Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Kein Zurück zu Papa Staat
Samstag, 10. November 2007
Das war Elevate 2007 

Vier Tage lang Musik vom Feinsten, Praxis-Workshops für die Musikszene und hochkarätige Diskussionen zum Schwerpunkt „Demokratie" – das war das Grazer „Elevate"-Schlossbergfestival 2007. KORSO war Medienpartner und live dabei.

Ulrich Brand ist seit September 2007 Professor für internationale Politik in Wien mit – unter anderem – den Schwerpunkten internationale politische Institutionen, Weltmarkt und Politik und Post-Neoliberalismus. Beim Grazer Elevate-Festival hielt er ein Einleitungsreferat zur Diskussion „Demokratie im 21. Jahrhundert: Ende oder Neubeginn?".

Christian Stenner sprach mit ihm über Post-Neoliberalismus und die Frage, wie sehr fortschrittliche Bewegungen nach dem Staat rufen dürfen.

 

 

Sie postulieren, dass bereits allerorten post-neoliberale Ansätze zu bemerken seien …

Ja, im Umfeld der Weltbank, der Entwicklungsprogramme der UNO, aber auch bei den neuen linken Regierungen Lateinamerikas.

 

 

Der Begriff Post-Neoliberalismus birgt ja ein gewisses Hoffnungspotenzial; er erinnert mich aber auch an den inflationären Gebrauch des Begriffs „Spätkapitalismus" in den 70ern und 80ern, der durch die reale Entwicklung eher falsifiziert wurde.

Ich will mit dem Begriff eigentlich nur anregen, dass wir genau analysieren müssen, was derzeit passiert: Die Weltbank fordert ja schon seit mehr als 10 Jahren: „Bring the state back in – wir brauchen den Staat" und es gibt die Debatte ums global government und den Aufbau neuer internationaler Institutionen. – das ist beileibe kein neoliberales Laissez-faire. Der zweite Argumentationsstrang kommt von den Neokonservativen, die eine Militarisierung der internationalen Beziehungen wollen – auch das ist eine Spielart des Post-Neoliberalismus. Neben der starken Hand des Marktes soll auch die Faust des Staates regieren. Dabei geht es häufig um die Fragen der inneren Sicherheit wie bei der Debatte um den G-8-Gipfel in Heiligendamm.

Die kritisch-emanzipatorische Bewegung muss das begreifen, damit sie nicht in falsche Dichotomien gerät, so nach dem Motto: Jetzt gab es 20 Jahre Dominanz des Marktes, daher müssen wir jetzt den Staat stärken. Der Neo-liberalismus war ja selbst eine hochgradig staatliche Angelegenheit, und wir müssen genau analysieren, was die Interessenkonstellationen sind, die ihn auch auf staatlicher Ebene stützen. Dazu kommt, dass die kritischen Bewegungen wie z.B. ATTAC – ich bin selbst im wissenschaftlichen Beirat von ATTAC Deutschland – die Globalisierung fast nur unter ihrem ökonomischen Aspekt wahrnehmen und den Nationalstaat als Retter vor der Globalisierung anrufen. In Wirklichkeit waren die Nationalstaaten stark beteiligt an der Durchsetzung des Neoliberalismus.

Was die Demokratie-Debatte betrifft, so müssen wir anerkennen, dass die Durchsetzung neoliberaler und heute auch imperialer Politik in den westlichen Ländern ein demokratisches Projekt ist, das breit akzeptiert und von demokratisch gewählten Regierungen durchgesetzt wird.

 

 

Hängt das nicht damit zusammen, dass die berühmte TAN(There is no Alternative)-Phrase Margret Thatchers in die Köpfe gehämmert wurde, sodass von freiwilliger Akzeptanz nicht wirklich gesprochen werden kann?

Völlig d’accord – ich würde das mit Gramsci als passiven Konsens bezeichnen. Aber heute werden durchaus immer wieder Alternativen aufgemacht – allerdings zwischen neoliberalen und neokonservativen Ansätzen, und das ist eine neue Qualität im Vergleich zu vor sieben oder acht Jahren. Die Situation ist offener, aber nach rechts. Mit 9/11 hat sich ein Window of opportunity für die Neokonservativen geöffnet. Wenn wir das übersehen, dann laufen wir Gefahr deren Diskurs zu verstetigen. Wir sollten nicht den Fehler machen zu sagen: Demokratie hat in den vor-neoliberalen Zeiten gut funktioniert …

 

 

… und wir müssen wieder zurück zu dem, was war.

Natürlich gibt es viel zu retten, natürlich müssen Privatisierungen verhindert werden, natürlich müssen die Hartz-Reformen wieder rückgängig gemacht werden; aber die Bedingungen haben sich verändert und wir müssen aufpassen, nicht in kulturpessimistische, konservative Ansätze zu geraten.

Das alte liberale Repräsentationssystem war sehr stark um den Gegensatz Arbeit und Kapital organisiert, das ist in den 70ern aufgebrochen. Natürlich war auch diese Kritik am alten Repräsentationsmodell eine Vorbedingung für den Neoliberalismus, auch wenn das so nicht gewollt war. Aus diesem Widerspruch gegen das alte Modell entstand eine Vielfalt an neuen sozialen Bewegungen, an feministischen, ökologischen und menschenrechtlichen Ansprüchen, es gibt neue Möglichkeiten durch das Internet; da ist wirklich sehr viel gelaufen. Wir sollten aber nicht hinter diese Entwicklung zurück wollen.

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