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Wir leben auf zu großem Fuß |
Mittwoch, 12. Dezember 2007 | |
Der globale Klimawandel ist in den vergangenen Monaten zu einem Thema geworden, das mit zunehmender Intensität in den Medien ebenso wie in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Dabei haben sich – unterstützt von Filmen wie „5 vor 12" – bedrückende Bilder von rauchenden Industrieschloten, endlosen Verkehrsströmen, abgeholzten Wäldern oder riesigen Rinderherden in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Auch wenn die schnell geschnittenen Filmsequenzen zu einem Umdenken mit beitragen mögen, täuschen diese stereotyp fabrizierten Impressionen, die eher Emotionen wecken als Wissen vermitteln, gerne über ein wichtiges Faktum hinweg: Es ist unser aller Lebensstil, vor allem in den wohlhabenden Ländern, der unserem Planeten Erde seit einigen Jahrzehnten viel mehr abverlangt, als er auf Dauer aushalten kann – und – so der schwarze Kommentar von Klimatologen – wir haben leider keinen zweiten im Gepäck. Umdenken bei der Ernährung ist das Schlüsselthema. Wie eine Rückwendung zu naturnaheren Wirtschaftsweisen bei der Erzeugung von Lebensmitteln bereits sehr viel für den Klimaschutz bewegen kann, wurde Ende November auf dem 11. ALPE-ADRIA-Biosymposium „Biolandbau ist aktiver Klimaschutz" im forumKLOSTER in Gleisdorf diskutiert. Das Symposium, das jedes Jahr in einer anderen Mitgliedsregion (Steiermark, Friaul Julisch-Venetien, Südtirol, Veneto, Kärnten, Slowenien, Kroatien) stattfindet, legte heuer den Schwerpunkt auf die regionale Energienutzung, die Nutzung nachwachsender Rohstoffe sowie die Rolle des Bio-Landbaus zur Vermeidung von Treibhausgasen. Herbert Kain, Obmann der Bio Ernte Austria, definierte bei der Eröffnung der Veranstaltung den Öko-Landbau als ein Schlüsselthema der Zukunft: „Die Region Bio Alpe Adria setzt auf eine Stärkung der Initiativen im Ökobereich, um wieder mehr nachhaltiges Denken und Tun in die Landwirtschaft zu tragen – hinter dieser Idee stehen mittlerweile über 6.000 bäuerliche Bio-Betriebe, die für den aktiven Klimaschutz in der Region zu einem beachtlichen Faktor geworden sind."
Der Klimawandel ist eine Tatsache. Das ernste Hintergrundthema der Tagung wurde durch die Ausführungen von Wissenschaftlern des Grazer Wegener Zentrums für Klima und Globalen Wandel hervorgehoben. Dass die Klimaveränderung heute zu einem Gutteil auf das Wirken des Menschen zurückgeht, wird von der seriösen Klimaforschung nicht mehr in Frage gestellt. Allein über das regional unterschiedliche Ausmaß der Änderungen wird noch diskutiert. Univ. Prof. Dr. Gottfried Kirchengast erläuterte die durch den jüngsten Report des UN-Wissenschaftlergremiums IPCC bestätigten Erkenntnisse seiner Zunft: „Die Ergebnisse der Weltklima-Berichte fordern uns zu raschem Handeln auf, denn insbesondere in Zentraleuropa bzw. im Alpenraum werden die Folgen der Erderwärmung sehr bald deutliche Auswirkungen zeigen." In diesem Kontext werde die Nutzung regionaler Energieressourcen eine zunehmend wichtige Rolle spielen, ergänzte sein Kollege AO Univ. Prof. Dr. Karl Steininger: „Ein Stopp in diesem fortschreitenden Prozess wird nicht ohne eine massive Änderung unseres Lebensstils zu erreichen sein – und zwar in allen Bereichen, ob Hausbau, Mobilität oder Ernährung."
Ökologischer Fußabdruck als Maßstab. Einen Begriff von den Auswirkungen unseres individuellen Konsumverhaltens gibt ein bereits Anfang der neunziger Jahre entwickelter Index, der anzeigt, wie viel Fläche wir auf diesem Planeten für unsere Lebensgewohnheiten verbrauchen. Univ. Prof. DI Dr. Michael Narodoslawsky vom Institut für Ressourcenschonende und Nachhaltige Systeme (TU Graz) hat ein Modell für die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks entworfen, der die Ausmaße unseres verschwenderischen Lifestyles anschaulich widerspiegelt. „Diese Berechnungsmethode berücksichtigt sowohl den beruflichen wie den privaten Verbrauch. Die Schadstoffe werden umfassend einbezogen und nicht auf CO2-Emissionen reduziert", erklärt Narodoslawsky das gemeinsam mit Studenten erarbeitete System, das wenig erfreuliches über unser Konsumverhalten aussagt: „Wir verbrauchen weitaus mehr Natur als ökologisch vertretbar ist, ein Mensch, der in seinem Lebensstil keine Rücksicht auf die kommenden Generationen nimmt, kann sogar mehr als das 40-Fache der für ihn vorgesehenen Fläche besetzen." Die Konsequenz steht für Narodoslawsky fest: „Die Grenzen des Wachstums sind erreicht und ein Denken in Kreisläufen wieder gefragt. Die Landwirtschaft steht vor einem tief greifenden Wandel, denn biogene Ressourcen können nur mit dem paradoxen Begriff einer ‚beschränkten Unendlichkeit‘ umschrieben werden. Sie sind zwar zeitlich unendlich verfügbar, können aber bei weiterem Wachstum der Wirtschaft fossile Rohstoffe nicht einfach ersetzen. Einer geschätzten Nettoprimärproduktion von etwa 50-60 Gt/a an biogenem Kohlenstoff steht ein geschätzter Verbrauch von etwa 45 Gt/a Kohlenstoff im Jahr 2050 gegenüber, wenn Energie, Chemierohstoffe und Nahrungsmittel abgedeckt werden sollen, damit müsste quasi die gesamte Natur für den Menschen herhalten."
