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Esteban Volkov: "Ich habe nur diese eine Geschichte zu erzählen" |
Mittwoch, 12. Dezember 2007 | |
Nahezu seine gesamte Familie wurde von Stalins Agenten ermordet. Er selbst erlebte nach dem Gang ins Exil seine Jugend unter anderem in Deutschland, der Türkei, Frankreich, Mexiko und in den Jahren 1933 bis 1935 auch in Wien. Von 8. bis 11. November besuchte Esteban Volkov, Enkel des russischen Revolutionärs Leo Trotzki, zum insgesamt dritten Mal Österreich. Samuel Stuhlpfarrer begleitete den heute 81-Jährigen. Als Esteban Volkov am Donnerstagnachmittag in Wien landet, wirkt er müde. Immerhin hat er erst am Vortag an einer Veranstaltung des Socialistik Standpunkt in Kopenhagen teilgenommen. Stolz trägt er noch eine Ausgabe des „Nyhedsavisen", einer der auflagestärksten dänischen Tageszeitungen, bei sich, die ein Interview mit ihm an prominenter Stelle abgedruckt hat. Volkov ist ein gefragter Mann, jährt sich doch dieser Tage die große Rote Oktoberrevolution zum 90. Mal. Darin, dass deren Organisator und neben Lenin wichtigster Akteur, Leo Trotzki, Volkovs Großvater war, liegt der Hauptgrund für die intensive Reisetätigkeit des Enkels. Gefragt, ob er das Erbe des Großvaters mitunter als Bürde empfinde, wiegelt Volkov zunächst ab: „Naja, jeder lebt sein eigenes Leben", um nachzusetzen, „aber klarerweise habe ich im Hinterkopf immer meinen Großvater. Sein Leben hat ja auch mich entscheidend geprägt". Und tatsächlich ist Volkovs Werdegang untrennbar mit der Geschichte Leo Trotzkis verbunden. Als dieser im Machtkampf mit Stalin endgültig unterliegt und 1929 ins Exil muss, lernt auch der kleine Vsievolod, wie Esteban Volkov ursprünglich hieß, den stalinistischen Repressionsapparat kennen. Sein Vater, Platon, wird Anfang der 1930er Jahre interniert und später erschossen. Die Mutter, Zinaida, verlässt 1931 Russland. Vor die Wahl gestellt, zu bleiben oder nur eines ihrer Kinder mitzunehmen, entscheidet sie sich für Vsievolod und das Exil. Zwei Jahre später nimmt sie sich in Berlin das Leben. Volkovs Odyssee findet in Wien ihre Fortsetzung. Eine Handvoll Sympathisanten rund um den Psychoanalytiker Wilhelm Reich nehmen auf Trotzkis Bitte Vsievolod unter ihre Obhut. Hier lernt Volkov vorübergehend Normalität kennen. Er besucht eine Montessori-Schule und lebt in derselben Unterkunft wie Reichs Tochter. 1934 wendet sich das Blatt. Volkov: „Auch wenn man versuchte, uns in einem geschützten Bereich aufzuziehen, so war die Nervosität unter den Linken spürbar. Ich kann mich noch an die Bilder erinnern, den Karl Marx Hof – umstellt von Soldaten – und die Aufmärsche der Faschisten."
Unsichere Lage. Die Lage im Ständestaat wird von den Unterkunftgebern als zunehmend unsicher eingestuft. 1935 übersiedelt Volkov zu seinem Onkel Lyova nach Paris. Nach dessen Ermordung 1939 holt Trotzki den Enkelsohn zu sich und seiner Ehefrau Natalia Sedowa nach Coyoacán, Mexiko. Am 24. Mai 1940 schlägt das erste Attentat auf Leo Trotzki fehl. Volkov: „Ich hatte ein kleines Zimmer mit einem Bett in unserem Haus. Als ich die Schüsse hörte, lief ich in eine Ecke des Zimmers und kauerte mich zusammen. Aber die Kugeln durchbohrten mein Bett." Esteban, wie Volkov sich nunmehr nennt, wird angeschossen. Angst habe er in der Folgezeit dennoch nie verspürt; „ein natürlicher Schutzmechanismus", wie er heute vermutet. Ein Umstand, der im Übrigen auch auf seinen Großvater zutreffe: „Trotzki öffnete nach dem ersten Attentat jeden Morgen das Fenster und sagte zu Natalia: ‚Sie haben uns einen weiteren Tag geschenkt.’ Er hatte keine Angst, aber er wusste, dass das nächste Attentat nicht fehlschlagen würde." Am 20. August 1940 wird die Ahnung zur Gewissheit: Der GPU-Agent Frank Jackson (eigentl. Ramon Mercader, Anm.) schlägt Trotzki einen Eispickel in den Schädel. Der Organisator der Oktoberrevolution und Führer der Roten Armee stirbt einen Tag darauf an seinen Verletzungen.
