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„Heim“ statt „Wohnmaschine“ – Architektur der Zwischenkriegszeit in Graz |
Samstag, 10. November 2007 | |
Dass Graz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – im Vergleich zu Wien, Berlin oder auch zu kleineren Zentren wie Brünn oder Breslau – nicht zu den innovativsten Architekturzentren gehört hat, ist wohl allgemein bekannt. Was weniger bekannt ist, ist die Tatsache, dass die internationalen, innovativen Tendenzen den Zeitgenossen hier sehr wohl geläufig waren: Ausstellungen präsentierten die neuesten Bauten, in Vorträgen und Tageszeitungen wurden das Bauhaus und internationale Architekten wie Le Corbusier besprochen. 1930 machte eine Wanderausstellung des Deutschen Werkbundes nach Stuttgart, Zürich, Stockholm, Prag und anderen europäischen Städten auch in Graz Station. Einige Bauten wie das Stadtwerke-Gebäude am Andreas-Hofer-Platz, das ehemalige Hotel International mit den Kammersälen und die Einfamilienhäuser Herbert Eichholzers spiegeln diesen Informationsfluss wider. Eine „bodenständige" Moderne. Diese Beispiele waren jedoch die Ausnahmen: Der dominante Diskurs, der vor allem im Steiermärkischen Werkbund, später auch in der Sezession Graz vertreten wurde, drehte sich vielmehr um die Vorstellung einer mit der bodenständigen, heimischen Tradition versöhnten Moderne. Mit „heimisch" war zunächst das „Deutsche", später – vor allem in der Zeit des austrofaschistischen Ständestaates – das „Alpin-Steirische" gemeint. Wichtigste Proponenten dieser Richtung waren der Architekt Rudolf Hofer und der Kunsthistoriker Walter Semetkowski. Es wird oft darauf hingewiesen, dass die österreichische Architektur der Zwischenkriegszeit dadurch charakterisiert ist, dass sie den Bruch mit der Tradition nicht radikal vollzogen hat. Architekten wie Adolf Loos, Josef Frank und Oskar Strnad haben in Wien in den 20er- und frühen 30er-Jahren den Auswüchsen einer überrationalen, einseitig technik- und fortschrittsgerichteten Moderne eine „moderate", undogmatische Moderne entgegengesetzt. Allerdings grenzten sich die Grazer auch von diesem Modell ab, nicht zuletzt wegen der „jüdisch-linken" Dominanz in der Hauptstadt. Sie lenkten den Fokus auf eine anti-urbane, auf Tradition, Boden und Heimat gerichtete Version, in der die kalte Seelenlosigkeit der modernen Welt überwunden werden sollte. „Wohnmaschine" und „Würfelwelt" waren Synonyme für die entsprechende, politisch meist links verortete Architektur, die gegen den „bodenständigen Geist" versündige.
Selbstdefinition. Kleinstadt und Handwerk entwickelten sich in Graz bereits seit der Jahrhundertwende zu neuen Leitbildern, ganz im Sinne des deutschen Architekten Heinrich Tessenow. Das erscheint aus heutiger Sicht umso frappierender, wenn man berücksichtigt, dass Graz um 1930 eine moderne, mittelgroße Stadt mit Bildungs- und Unterhaltungsinstitutionen und einer regen Vereins- und Ausstellungstätigkeit war, wo Künstlerfeste gefeiert wurden, abends in den Bars Jazzbands aufspielten und im Stadttheater Brechts „Dreigroschenoper" zu sehen war. Und dennoch wurde in der Architektur bis auf wenige Ausnahmen das „allzu Moderne" bekämpft. Kleinstadt und Handwerk entwickelten sich in Graz bereits seit der Jahrhundertwende zu neuen Leitbildern, ganz im Sinne des deutschen Architekten Heinrich Tessenow. Das erscheint aus heutiger Sicht umso frappierender, wenn man berücksichtigt, dass Graz um 1930 eine moderne, mittelgroße Stadt mit Bildungs- und Unterhaltungsinstitutionen und einer regen Vereins- und Ausstellungstätigkeit war, wo Künstlerfeste gefeiert wurden, abends in den Bars Jazzbands aufspielten und im Stadttheater Brechts „Dreigroschenoper" zu sehen war. Und dennoch wurde in der Architektur bis auf wenige Ausnahmen das „allzu Moderne" bekämpft. Die Entscheidung für das Alternativmodell einer „bodenständigen", im Steirischen und Alpin-Traditionellen verankerten Moderne lag also nicht in hinterwäldlerischer Provinzialität, nicht im Nicht-Wissen und Nicht-Kennen der international diskutierten Themen und neuen ästhetischen Modelle, sondern war vielmehr im völkisch-nationalistischen Umfeld ein bewusster Akt der Abgrenzung gegenüber der internationalen, aber auch der Wiener Architektur.