Wir fressen die Erde auf. Ein ähnliches Fußabdruck-Modell des Forscherduos William Rees und Mathis Wackernagel (das v.a. auf Grundlage des Energieverbrauchs kalkuliert wird) kommt in seiner Zusammenfassung zu ähnlich dramatischen Ergebnissen: „Wenn alle Menschen so verschwenderisch leben würden wie wir in Europa, dann benötigten wir drei Planeten die mit einer Biosphäre wie Erde. Den größten Einfluss auf unseren ökologischen Fußabdruck hat mit einem Drittel die Ernährung. Es folgen die Bereiche Wohnen und Energie mit einem Viertel, Mobilität mit einem Fünftel und die Produktion von Konsumgütern mit rund einem Sechstel." Mag. Christian Salmhofer vom Klimabündnis Kärnten brachte das brisante Thema für die Teilnehmer des Biosymposiums ebenfalls auf den Punkt: „Schon jetzt übernutzen wir unseren Planeten, dessen Produktionskapazitäten begrenzt sind. Ein Bewohner Österreichs benötigt allein für seine Ernährung im Durchschnitt 1,6 Hektar an fruchtbarem Land, dabei schlägt der enorm hohe Fleischkonsum am meisten zu Buche. Insgesamt braucht er für seine Nahrung mehr Fläche als für Wohnen und Mobilität, auch bedingt dadurch, dass rund die Hälfte der gekauften Lebensmittel weggeworfen wird."
Große Ansprüche an einen kleinen Planeten. Der Greenpeace-Aktivist Wolfgang Pekny, Projektleiter der Plattform Footprint, mahnt: „Längst darf man sich die Welt nicht mehr als unerschöpfliche Wildnis vorstellen, die Natur nicht als Selbstbedienungsladen, die sie über Jahrtausende tatsächlich war. Wie keine andere Technologie (ver-)braucht Landwirtschaft Natur und hat damit den Erdball von Grund auf verändert." Neben dem Klimawandel sind für ihn das Schwinden der Artenvielfalt, die Abholzung der Urwälder und die rasant fortschreitende Bodenerosion die deutlichsten sichtbaren Hinweise für eine globale Übernutzung. Diese lassen sich, so Pekny, in drastische Zahlen fassen: „Die landwirtschaftlichen Nutztiere machen bereits fünfundneunzig Prozent der Biomasse aller an Land lebenden Wirbeltiere aus und die Treibhausgas-Emissionen der globalen Viehhaltung übertreffen jene des weltweiten Verkehrs." Ein Ende der Fahnenstange ist für Pekny daher nicht mehr weit entfernt: „Die Erde als Ganzes bietet etwa 11,5 Milliarden Hektar biologisch produktiver Fläche. Bei fairer Aufteilung auf die heute 6,7 Milliarden Menschen ergibt das pro Erdenbürger weniger als 1,8 Hektar, bzw. bei Einbeziehung der Naturräume bleiben gerade 1,4 Global ha (eine standardisierte Wirtschaftsfläche). Dieser Anteil wird weiter schrumpfen, da die Weltbevölkerung auf 9 Milliarden anwachsen wird, und zugleich fruchtbarer Boden durch Versiegelung, Erosion und Versalzung verloren geht."
Regionale Wirtschaft und Bio-gene Wende. Es gibt jedoch abseits dieser düsteren Szenarien auch hoffnungsvolle Ansätze zu einem Umdenken für eine verantwortungsvollere Nutzung der vorhandenen Ressourcen, wie sie in naturnahen, ökologischen Wirtschaftsweisen von Biobauern betrieben wird. Dazu bedarf es Synergien durch einen effizienteren Umgang mit den Rohstoffen, plädiert DI Dr. Horst Steinmüller vom Energieinstitut der Johannes Kepler Universität Linz: „Mit einer alternativen Nutzungsform von Grünland, der so genannten Grünen Bioraffinerie, könnten viele Nebenprodukte in industriell etablierten Verwertungen (z.B. als Milchsäure) Fuß fassen und so ökologische Wirtschaftsformen konkurrenzfähiger machen." Der Blick des Mitteleuropäers auf die dringliche Notwendigkeit eines einschneidenden Wandels unserer Lebensgewohnheiten wird insbesondere durch die kommerzielle „Kolonisierung" der Dritten Welt verstellt, betont Mag. Hans Putzer, Verfasser des Buches „Essen Macht Politik": „Die Zusammensetzung unseres Nahrungsmittelverbrauchs hat unmittelbaren Einfluss auf die soziale und ökologische Situation etwa in Südamerika, davor dürfen wir die Augen nicht länger verschließen." Regionale Wirtschaftskonzepte, die auf eine Versorgung aus der näheren Umgebung setzen, sollten daher nicht als blinder Konsumpatriotismus verstanden werden, sondern als ein maßvoller Umgang mit den Ressourcen, wie er noch vor hundert Jahren selbstverständlich war. Doch sollte man das Kind nicht mit dem Bad ausschütten, warnt Salmhofer: „Die überwiegende Mehrheit der Menschen meint mit Nahrungsmitteln, die wenig Kilometer auf dem Buckel haben, bereits das wesentlichste für das Klima getan zu haben, nach dem Motto: ‚Apfelsaft aus der Region statt Orangensaft aus Brasilien!‘ Doch diese verkürzte Sichtweise führt in die Irre."
Josef Schiffer
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