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Der Jännerstreik 1918: Der größte Streik in der Geschichte Österreichs |
Sonntag, 10. Februar 2008 | |
1848 – 1918 – 1933 – 1938 – 1948 – 1968 – 1978 Im heurigen Jahr gibt es zahlreiche historische Ereignisse, derer Österreich aus Anlass des 160., 90. des 75. oder 30. Jahrestags gedenkt. So wird am 12. September in Wien im Parlamentsgebäude die „Republik.Ausstellung 1918-2008“ eröffnet. KORSO geht bis Jahresende monatlich einigen dieser Ereignisse und deren Auswirkungen auf die Steiermark nach. Dabei werden nicht die großen Ereignisse und Männer im Mittelpunkt stehen, sondern die „andere“, die vielfach vergessene Geschichte. Am Anfang steht – nicht chronologisch, sondern den Monatsrhythmus folgend – die größte Streikbewegung Österreichs, der Jännerstreik 1918. Am 18. Jänner 1918 berichtete der „Arbeiterwille“, das „Organs des arbeitenden Volkes für Steiermark und Kärnten“ unter anderem: „Über Nacht hat sich das, was die dreieinhalb Jahre Krieg an Entrüstung und Kummer, an Sorge und Leid in Millionen geplagten Menschen angehäuft haben, in einem gewaltigen Ausbruch entladen: In zahlreichen Städten und Industrieorten Österreichs wurde die Arbeit eingestellt, wie ein Lauffeuer hat die Arbeitseinstellung von Fabrik zu Fabrik, von Ort zu Ort übergegriffen. … Es trat daher gestern früh in allen größeren Betrieben in Graz volle Arbeitsruhe ein.“ Was im niederösterreichischen Wiener Neustadt am 14. Jänner als lokaler Streik wegen der Kürzung der Mehlration begann, erfasste innerhalb kürzester Zeit ganz Österreich. In der Steiermark streikten ab dem 17. Jänner über 40.000 Arbeiter und Arbeiterinnen in Graz und den obersteirischen Industrieorten Bruck an der Mur, Kapfenberg, Mürzzuschlag, Donawitz, Knittelfeld und Eisenerz. Und aus dem Streik gegen die katastrophale Versorgungslage wurde der größte politische Streik der Geschichte Österreichs. Einschränkung demokratischer Rechte. Dreieinhalb Jahre zuvor, mit Kriegsbeginn, waren in Österreich demokratische Rechte (Vereins- und Versammlungsrecht, Rede- und Pressefreiheit, …) eingeschränkt bzw. aufgehoben worden. Gleichzeitig wurden alle Zivilpersonen durch das Kriegsdienstleistungsgesetz unter militärische Disziplin gestellt und bei Zuwiderhandlung nach militärischen Gesetzen bestraft. Zudem wurden gerade erst erkämpfte Arbeitsrechte außer Kraft gesetzt. Trotz dieser Beschneidung demokratischer Rechte und der darüber hinaus immer katastrophaler werdenden Versorgungslage sollte es bis 1917 dauern, ehe das Fass überlaufen sollte. Zwar gab es 1915 einen und 1916 zwei kurze Streiks in der Steiermark, die, wie beispielsweise jener im April 1915 in Seegraben (Leoben), wo tausende Bergleute eine Erhöhung der Brot- und Mehlration sowie des Lohnes forderten, nach der Verhaftung der Rädelsführer und kleiner Zugeständnisse der Direktion wieder rasch beendet worden waren. Doch erst die März-Revolution in Russland 1917 ließ auch in der Steiermark die Forderung „Reden wir Russisch“ laut werden, hatte doch die russische Bevölkerung den kriegsmüden Österreichern gezeigt, dass auch unter den Bedingungen der Kriegsdiktatur eine Änderung möglich war. Auswirkung der ersten russischen Revolution. Die Auswirkungen dieser ersten russischen Revolution 1917 führten u. a. dazu, dass es nach Jahren des „Burgfriedens“, immer wieder zu Streiks in den steirischen Betrieben kam, die vielfach auf Initiative der Basis und ohne Zustimmung und Unterstützung der Sozialdemokratie erfolgten, wie etwa ein Bericht der Polizeidirektion Graz vom Juli 1917 nicht ohne Sorge vermerkte: „Gerade der gestrige Ausstand zeigte, dass die Vertrauensmänner, welche durchwegs der sozialdemokratischen Partei angehörten, von ihrer Parteileitung in Wien den Auftrag hatten, Ruhe zu bewahren und zu arbeiten, dass sie aber von den unzufriedenen Elementen