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Babylon muss fallen
Samstag, 10. November 2007
WoWagners Gartenlaube fortschrittlichen Schrifttums


Naomi Kleins „Schock-Strategie" erschien in sieben Sprachen gleichzeitig und wird als „das neue große Buch" der Autorin beworben. Und das ist es tatsächlich. Die Autorin und ihr umfangreiches „Team", das sie sechs eng bedruckte Seiten lang würdigt, haben ein Buch vorgelegt, das lange nachwirken wird. Mir erschien es beim ersten – atemlosen – Lesen wie ein Sonnenstrahl, der einen drückenden und giftigen Nebel zerstreut. Klein enttarnt eine Theorie, die – zum Dogma erhoben – unter dem Namen „Neoliberalismus" bekannt wurde, als destruktive Phantasie und beschreibt sie als „Katastrophen-Kapitalismus".

Das Buch zeichnet den Weg dieser Ideologie von ihrem ersten Experimentierfeld in Chile nach dem Militärputsch bis zur gegenwärtigen Situation im Irak, in New Orleans nach der Katastrophe und in Israel. Als richtungsweisend für diese Lehre mag eine schriftliche Äußerung ihres Vordenkers Milton Friedman gelten: „Der Hauptfehler bestand meiner Ansicht nach darin", schrieb dieser in einem Brief an den chilenischen Diktator Pinochet, „zu glauben, man könne mit dem Geld anderer Gutes tun". (S. 33) Alles was auch nur entfernt an einen „Wohlfahrtsstaat" erinnert, ist als marktverzerrend auszulöschen. Am besten funktioniert dies im Falle eines massiven Schockzustands der Bevölkerung. Die Kraft der Abwehr von unerwünschten „Reformen" ist zu einem solchen Zeitpunkt am geringsten. Friedman träumte davon „Gesellschaften zu ‚entprägen’, sie in den Zustand reinen Kapitalismus zurückzuführen, gesäubert von allen Störungen – von staatlichen Regulierungen, Handelsbarrieren und festgeschriebenen Interessen" (S. 76). Die Strategie erinnert an die Gehirnwäschelabors während es kalten Krieges. Es sollte Tabula rasa gemacht werden, um zu zeigen, dass nur so eine neue gesunde Persönlichkeit aufgebaut werden könne. Die Daten, die Klein zu diesen Versuchen vorlegt, sind beklemmend. Jeder Schock ist gut genug, um die alte Persönlichkeit auszulöschen. Ebenso wird in analoger Weise mit ganzen Volkswirtschaften verfahren. „Diese Sehnsucht nach der göttlichen Macht der Neuschöpfung ist meiner Ansicht genau der Grund, warum die Ideologen des freien Marktes Krisen und Katastrophen so attraktiv finden. In der nichtapokalyptischen Realität sind ihre Ambitionen einfach nicht willkommen." (S. 37) Dies zeigt sich durch den globalen Widerstand gegen ein Fortschreiten des Marktliberalismus. Venezuela, Bolivien und Uruguay sind Vorreiter dafür, dass sich nach Abnutzung des „Schocks" ein Erstarken der Widerstandskräfte einstellt. Freilich ist das Ausmaß an globalem Ungleichgewicht in den letzten Jahren bekanntlich enorm angewachsen. Im Dezember 2006 stellte ein UN-Bericht fest, dass „die reichsten zwei Prozent aller Erwachsenen auf der Erde über mehr als die Hälfte des weltweiten Haushaltsvermögens verfügen" (S. 627).

 

Eine andere Welt ist möglich.

Fußnote: Im Laden fiel mir die eher reservierte Haltung einiger Leute zu dem Buch auf, die im krassen Gegensatz zu meiner Euphorie stand. Angeblich sei das Buch „verrissen worden". Es sei zu dick (mir erschien es mit seinen 763 überaus spannenden Seiten und der Lesezeit von drei Abenden angemessen dimensioniert). Es gebe viel zu viele Anmerkungen (74 Seiten sind für eine derart fundierte Recherchearbeit okay). „Katastrophen-Kapitalismus" sei wieder so ein Modewort usw. usf. Ich persönlich halte Kleins Buch für unverzichtbar, um die Prinzipien zu verstehen, die unser Leben (das Leben der „Habenichtse") zu zerstören drohen, auch wenn es einer kleinen Schicht von Wohlhabenden damit ganz gut geht.

 

Naomi Klein: Die Schock-Strategie, der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Fischer 2007, Preis 23,60 Euro.

 

Naomi Klein, Autorin von „No Logo" und der Aufsatzsammlung „Über Zäune und Mauern: Berichte von der Globalisierungsfront", ist eine der bemerkenswertesten Stimmen der so genannten „Antiglobalisierungsbewegung".

 

Mag. Wolfgang Wagner, Jg. 1963, Germanist, Autor, Aktivist und Sozialpädagoge führt seit Juli 2006 den Buchladen „Wendepunkt" in der Josefigasse 1, 8010 Graz, Tel/Fax 0316/ 76 52 44, WoWagner@gmx.at

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