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Blogs auf der Probebühne |
Sonntag, 10. Februar 2008 | |
Im Herbst vergangenen Jahres berichteten wir eher skeptisch über das
Projekt des Grazer Schauspielhauses: Theater aus fünf Nationen (Polen,
Rumänien, Italien, Ungarn, Österreich) sollten das Internet nach
interessanten Blogs durchsuchen, sie erst im örtlichen Theater
präsentieren und die besten später in Graz auf einem Festival von 22.
bis 24. Mai zeigen. Am 31.1. wurde die hiesige Blog-Ausbeute – erstes Zwischenergebnis –, von Christian Winkler bearbeitet, von Georg Liebergesell und Thomas Allmer visualisiert, auf der Probebühne präsentiert. Anschließend gab es eine Diskussion unter der Leitung von Univ.-Prof. Rauch. Der Abend war ein historisches Ereignis: das erste Mal Blogs – zumindest in Österreich – auf der Bühne, das Theater war dementsprechend bis an die Grenze des feuerpolizeilich Zulässigen voll. Leider trifft die mit dem Internet, insbesondere den Blogs verbundene Entgrenzung nun auch den Berichterstatter. Soll er über eine Aufführung der Probebühne oder vom nachfolgenden Privatissimum Prof. Rauchs oder über die Diskussion berichten? Derzeit bewegt sich eine Entwicklung von der Oral- zur Schrift- und nun zu einer multimedialen Kommunikationskultur auf ihr vorläufiges Ende zu. Sokrates redete nur, sein Schüler Platon bildete das Sprechen in den Dialogen ab, Platons Schüler Aristoteles wiederum verfasste schon seine einflussreich dahinfließende Prosa. In unseren Breiten wirkten der Buchdruck und die mit ihm einhergehenden Verwerfungen der Reformation, später war es das Tandem „Buch und Aufklärung“. Nach Prof. Rauch sind wir nun „endgültig“ (am Ende der Schriftkultur) angekommen, die für die Demokratie unverzichtbaren Zeitungen werden durch Blogs, Videoblogs, Mails, SMS und dergleichen abgelöst. Schrill und schnell. Die Bearbeitung der zehn ausgewählten Blogs bestand darin, auf eigene Texte zu verzichten und ihr Material dafür auszuschneiden, zu kürzen und neu zusammenzusetzen. Dieses „cut, paste and delete“ bildet in einer Art Homologie die offene Struktur der Blogs selbst ab, das Ergebnis ist eine eher atemlose Aneinanderreihung von Bizarrerien, nicht immer ganz neuen, sketchhaften Lösungen. Fokussiert wird viel stärker auf die Kommunikationsverfahren statt auf die Inhalte. Nur bei „Metternich Null Punkt Zwo“, einer Passage, in der es um den aktuellen Datenschutz ging, schlug noch der alte Reflex des politischen Agitprop durch. Dabei hätten sich Themen wie Trauer, Isolierung, Versagensängste auch „konventionell“ oder „stimmungsvoller“ herauspräparieren bzw. -inszenieren lassen. Durchgehend herrschte aber – Frederike von Stechow mit ihrer „Frage des Tages“ und „matla“ Erik Göller als Wurstsemmelfanatiker ausgenommen – ein schriller und schneller Stil vor. Am überzeugendsten war denn auch die Abteilung Mensch und Maschine, die Interaktion zwischen Technik und Spieler. Indem jemand mit haptischen Gesten vor einer projizierten Zeichnung hochspringt, „vergrößert“ er Ausschnitte des Bildes. Das beeindruckendste Bild war tatsächlich das letzte, in dem (der überhaupt sehr energetische, gelegentlich von einem Orang-Utan am Schlagzeug ferngesteuerte) Markus Schneider im Dunkeln rasend schnell auf der Stelle rennt und unter ihm eine von der Decke projizierte Straße aus Blogadressen abläuft. Von de Sade zu YouPorn. Anfangs turnten die Schauspieler in gelben Dressen des Längeren ihre Softversionen von YouPorn vor. Pornografisches – auch von Diderot – stellte neben religiösen Erörterungen schon den explosivsten Inhalt der Bücher dar, die die Aufklärung in Gang setzten. Marquis de Sade wurde neuerdings durch ein Portal, in dem kostenlos viele hundert ziemlich harter Pornos zu sehen waren, ersetzt. In der Diskussion brachte eine Theaterwissenschaftlerin den wechselnden Begriff der Obszönität – ursprünglich das, was nicht auf der Bühne gezeigt werden darf – ins Spiel. Das neuerdings „historische“ Theater reproduziert und wirkt ja auf die Regeln ein, die in einer Gesellschaft gelten. Verschwindet mit dem Verschwinden des „Obszönen“, also mit der Notwendigkeit des Ein- bzw. Ausschlusses, nicht auch das Theater selbst? Interessant in dem Zusammenhang ist, dass YouPorn mittlerweile ebenfalls verboten wurde. Und wie verhält sich das zu der von Intendantin Anna Badora beschworenen Entgrenzung des Theaters? Wenn ein Theaterbesucher einen der im Programmblatt „Blogtxt“ veröffentlichten Links selber weiter verfolgt und die inszenierten Blogs seinerseits kommentiert, könnte er theoretisch auch Teil der Aufführung werden. Ist das Theater womöglich im Begriff, sich mit dieser digitalen Entgrenzung gerade selber abzuschaffen? Lässt sich dann alles im Theater ansehen, wenn es so weit ist. W.H.
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