Versuch einer Synthese. Vielleicht wirklich gelungen ist die Synthese aus Moderne und Tradition 1928 beim Haus des Steiermärkischen Werkbundes in der Schubertstraße, wo den Zeitgenossen zufolge „freudige Sachlichkeit" erreicht wurde. In dem vollständig eingerichteten Musterwohnhaus wurden die Annehmlichkeiten eines modernen, funktionellen Hauses samt seinen elektrischen Einrichtungen und wegverkürzenden Grundrissen mit einer „anheimelnden", traditionellen Atmosphäre in Einklang gebracht. Statt industriellen Stahlrohrsesseln und Glastischen wurden hier handwerklich gediegene Holzmöbel eingesetzt und mit buntgemusterten Stoffen, Keramiken und Blumenbildern kombiniert. Vielleicht wirklich gelungen ist die Synthese aus Moderne und Tradition 1928 beim Haus des Steiermärkischen Werkbundes in der Schubertstraße, wo den Zeitgenossen zufolge „freudige Sachlichkeit" erreicht wurde. In dem vollständig eingerichteten Musterwohnhaus wurden die Annehmlichkeiten eines modernen, funktionellen Hauses samt seinen elektrischen Einrichtungen und wegverkürzenden Grundrissen mit einer „anheimelnden", traditionellen Atmosphäre in Einklang gebracht. Statt industriellen Stahlrohrsesseln und Glastischen wurden hier handwerklich gediegene Holzmöbel eingesetzt und mit buntgemusterten Stoffen, Keramiken und Blumenbildern kombiniert. Ansonsten blieben die beiden Pole Modernität / Traditionsgebundenheit aber relativ isoliert. Die weltanschaulichen und ästhetischen Brüche gingen mitten durch Leben und Werk der Architektenpersönlichkeiten, wurden von diesen dennoch kaum als Diskrepanz erlebt: Je nach Anlass bauten sie in einer anderen Formensprache. Selbst ein kritischer Architekt wie Herbert Eichholzer hat neben modernen Strukturen à la Le Corbusier auch steirische Bauernstuben gestaltet. Man darf dabei aber auch nicht vergessen, dass die Moderne an sich ja kein geschlossenes ästhetisches System war und die Äußerungen viel breiter und ambivalenter waren als es uns eine Geschichtsschreibung bis in die 80er-Jahre glauben ließ.
Öffentliches Desinteresse. Abgesehen von der so genannten „Grazer Schule" der 70er- bis 90er-Jahre ist Graz ein nahezu blinder Fleck in der österreichischen Architekturgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts geblieben. Das hat damit zu tun, dass – im Gegensatz zu den bildenden Künstlern der Sezession Graz – die Grazer Architekten in den ersten Jahrzehnten selbst kaum an einer überregionalen Anerkennung, etwa in Fachzeitschriften, interessiert waren und sich so gut wie nicht an nationalen Ausstellungen und Mustersiedlungen beteiligt haben. Abgesehen von der so genannten „Grazer Schule" der 70er- bis 90er-Jahre ist Graz ein nahezu blinder Fleck in der österreichischen Architekturgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts geblieben. Das hat damit zu tun, dass – im Gegensatz zu den bildenden Künstlern der Sezession Graz – die Grazer Architekten in den ersten Jahrzehnten selbst kaum an einer überregionalen Anerkennung, etwa in Fachzeitschriften, interessiert waren und sich so gut wie nicht an nationalen Ausstellungen und Mustersiedlungen beteiligt haben. Die überregionale Nicht-Beachtung hat aber auch mit dem seit den Nachkriegsjahrzehnten andauernden Desinteresse der Grazer an einer Auseinandersetzung mit der eigenen Architektur der Moderne zu tun, das vermutlich auch darin begründet liegt, dass diese aufgrund ihrer ideologischen und formalen Doppelbödigkeit vielen heute wenig attraktiv erscheint. Es gibt in Graz keine Institution, die sich konsequent mit der lokalen Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts beschäftigt, wie etwa in Wien das AzW (Architekturzentrum Wien) mit seiner Ausstellungs-, Archiv- und Sammlungstätigkeit. Eine Ausnahme in der öffentlichen Wahrnehmung ist nur der Architekt und Widerstandskämpfer Herbert Eichholzer, der in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen Publikationen und Ausstellungen aus der Vergessenheit zurückgeholt wurde. Immerhin konnten in den letzten Jahren zwei von seinem Büro geplante Bauten (Haus Lind und ein kleiner Gartenpavillon) gerettet werden. Immer noch so gut wie unbekannt ist hingegen der einzige jüdische Grazer Architekt der Zwischenkriegszeit, der in Budapest geborene und in Berlin bei internationalen Architekturgrößen ausgebildete Eugen Székely, der Österreich bereits 1935 verließ.