der Knittelfelder Arbeiter zum Aufgeben der Arbeit und zum Ausstand direkt beauftragt wurden. Es ergibt sich somit die traurige Tatsache, dass auch die Vertrauensmänner nicht den entsprechenden Einfluss auf die Massen haben. Wir müssen unterscheiden zwischen der organisierten Sozialdemokratie, welche den Befehlen der Parteileitung in Wien stets gehorcht, und den nur lose organisierten, unzufriedenen Massen, dem Pöbel von Knittelfeld. … Tatsächlich aber zeigt es sich, dass die breiten Massen der Arbeiter, also die so genannten Proletarier, ganz besonders in Knittelfeld ein Faktor geworden sind, dem man entsprechende Aufmerksamkeit widmen muss. Wenn heute die sozialdemokratische Partei, welche in gewissem Sinne sicherlich mit der Regierung geht, die Macht über diese unzufriedenen Massen verliert, dann ist auch die Ruhe schwer aufrecht zu halten.“ Forderung nach Friedensverhandlungen. In dieser Situation sah sich die kaiserliche Regierung genötigt, der Sozialdemokratie mehr Spielraum zu geben und sie so als Ordnungsmacht in den Dienst zu nehmen. So wurde u. a. der Reichsrat nach dreijähriger Pause wieder einberufen und den Sozialdemokraten die Durchführung eines Parteitags erlaubt, auf dem – in Russland war es knapp davor zur Oktoberrevolution gekommen – die Forderung nach unverzüglichen Friedensverhandlungen erhoben wurden. In der Steiermark rief die Sozialdemokratische Partei landesweit am 18. November zu Friedenskundgebungen auf, bei denen eine Resolution angenommen wurde, worin die kaiserliche Regierung aufgefordert wurde, sofort Friedensverhandlungen zu führen. Zudem wurde – wie es weiter heißt – der „Erfolg der Arbeiter- und Soldatenräte, der Sieg der Bolschewiki und ihre Aufforderung zu Waffenstillstand und Friedensverhandlungen … stürmisch bejubelt – es ist doch dadurch der Welt klargemacht worden: der Kapitalismus ist der Krieg, der Sozialismus ist der Friede.“ Der Jännerstreik 1918. Als nur wenige Wochen später am 14. Jänner 1918 die Arbeiter in Wiener Neustadt die Arbeit niederlegten und diese tags darauf trotz Zensur aus der „Arbeiter-Zeitung“ erfuhren, dass die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk durch Forderungen der Mittelmächte gegenüber Russland stockten, wurde aus dem sozialen Streik ein politischer Massenstreik, bei dem erstmals – soweit hatten man „russisch“ gelernt – Arbeiterräte gewählt wurden. Auch wurde der Versuch mittels Lieferung von drei Waggons mit Speck und Kondensmilch, die Streikfront in Wiener Neustadt zu brechen, abgelehnt. Damit trat die Lebensmittelfrage in den Hintergrund. Alle Vertrauensmänner der Betriebe in Wiener Neustadt, denen sich weitere in Niederösterreich anschlossen, versicherten, solange zu streiken, bis positive Ergebnisse der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk vorlägen. Nachdem am 16. Jänner der von den Linksradikalen initiierte Streik auch auf Wien übergriff, sanktionierte die sozialdemokratische Führung den Streik mit einem Manifest und vier Forderungen an die Regierung, wonach die „Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk nicht an irgend welchen territorialen Fragen scheitern“ dürften, der Verpflegungsdienst reorganisiert werden und auf Gemeindeebene das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht unverzüglich eingeführt werden müsse und „die Entrechtung der Arbeiter durch die Militarisierung der Betriebe“ aufzuheben sei. Gleichzeitig trat die Sozialdemokratische Partei die Flucht nach vorne an, indem sie die bereits gewählten Räte der Streikenden akzeptierte und durch Wahlen weitere Streikkomitees schuf und mit ihren Vertretern besetzte. Streikbewegung in der Steiermark. Das Manifest der sozialdemokratischen Führung führte dazu, dass sich auch die Arbeiterschaft der Steiermark am 17. Jänner der Streikbewegung anschloss. Diese wuchs in den folgenden Tagen weiter an, bis