Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Ein anderes 8-er Jubiläum
Mittwoch, 12. März 2008
Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde

Manche Schlaumeier nutzen Jubiläen gerne, um alten Wein in neue Schläuche zu füllen und überkommene Bilder der gewandelten Wirklichkeit anzupassen. Die 8-er Jubiläen sind dafür inzwischen bereits fast berüchtigt. Schon immer haben mich aber die etwas abseitigeren Jahrestage, an denen naturgemäß weniger Schreib- und Sprachmüll produziert wird, mindestens ebenso interessiert wie die historisch und kulturell prägenden. Darin bin ich mit dem Filmkünstler und Volksbildner Kurt Palm einer Meinung (und verweise gerne auf seine Kolumne „Palmsamstag“ in der Tageszeitung Der Standard). Deshalb steht auf meinem Kalender schon seit Monaten die Notiz: 3. April 2008 – fünfzigster Todestag Theodor Kramers. Leider aber wird dieser Tag außerhalb Wiens viel zu leise vorübergehen. Denn ein Unbekannter ist dieser österreichische Lyriker, einer der bedeutendsten des vergangenen Jahrhunderts, in erheblichem Maß leider noch immer. Ohne die seit mehr als zwei Jahrzehnten beharrliche und weithin unbedankte Arbeit der Wiener Theodor-Kramer-Gesellschaft wäre sein Name vielleicht auch heute noch kaum über den Kreis von Eingeweihten und Literaturwissenschaftlern hinaus bekannt. Und erst in den letzten ein, zwei Jahrzehnten fand er allzu vorsichtig Eingang in die Lesebücher der österreichischen Schulen.

Unorthodoxe Annäherung.
Verlogene Idylle!, sagte ich zu mir. Ich erinnere mich genau: Ekel, Abscheu, Verachtung – nichts sonst hatte ich empfunden, als ich damals mit den folgenden Versen konfrontiert worden war. Als Schüler. „Heimat“ hieß das Gedicht und endete so: „Sie zeigt mit keuscher Kraft/ die ihre traute Welt/ und drüber riesenhaft,/ und drüber riesenhaft/ ihr Sternenzelt.“ Längst hatte ich dieses Gedicht vergessen und verdrängt, bis mir kürzlich ein AHS-Lesebuch in die Hände fiel. Zugelassen mit Erlass des Bundesministeriums – komischerweise im Mai 1968 –, bis weit in die Siebzigerjahre und darüber hinaus in Gebrauch. Autor der Verse, lese ich, ein Zeitgenosse Theodor Kramers, Max Mell (1882-1971). Zu diesem gibt das Lesebuch damals bekannt: „Dramatiker, Erzähler, Lyriker, Erneuerer des mittelalterlichen Legendenspiels“. Unerwähnt bleibt: „1933 trat er mit anderen österreichischen Autoren demonstrativ aus dem P.E.N.-Club aus und bekannte sich dadurch zum (deutsch)nationalen Lager. Er avancierte in der Folge zum Präsidenten des in der Verbotszeit NS-nahen ‚Bundes deutscher Schriftsteller Österreichs’ und publizierte nach dem Anschluss in diversen NS-Anthologien. Nach 1945 wurde er zu einem prominenten Vertreter der katholischen Dichtung in Österreich.“ (Wikipedia; auch das ist noch etwas geschönt: Der Bund deutscher Schriftsteller in Österreich war nicht nur NS-„NAHE“, sondern DIE Schriftstellerorganisation der österreichischen Nationalsozialisten.)
„Mit keuscher Kraft“ – da war sie, die mir fremde „Heimat“. Bodenlose schwülstige Verklärung fernab von der Wirklichkeit, stets Charakteristikum dieser Art von Dichtung – noch vor drei, vier Jahrzehnten prägend in diesem Land. Nebenbei: Fällt nicht auf den Text der Österreichischen Bundeshymne der Paula von Preradovic (Molden) ein Schatten gerade auch in diesem Sinn? – Wie auch immer, Lyrik Mellscher Machart wurde erst durch eine deutlich hörbare Angriffswelle in diesem Land merklich erschüttert: Artmann voran, „wos an weana olas en s gmiad ged“, um ein charakteristisches Beispiel zu nennen. Oder Handkes „Aufstellung des 1.FC Nürnberg vom 27.1.1968“ als Poem. – Der Untergang des Abendlandes stand sozusagen knapp bevor.

