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Die Zeitung im Ausnahmezustand |
Dienstag, 11. März 2008 | |
Kopfzeile - von Martin Novak Medienskandale werden von Medien inszeniert. Medien kommen darin selten vor. Die moderne Gesellschaft wäre ohne Medienskandale nicht denkbar, meint der Kommunikationswissenschaftler und Autor Steffen Burkhardt. Der Medienskandal dient der „öffentlichen Abhandlung von Moral“. Das klingt nach psychischer Hygiene, also nicht so schlecht. Dabei folgt die Skandalberichterstattung den Gesetzen des Theaters: Zuerst werden die Protagonisten vorgestellt. Zum Beispiel ein ehemaliger Chef des österreichischen Bundeskriminalamts. Den hat ja zuvor keiner gekannt. In der folgenden „Aufschwungphase“ kommt die Handlung in Schwung. Dann folgt das Urteil: Das Geschehen und die handelnden Personen müssen sich am öffentlichen Moralkodex messen lassen – „der emotionale Ausnahmezustand der Medienöffentlichkeit“ erreicht seinen Höhepunkt. Schließlich werden die Schuldigen bestraft, bisweilen genügt es auch, wenn sie um Verzeihung bitten. Ruhe, der „emotionale Normalzustand“ also, kehrt wieder ein, wenn die Schuldigen nichts mehr anstellen können. Ob es sich um Stadträte handelt, die nicht in der richtigen Stadt wohnen, Steuern hinterziehende Spitzenmanager oder mit unerlaubten Pharmaka hantierende Leistungssportler, der Ablauf bleibt der gleiche. Und immer gilt: Je rascher die Betroffenen öffentlich Buße tun, desto eher ebbt der Medienskandal ab. Naturgesetzen folgt die Medienskandalisierung aber nur zum Teil: Dahinter steckt auch der der Streit von Interessengruppen um symbolische Autorität, politischen Einfluss und ökonomische Herrschaft „auf dem Schlachtplatz öffentlicher Moral“ (Burkhardt). Spannend wird es, wenn ein Skandal nicht (nur) in den Medien verhandelt wird, sondern Medien betrifft. Im Fall eines öffentlich rechtlichen Rundfunksenders hält sich die Beißhemmung von (privat geführten) Zeitungen in Grenzen. Sie betrifft es ja nicht. Das musste vor einigen Jahren die BBC erfahren, als sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, Berichte über irakische Massenvernichtungswaffen übertrieben – „sexed up“ – zu haben. Erst das legendäre Rücktritts-Email des damaligen Generaldirektors Greg Dyke, das sich heute noch immer auf der BBC-Website nachlesen lässt, nahm das Unternehmen aus der Schusslinie: „… es wird schwierig einen Schlussstrich unter die ganze Affäre zu ziehen, solange ich noch hier bin … Wir brauchen einen Abschluss, um die Zukunft der BBC zu schützen …“ Wenn, wie dieser Tage berichtet, das weltweite Flaggschiff des Zeitungsjournalismus, die New York Times, fast ein Zehntel der Journalisten hinauswirft, um ihren Shareholdern einen Gefallen zu tun, böte das ja grundsätzlich auch Stoff für einen Medienskandal um die Heuschrecken des globalen Kapitalismus. Da hält sich der weltweite Zeitungsjournalismus aber zurück. Die Berichterstattung beschränkt sich auf kommuniquéartige Notizen, die der Argumentation folgen, mit der die Times selbst den Personalabbau als notwendige Konsequenz ihrer finanziell angespannten Lage darstellte. Vielleicht ist ja alles nur Zufall, wahrscheinlich aber nicht. Denn wie Burkhardt so richtig schreibt, werden Medienskandale „nicht zufällig auf die mediale Bewusstseinsebene gespült, sondern zielgerichtet von den Medien inszeniert“. Das Hedgefonds-Thema können Zeitungen anhand der De- troiter Autoindustrie wesentlich entspannter abhandeln. Für die Zeitungen hat der zögerliche Umgang mit Skandalen um Medien nur einen Nachteil: Wenn sie den öffentlichen emotionalen Ausnahmezustand vermeiden, bleibt ihnen auch der nachfolgende emotionale Normalzustand verwehrt.
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