schließlich am 20. Jänner mehr als eine halbe Million in der österreichischen Reichshälfte im Ausstand war. Am Abend des 17. Jänner, als die Streikbewegung gerade erst die Steiermark erreicht hatte, trafen sich Vertreter der Sozialdemokratischen Partei zu einer Beratung im Außenministerium, wo sie über Graf Czernins Absicht mit Russland zu einem Frieden zu gelangen, unterrichtet wurden. Gleichzeitig wiederholte Victor Adler, dass die sozialdemokratischen Führer „ihr Möglichstes zur Beruhigung der Arbeiter bereits getan haben und tun werden, dass aber nur eine positiv gute Nachricht aus Brest die Situation retten könne.“ Nachdem Graf Czernin am nächsten Tag in einem Telegramm die Erklärung verbreiten ließ, er „hafte und bürge … dafür dass der Friede unsererseits nicht an Eroberungsabsichten scheitern wird“ und auch die Minister für Inneres, Ernährung und Landesverteidigung zu den vier Forderungen der Sozialdemokratie Stellung bezogen hatten, die vom „Arbeiterwillen“ am 21. Jänner als „befriedigende Antwort der Regierung“ bezeichnet wurden, forderte die Sozialdemokratie – nachdem die Arbeiterratsdelegierten zuvor für die Wiederaufnahme gestimmt hatten – zur „Wiederaufnahme der Arbeit“. Während in der Steiermark die Streikenden dem Abbruch des Jännerstreiks ohne handgreiflichen Erfolg befolgten, kam es andernorts – vor allem in Wiener Neustadt, wo die Bewegung ihren Ausgang genommen hatte – bis zum 24. Jänner zu heftigen Auseinandersetzungen. Dabei wurde etwa Karl Renner, als er am 20. Jänner in Wiener Neustadt im Auftrag der Parteiführung für den Abbruch des Streiks eintreten wollte, bei seiner Ankunft von seinen eigenen Genossen verhaftet wurde. Die Folgen. In der Steiermark führten die unerfüllten Forderungen des Jännerstreiks dazu, dass es in den folgenden Monaten wiederholt zu Ausständen in den Betrieben kam und die sozialdemokratische Parteiführung alle Hände voll zu tun hatte, die revolutionäre Stimmung einzudämmen. Dass es trotz Nichterfüllung der vier Forderungen zu keiner weiteren großen Streikbewegung in den letzten Monaten der Monarchie mehr kam, hatte seinen Grund auch darin, dass die Linksradikalen in der Sozialdemokratischen Partei, die zwar stark genug waren, den Streik zu initiieren, aber zu schwach waren ihn zu führen, zum Großteil noch vor dem Ende des Jännerstreiks verhaftet wurden. Jene, denen es gelungen war, sich der Verhaftung zu entziehen, gaben noch im Jänner das Flugblatt: „Verraten und verkauft!“ heraus. Darin heißt es: „Der Kampf zur Erzwingung des sofortigen allgemeinen Friedens, den das Proletariat Niederösterreichs in so herrlicher Weise begonnen und dem sich die Arbeiter der anderen Kronländer und auch Ungarns angeschlossen hatten, ist vom Parteivorstand und einem sogenannten „Arbeiterrat“ in schmählicher Weise an die Regierung des kapitalistischen Klassenstaates verraten worden. Nichts als papierene Versprechen, leere Tröstungen und nichtssagende Phrasen hat die Regierung als Antwort auf die Forderungen der Arbeiterschaft zu bieten gewußt. Die sich „Sozialdemokraten“ nennenden Führer haben nichts Besseres zu tun gewußt, als die Arbeiter wieder in das Joch der kapitalistischen Unterdrückung zu treiben. Für jeden denkenden Arbeiter ist es heute klar, daß dieser Kampf schon im Anfang das Mißfallen der Parteiinstanzen gefunden hat, daß sie von Anbeginn gebremst haben. [...] Von den heutigen „Arbeitervertretern“ ist nichts mehr zu erwarten! Schließen wir uns selbst zu Gruppen des Kampfes zusammen! Die Gruppen mögen unter sich die Fragen des Tages besprechen, mit den Genossen der anderen Gruppen in Verbindung treten, so daß eine neue Organisation des Kampfes und der Befreiung entstehe!“ Dies sollte in der Steiermark erst um die Jahreswende 1918/19 geschehen, doch das ist eine andere Geschichte. Heimo Halbrainer
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