Antje Senarclens de Grancy
Antje Senarclens de Grancy KEINE WÜRFELWELT Architekturpositionen einer „bodenständigen" Moderne Graz 1918–1938 HDA Verlag, 256 Seiten, 227 SW-Abb., 24,90 Euro, ISBN 978-3-901174-65-0
KORSO verlost in Kooperation mit dem Haus der Architektur zwei Exemplare des Buches beim Kulturquiz unter ww.korso.at Diese Beispiele waren jedoch die Ausnahmen: Der dominante Diskurs, der vor allem im Steiermärkischen Werkbund, später auch in der Sezession Graz vertreten wurde, drehte sich vielmehr um die Vorstellung einer mit der bodenständigen, heimischen Tradition versöhnten Moderne. Mit „heimisch" war zunächst das „Deutsche", später – vor allem in der Zeit des austrofaschistischen Ständestaates – das „Alpin-Steirische" gemeint. Wichtigste Proponenten dieser Richtung waren der Architekt Rudolf Hofer und der Kunsthistoriker Walter Semetkowski. Kleinstadt und Handwerk entwickelten sich in Graz bereits seit der Jahrhundertwende zu neuen Leitbildern, ganz im Sinne des deutschen Architekten Heinrich Tessenow. Das erscheint aus heutiger Sicht umso frappierender, wenn man berücksichtigt, dass Graz um 1930 eine moderne, mittelgroße Stadt mit Bildungs- und Unterhaltungsinstitutionen und einer regen Vereins- und Ausstellungstätigkeit war, wo Künstlerfeste gefeiert wurden, abends in den Bars Jazzbands aufspielten und im Stadttheater Brechts „Dreigroschenoper" zu sehen war. Und dennoch wurde in der Architektur bis auf wenige Ausnahmen das „allzu Moderne" bekämpft. Vielleicht wirklich gelungen ist die Synthese aus Moderne und Tradition 1928 beim Haus des Steiermärkischen Werkbundes in der Schubertstraße, wo den Zeitgenossen zufolge „freudige Sachlichkeit" erreicht wurde. In dem vollständig eingerichteten Musterwohnhaus wurden die Annehmlichkeiten eines modernen, funktionellen Hauses samt seinen elektrischen Einrichtungen und wegverkürzenden Grundrissen mit einer „anheimelnden", traditionellen Atmosphäre in Einklang gebracht. Statt industriellen Stahlrohrsesseln und Glastischen wurden hier handwerklich gediegene Holzmöbel eingesetzt und mit buntgemusterten Stoffen, Keramiken und Blumenbildern kombiniert. Abgesehen von der so genannten „Grazer Schule" der 70er- bis 90er-Jahre ist Graz ein nahezu blinder Fleck in der österreichischen Architekturgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts geblieben. Das hat damit zu tun, dass – im Gegensatz zu den bildenden Künstlern der Sezession Graz – die Grazer Architekten in den ersten Jahrzehnten selbst kaum an einer überregionalen Anerkennung, etwa in Fachzeitschriften, interessiert waren und sich so gut wie nicht an nationalen Ausstellungen und Mustersiedlungen beteiligt haben.
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