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Oedipus als Thriller
Mittwoch, 12. Dezember 2007
Langer, ovaler Tisch, schweres Telefon, das Bürogerät noch ohne Elektronik, Männer in klassischen, aber nicht zu modischen Anzügen. Keine Frage, wir sind im Krisen-Zentrum der Macht (Bühne Damian Hitz).

Die Dinge laufen nicht gut in Theben: Seuchen, eine alte Angelegenheit, ein Mord will gesühnt werden. Aha, Mythologisches im Stil der Fünfziger- oder Sechzigerjahre, Helmut Käutner vielleicht oder, noch besser,
Noelte.

Claudius Körber als Oedipus gibt cool einen Aufdecker, der zugleich Richter ist. Endlich einmal keine akrobatischen Einlagen, keine neckischen Reflexionen über das Theater und endlich, endlich keine Live-Band auf der Bühne. Nur sparsamer Jazz von Patrik Zeller, geschmackvoll unheildrohend.

Ingo Berk inszeniert Sophokles’ Tragödie über die Unentrinnbarkeit des Schicksals als zeitlos-verstaubten Superthriller. Der Sound der Aufführung besticht mit unterkühlter Sachlichkeit und der mittlerweile etwas zähe Text von Sophokles ist nicht nur geschickt gekürzt, sondern wird auch mit schöner Beiläufigkeit gesprochen. Gerti Pall als Teiresias zu besetzen (der greise Seher war auch mal zu einer weiblichen Existenz verdammt, was er sexuell sehr genossen haben soll), ist eine schöne Idee, zu der Ingo Berk ansonsten wenig eingefallen ist. Gerhard Balluch spielt sparsam und intensiv den Chor der Tragödie als staatstragender Beamter.

 

 

Großer Brocken auf der Probebühne. Aber je mehr Oedipus als Verfolger ahnt, dass er selber der Gejagte sein könnte, desto lauter wird die Aufführung. Claudius Körber fasziniert, solange er alles im Griff hat. Aber vor der enormen emotionalen Spannbreite der Figur flieht er in eine üble Bühnenaufgeregtheit. Markus Schneider als buchhalterischer, trockener Schwager Kreon gerät da weniger aus der Fassung. Und Martina Stilp spielt wunderbar und zurückhaltend Iokaste, eine sinnliche und mütterliche, zugleich unschuldige und reife Königin. Wenn sich das schöne Wirtschaftswunderstyling der Inszenierung in zeitlos-jugendlicher Expressivität auflöst, spielt sie noch das fürchterlichste Drama in aller Stille. Zärtlich und fast beiläufig verabschiedet sie sich von Oedipus, ihrem „Unglücksmann". Am Ende kriegt der Zuseher erst vom Chor beziehungsweise Balluch das schreckliche Ende des Oedipus erzählt, der entsprechend der Prophezeiung den Vater erschlagen und seine Mutter geheiratet hat, um seinen Kindern ein Bruder zu werden. Und dann ein markdurchdringender Schrei, und die gleiche Story diesmal live. Leblos am Boden Iokaste, daneben Oedipus, der sich rücksichtsvoll am Spülbecken die Augen ausgestochen und, der blutigen Unterwäsche nach zu schließen, sogar den Penis abgeschnitten hat. Ein bisschen hat er noch zu warten, ehe er sich in die Wildnis zurückziehen kann, um dort, wie ursprünglich von den Eltern angedacht, umzukommen. Kreon, der Buchhalter, muss erst bei den Göttern nachfragen, was sie eigentlich vorhaben.

 

 

Ingo Berk hat mit Sophokles’ „Oedipus" einen schweren Brocken auf die Probebühne gewuchtet und sich jedenfalls keinen Bruch dabei gehoben. Ganz vorzügliche Gelegenheit, sich einen Menschheitsklassiker oder genialen Thriller reinzuziehen. Noch am 9. und 21. 12. auf der Probebühne.

Willi Hengstler

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