Andere Angriffe folgten. Pop-Lyrics beispielsweise. Aber es ist nicht alles Abfolge. Zur gleichen Zeit gab es auch die vom offiziellen Literaturbetrieb weithin unbeachtete Dichtung der seit den Dreißigerjahren Verfemten, der großteils aus Österreich Vertriebenen, der Dichter des Exils und des Widerstands. Allerdings erscheint, um nur ein Beispiel zu nennen, der 1946 von Theodor Kramer selbst fertig gestellte, fast zweihundert Seiten starke Gedichtband „Lob der Verzweiflung“ erstmals erst 1971 – in bescheidener Auflage. Und wird, wie in meinem eigenen Exemplar nachvollziehbar ist, noch 1988 mit Leineneinband um 38 Schilling verramscht. Damals wie vielfach noch heute hängt über den Werken Kramers und anderer, soweit man sie überhaupt zur Kenntnis nimmt, das Verdikt der Unmodernität, des literarisch Rückständigen. Dazu mag, um bei Theodor Kramer zu bleiben, auch beitragen, dass seine Verse oft bernsteinartig einen untergegangenen oder untergehenden Sprachschatz des dörflichen und städtischen Lebensalltags aufbewahren, der seinesgleichen sucht. Der Krampen, der Seim, der Pfründner, der Zuckerkand, der Mergel, der Stecken, der Blust, der Kotter und Unzähliges mehr. Nicht zu reden von Worten wie zuzeln, ausdörren, greinen, zerscherben, grundeln und anderen. Mit Blick auf die Kritiker Kramers schrieb der Schriftsteller Erich Hackl vor einigen Jahren: „Als Hofpoet der Demokratie und Verherrlicher der Roten Armee wurde er missachtet, als ahnungsloser Ästhet, der im jüdischen Jargon sehr zu Hause sei, als Spießer, Naturidylliker, Sauf- und Schollendichter, der sich fast jeder aktuellen Stellungnahme enthalten und nichts Neues gewagt habe. Einige dieser Attacken erweisen sich ohnehin als verhohlenes, unfreiwilliges Lob, die restlichen verdienen Verachtung; es gibt Grobheiten, denen nur grob beizukommen ist.“
Selektiv und einseitig das alte Lesebuch durchstöbert – wie fremd die Mell, Nabl, Carossa, Waggerl, Klöpfer, Billinger usw.! Wie sehr zu Hause dagegen bei dem dort fehlenden Kramer!
1957, einige Monate nach seinem 60. Geburtstag, kehrt Theodor Kramer nach achtzehnjährigem Exil in England schwerkrank nach Wien zurück. Unter wesentlicher Mithilfe der Schriftstellerin Hilde Spiel und des Staatssekretärs im Außenministerium Bruno Kreisky. Sechs Monate später stirbt er nach Gehirnschlag und Lungenembolie. Er ist begraben am Wiener Zentralfriedhof.

Schön sind Blatt und Beer
Und zu sagen wär
Von der Kindheit viel und viel vom Wind;
Doch ich bin nicht hier,
und was spricht aus mir,
steht für die, die ohne Stimme sind.

Theodor Kramer

Über Theodor Kramer
Franz Werfel: …eine ganz große Seltenheit in unserer Zeit, ein wirklicher, echter Dichter von ganz außerordentlichen Gnaden und Gaben…
Stefan Zweig: …seine Versbücher gehören längst zum unzerstörbaren Bestand deutscher Lyrik, und es ist keiner unter uns, der für Theodor Kramer nicht die äußerste Bewunderung hätte.
Carl Zuckmayer: …der stärkste Lyriker Österreichs seit Georg Trakl.
Hilde Spiel: Wenn er, einer der größten deutschen Lyriker, in der Fremde schrieb „Ich preise die Scholle, die einst mich gebar“, dann hatte er mehr Recht auf dieser Scholle als jeder, der auf ihr verblieben und dem dummen deutschen Mythos erlegen war.

Karl Wimmler, Jahrgang 1953, Angestellter, Historiker, Gelegenheitsschriftsteller, lebt in Graz. Nächste Folge von „Meine heimatliche Fremde“: „Admont, die schönen Berge und der Krieg“



Buchempfehlung: Theodor Kramer, Solange der Atem uns trägt. Sechsmal zwölf Gedichte.
Ausgewählt und eingeleitet von E. Chvoijka, E. Hackl, S. Bolbecher, K. Kaiser, P.-H. Kucher und D. Strigl, Verlag der Theodor Kramer-Gesellschaft, 12,90 Euro

Ausstellung:
„VOM NICHT-BEIGEBEN“, Aktionsradius Wien und Theodor Kramer Gesellschaft, 1200 Wien, Gaußplatz 11, Mo-Do 10-17 Uhr, bis 4. April.

Veranstaltungen:
Beim Stromwirt, Vertonte Kramer-Gedichte mit Doris Windhager, Georg Siegl, Abdula Ibn Qadr, Dienstag 11. März, 19:30 Uhr, Wien, Gaußplatz 11, 10,- Euro
Podiumsdiskussion: Theodor Kramer – Liebe, Eros, Prostitution, Dienstag 18. März, 19:30 Uhr, Gaußplatz 11, Eintritt frei
Podiumsdiskussion: Theodor Kramer und der Sozialismus, Dienstag 25. März, 19:30 Uhr, Gaußplatz 11, Eintritt frei
Hans-Eckhart Wenzel, Lieder am Rand, Dienstag, 1. April, 19:30 Uhr, Gaußplatz 14, Kirche, 15,- Euro.
Festveranstaltung zum 50. Todestag Theodor Kramers, Mittwoch, 2. April, 19:30 Uhr, Wiener Urania, Uraniastr.1, Eintritt frei
Besuch des Ehrengrabes Theodor Kramers, Donnerstag 3. April, Treffpunkt 17:00 Uhr, Zentralfriedhof (2.Tor) I
Stadtflucht ins Theodor Kramer-Land, Busfahrt-Wanderung, Treffpunkt 9:00 Uhr, Gaußplatz 11, Rückkunft Wien ca. 22:00 Uhr, € 18,-, Anmeldungen bis 21. April unter Tel. 01/3322694, office@aktionsradius.at
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