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Erwin Posarnig: Sozialkunst-Netzwerker mit der Knarre
Archiv - Rezensionen
Dienstag, 14. März 2006
ImageDem Publikum wurden im Foyer des Forum Stadtpark Strumpfmasken zur Verfügung gestellt. Es befanden sich AktivistInnen der AKTIONSGRUPPE/GRAZ und deren Fraktion AKTIONSGRUPPE GEWALT/Graz Süd im Raum. Die Verunsicherung wurde durch die Anberaumung des Künstlergespräches am Faschingsdienstag nicht sehr gemindert. Wer ist wer? Und wer ist der vermummte Mann im Kampfanzug mit Kalaschnikow? – Wer ist der Künstler Erwin Posarnig und was hatte er über seine Arbeit der vergangenen drei Jahre zu erzählen?

Ein internationales soziales Netzwerk. „Alles begann", setzt Posarnig an, „1997 mit dem Motto „Kunst mischt sich ein, Kunst ist unbequem’". Mit Gründung der Gruppe KUNST://ABSEITS VOM NETZ (KAVN) entwickelte er eine „permanent-temporäre" Stadt-skulptur mit der Intention, die Lebensbedingungen marginalisierter Menschen zu verbessern – Posarnig versteht Kunst auch als soziales Handlungsfeld. Im Grazer Ressidorf installierte KAVN Niedrigenergie-Wohnmodule für Obdachlose. Im Kulturhauptstadtjahr wurde die Stadtskulptur durch ein „reales und virtuelles Netz" von „U-Bahnstationen" erweitert. Blaurote Hinweisschilder bezeichnen ein System von Überlebensräumen in der Stadt, dazu zählen beispielsweise ein Wartezimmer im Grazer Sozialamt, Gemeinschaftsräume im Ressidorf oder ein Abschiebecontainer am Flughafen Graz. Mit der Stadtverwaltung von St. Petersburg konnte im selben Jahr eine Kooperation vereinbart werden, in deren Rahmen das U-Bahnnetz ausgedehnt wurde, eine für zwei Jahre finanzierte Medienklasse für Schüler wurde eingerichtet. Teil des Netzes war eine temporäre Galerie in St. Petersburg, in der österreichische und KünstlerInnen aus Russland ihre Arbeiten präsentierten.

Auf dem Areal eines ehemaligen Bunkers im Stadtzentrum wurde ein Spielplatz errichtet. Die mittels Hinweisschildern bezeichneten und verknüpften Orte der U-Bahnstationen sind für Posarnig Metapher eines der vordringlichsten Probleme unserer Zeit: Den Zugang zu Netzwerken zu finden. Wem Zugänge verwehrt bleiben, der befindet sich in vielfacher Hinsicht „abseits vom Netz". Im selben Maß wie die Wirtschaft in internationalen Netzwerken agiert, sind auch soziale Netzwerke vor die Aufgabe gestellt, international zu agieren. So konnten Posarnig und KAVN auch im Gymnasium von Odzak (Nordbosnien) eine Multi-Media-Klasse mit 15 Computern einrichten, in Sarajevo wurde ein Architekturworkshop zum Thema Minimal Housing initiiert; Überlebensräume wurden in Köln und Aarhus (Dänemark) durch U-Bahnschilder bezeichnet.

Untersuchungen gegen die Kunst. Ein schon Jahre zuvor sukzessiv erweitertes Projekt im öffentlichen Raum von Graz erwies sich erst in seiner weiteren Ausführung als kompliziert. Massive, mit Sitzbänken kombinierte rote Tische, die Posarnig bisher schon über die Stadt verteilt hatte, sollten im Kulturhauptstadtjahr unter dem Projekttitel Vis a vis für Unmut bei der Stadtverwaltung sorgen: Plötzlich galten die bis dahin tolerierten Sitzgelegenheiten als Barrieren, durch die angeblich die Sicherheit gefährdet war oder gar „der Rasen beschädigt wurde".

2005 trat Erwin Posarnig als Sprecher der im übrigen anonym aufgetretenen AKTIONSGRUPPE GEWALT auf. Im Rahmen des Forum-Festivals Die fünfte Gewalt, betitelt nach einer in Le Monde erhobenen These von Ignacio Ramonet (siehe www.korso.at/korso/kunst/kkthemen_0204.htm), neben Wirtschaft, Legislative, Judikatur und Exekutive stellten die Medien besagte fünfte „Gewalt" dar, versammelte das Forum Stadtpark künstlerische Interventionen zur Globalisierung. Die Aktionsgruppe präsentierte eine Installation aus 160 Klappstühlen, auf denen „Nachdenkaufkleber" mit Phrasen wie „Sind Sie integer genug, um hier Platz zu nehmen?" angebracht wurden. Dass diese Aufkleber, und vor allem einer mit der kaum widerlegbaren Aufschrift „Es gibt Tote" im Tätigkeitsbereich des damaligen Wirtschaftslandesrates gefunden wurden, sollte zum Auslöser polizeilicher Ermittlungen werden. Vor allem „ ... die Kronen Zeitung hat den Köder gefressen", erzählt Posarnig, sie titelte: „Todesdrohung gegen LR Paierl". – Die Untersuchungen wurden schließlich eingestellt.

Kunst darf gratis sein. Dass sich Erwin Posarnig nicht immer so martialisch gibt wie bei seinem Auftritt im Forum Stadtpark, belegt ein vom Land Kärnten finanzierter Atelieraufenthalt in Paris. 100 Kunstpostkarten, jeweils als Original ausgeführte Malerei, wurden an Adressaten in der ganzen Welt verschickt. Posarnig bekennt sich zu einer Haltung, nach der Kunst, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, auch kostenlos an eine größtmögliche Öffentlichkeit weitergegeben werden soll. Eine Botschaft, die er mittels Aufklebern verbreitet: „Verschenkte Kunst entwertet das Werk und ist dadurch wertvoll". Weitere Informationen zu Erwin Posarnig und KAVN sind unter http://kavn.mur.at zu finden.

Wenzel Mraček

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