisch im Rahmen des Internationalen Versöhnungsbundes, wobei ihm die deutsch-französische Verständigung besonders wichtig war. So referierte er u.a.
über „Das andere Frankreich“, übersetzte Goethe und Nietzsche und verfasste mit dem Wiener Schriftsteller Paul Amann Bücher über die beiden.
1931 kaufte Walz in Thal bei Graz ein Bauernhaus, in das er gemeinsam mit Herbert Schneider einzog und in dem sich pazifistisch orientierte Personen aus Graz und Umgebung trafen. Schneider wurde in Thal Landwirt, worüber er in seinem Erbauungsbuch satirisch auf die Blut- und Bodenideologie der Nazis anspielend meinte:
„Als ich im kühnen Knabenmut beschlossen hatte, Dichter zu werden, wusste ich ja noch nicht, dass der Weg des Dichters über den Landwirt führt. ‚Bodenverwurzelt’ hat ein deutscher Dichter zu sein und selbst ins Europäische übersetzt heißt das noch: der Erde treu bleiben. Also begann ich Gemüse zu bauen, Katzen zu züchten, einen Hund zu füttern und Obstbäume zu pflanzen. […] Mir schien gerade bei dieser Art landwirtschaftlicher Tätigkeit und Treue zur Erde das zum Dichter nötige ‚Bodenverwurzeln’ am besten erlernbar zu sein. Fünf Jahre dieses Studiums genügten denn auch, um den erforderlichen Reifegrad zu erreichen, der nötig ist, dass ein Mensch keine Gedichte mehr mache.“
Stattdessen schrieb Schneider ein Erbauungsbuch für den deutschen Spießer, das 1937 im Wiener Verlag der Buchhandlung Lanyi erschien – jenem Verlag, der vor allem von Karl Kraus Publikationen herausgab. Dieses Erbauungsbuch war eine satirische Abrechnung mit den Zeitläufen – allen voran dem Nationalsozialismus, wobei Schneider u. a. den 25 Punkten des Programms der Nationalsozialisten „25 Punkte der Antiidealistenliga“ entgegenstellte und auch „Vorschläge für drei Eineinhalbjahrpläne zur Errichtung eines friedfertigen, wehr- und ehrbewussten Europa“ entwarf.
Dieses Buch, mehr oder weniger am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme in Österreich erschienen, sowie eine Denunziation von einem Grazer Mittelschullehrer, der Mitglied der Runde in Thal war, führten im April 1938 zu Schneiders Verhaftung und zu seiner Einlieferung in das Gestapo-Gefängnis beim Paulustor, wo er bald schon seine Gefühle, sein Leid und sein Hoffen lyrisch niederschrieb. Dabei diente ihm zu Beginn ein Nagel als „Schreibzeug“, den er bei einem Spaziergang im Hof gefunden hatte und mit dem er auf seinem Koffer Gedichte festhielt. Als sich das unter den Häftlingen herumsprach, bekam er von Ernst Klementschitz einen Bleistiftstummel, mit dem er auf allen möglichen Papierfetzen Gedichte aufzeichnete. Diese verließen teils auf Karten, die er an Walz schrieb, teils illegal das Gefängnis beim Paulustor. Nach einem Nervenzusammenbruch wurde Schneider ins psychiatrische Krankenhaus überstellt, wo er am Vorweihnachtstag 1938 entlassen wurde. Nach Thal zurückgekehrt, arbeitete er wieder landwirtschaftlich und lieferte u. a. Gemüse und Kompott für die Wehrmacht.
Nach der Befreiung erschienen die in Haft verfassten Gedichte aus dem Paulustor auf Anregung und mit einem Vorwort von Georges Walz in einem schmalen Band bei Leykam, wo Walz unter dem Pseudonym „P[ost] T[enebris] Lux“, unter dem er bereits in den 1930er Jahren zwei Werke geschrieben hatte, auch die überarbeitete deutsche Version seines 1937 in der Schweiz erschienenen Buches La Lecon de l‘Autriche unter dem Titel Österreich 1918 - 1938, eine Demokratie? Betrachtungen eines Neutralen veröffentlichte. Walz erlebte die Veröffentlichungen von Schneiders Gedichten nicht mehr, da er im April 1946 nach einem Herzinfarkt in Zug (Schweiz) starb. Schneider, der die österreichische Staatsbürgerschaft bekam, erbte das Haus, das Wirtschaftsgebäude und den Garten, wo er bis 1956 für Grazer Firmen Gemüse anbaute und Kompott herstellte. Nachdem er 1956 das Haus verkauft hatte und nach Graz übersiedelt war, investierte er das Geld in die Erfindung einer Kühltasche, mit der er allerdings scheiterte. 1977 verließ er Graz und zog nach Stocking bei Wildon, wo er am 1. September 1989 starb.
Literarisch hatte sich Schneider nach dem Tod von Walz total zurückgezogen und wurde erst im Zuge des von Univ. Prof. Dr. Uwe Baur geleiteten Forschungsprojektes „Österreichische Literatur im Nationalsozialismus 1938-1945“ an der Universität Graz 1988 „wieder entdeckt“. 20 Jahre danach und 70 Jahre nach ihrem Entstehen erscheinen nun im Jahr 2008 die Gedichte aus dem Paulustor, mit einer biographischen Skizze versehen, in einem von Heimo Halbrainer und Christian Teissl eingeleiteten Buch.

Heimo Halbrainer

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