Revolutionär und Chemiker. Esteban Volkov lebt die folgenden Jahre bei Natalia Sedowa. Die Witwe und der Waise erleben eine nicht immer friktionsfreie Zeit, wie Volkov schmunzelnd erzählt: „Ich war ja im jugendlichen Alter, ein Rebell, und Natalia war in einem anderen Stadium ihres Lebens, viel disziplinierter. Da gab es einige Reibungen. Man könnte sagen, dass ich oft den Weg verloren habe." Volkov verkehrt in den folgenden Jahren weiter in revolutionären Kreisen, wird selbst aber nicht in organisierter Form politisch aktiv. Neben seiner Tätigkeit als Chemiker, wobei er sich auf die Synthetisierung von Hormonen in der Pharmaindustrie spezialisiert und einen wichtigen Beitrag zur industriellen Herstellung der Anti-Baby-Pille leistet, widmet er sich dem Aufbau des Museo Leon Trotsky in Coyoacán, dem er seit seiner Pensionierung 1989 als Sekretär zur Seite steht. Zur politischen Situation in Mexiko will sich Volkov nicht äußern. Auf die Frage, ob dies damit zusammenhänge, dass der Aufenthalt der Familie Trotzki dereinst an die Bedingung geknüpft war, sich aus der mexikanischen Innenpolitik tunlichst herauszuhalten, entwischt ihm ein „vielleicht". Die Bolivarische Revolution in Venezuela beurteilt er hingegen vorsichtig positiv: „Jede Revolution geht ihren eigenen Weg und der Erfolg einer Revolution liegt in der Methode, wie man den Marxismus auf die Situation anwendet. Offensichtlich hat Hugo Chavez die Ideen und das Programm Leo Trotzkis wieder ausgegraben und das ist ein gutes Zeichen." Für die weitere Entwicklung sei vor allem entscheidend, ob die PSUV (Sozialistische Einheitspartei Venezuelas, Anm.), sich als Instrument erweise, die Anliegen der Basis zu kanalisieren, oder aber eine tatsächlich demokratische Praxis zulasse.
Dichtes Wien-Programm. Zurück nach Wien: Es ist das dritte Mal in seinem Leben, dass Esteban Volkov diese Stadt besucht und er hat sich dafür ein dichtes Programm zurechtgelegt. Freitagvormittag ein Pressetermin, danach Mittagessen im Café Rüdigerhof, das auch der Großvater sehr geschätzt haben soll. Nachmittags ein Besuch im Vorwärts-Haus, der ehemaligen Zentrale der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs. Und nicht zuletzt ein Abstecher ins Freud-Museum. Das Interesse für Psychoanalyse teile er im Übrigen mit seinem Großvater, erzählt Volkov, „auch wenn mir die Zeit für intensive Beschäftigung fehlt". Am Samstagabend tritt er schließlich mit dem Soziologen und Herausgeber der Trotzki-Schriften, Helmut Dahmer, und Josef Falkinger, Redakteur der Zeitschrift „Der Funke", im Wiener WUK auf. Man begeht in einer Festveranstaltung den 90. Jahrestag der Oktoberrevolution. Volkov erzählt seine Geschichte von Neuem, er bekräftigt, dass er nicht den geringsten Zweifel habe, dass die Menschlichkeit nur im Sozialismus verwirklicht werden könne. Und Volkov weiter: „Ich kenne keinen anderen Menschen, der das mit einer Gewissheit sagte wie Trotzki." Die Sätze wirken mittlerweile etwas stereotyp. Darauf angesprochen entgegnet Volkov lächelnd: „Wissen Sie, ich habe nun mal nur diese eine Geschichte zu erzählen".
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