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Demokratie im 21. Jahrhundert: Ende oder Neubeginn? |
Samstag, 10. November 2007 | |
Das war Elevate 2007 Vier Tage lang Musik vom Feinsten, Praxis-Workshops für die Musikszene und hochkarätige Diskussionen zum Schwerpunkt „Demokratie" – das war das Grazer „Elevate"-Schlossbergfestival 2007. KORSO war Medienpartner und live dabei. Der Frage, ob sich die liberale Demokratie gegenwärtig ihrem Ende entgegen neigt, und wenn, was danach kommen soll, widmete sich auf dem Elevate-Festival die Podiumsdiskussion „Demokratie im 21. Jahrhundert: Ende oder Neubeginn?". In diesem Kontext ging es vor allem um die Gefährdung demokratischer Systeme, deren ökonomische Grundlage ihrer eigenen Kontrolle weitgehend entzogen wurde. Zu diesen Entwicklungen bezogen Helmut Friesner und Ulrich Brand Stellung, um in Anschluss daran mit Cynthia McKinney, Malte Daniljuk und Christian Felber unter der Moderation von Christian Stenner (KORSO) zu diskutieren. Das gescheiterte Projekt der Aufklärung. Der Jurist und Philosoph Helmut Friesner (Uni Klagenfurt), Autor von Demokratie im Fadenkreuz, schlug in seinem eher pessimistisch gefärbten Eingangsstatement den Bogen von den Idealen der Französischen Revolution über die bürgerliche Demokratie des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. In idealen Demokratien kommen Entscheidungen durch einen breiten Diskurs und anschließenden Konsens zustande, die für einen „Ausgleich der Widersprüchlichkeit des Menschen" sorgen. Voraussetzung seien die Freiheit und Autonomie des Individuums. Stattdessen würden durch das bürgerliche Weltbild vor allem die Freiheit von Markt und Eigentum betont. Der mündige Staatsbürger werde nicht nur zum Sklaven der von ihm geschaffenen Technik, sondern mutierte im neoliberalen Denken zum kommerziell verwertbaren Kunden. Einer im Laufe der Geschichte der Neuzeit zunehmenden Teilhabe weiter Kreise an demokratischen Entscheidungen, so seine Analyse, folgten jetzt Rückschläge, durch die der Staat zu einem Anhängsel des freien Marktes degeneriert sei, was sich für Friesner in der Formel ausdrückt: „Die Gewählten verlieren an Macht, die Mächtigen haben wir nicht gewählt."
Der Rückzug des Staates ist ein Mythos. Zu durchaus ähnlichen Ergebnissen kommt der deutsche Politologe Ulrich Brand, der seit 2007 an der Universität Wien lehrt. Er plädiert für ein kämpferisches Demokratieverständnis, dem eine eingehende Analyse der Situation zugrunde liegen müsse: „Es handelt sich um sehr komplexe Konflikte, die sich nicht mehr auf den Gegensatz von Kapital und Arbeit reduzieren lassen." Die Demokratie ist, so Brand, kein idealer Zustand, sondern muss sich an die herrschenden Bedingungen anpassen, es geht um Herrschaft und Emanzipation. Die Kämpfe müssten stets aufs Neue ausgetragen werden, wie es in der Sozial- und Umweltpolitik deutlich erkennbar sei. Der Staat zieht sich zusehends aus seinem sozialen Verantwortungsbereich zurück, obwohl die Errungenschaften aus den Arbeitskämpfen erste wenige Jahrzehnte alt sind. Zweifellos werde der Staat autoritärer, was nicht nur in den Sicherheitsgesetzen der USA Ausdruck findet, sondern auch in den jüngsten Diskussionen um den „Bundestrojaner" in Deutschland. Mut auf Neues: Spielräume kreativ nutzen. Der Blick darf sich dabei nicht nur auf den Staat und die Parteien richten, sondern auch auf die Ökonomie und den Markt. Die nationale Politik sei dabei kein Opfer von WTO und EU, sondern Teil eines von ihr selbst konstituierten Systems. Die „Krise der Repräsentation", die weite Teile des Systems erfasst hat, „ist nicht nur von oben, sondern auch von unten gemacht", betont Brand. Die Gewerkschaften und die linken Parteien reichen dafür nicht mehr aus, es müssen neue Spielräume erschlossen werden, die neue Technologien und Globalisierung ermöglichen. Der Staat sei in Teilbereichen auch demokratischer geworden und Konzepte der direkten Partizipation, etwa die Genossenschaftsbewegung, seien wichtig, aber direkte Demokratie allein ist nicht der goldene Weg: „Wir brauchen neue Formen von Arbeitsteilung, politischer Organisierung und Anerkennung – ein bisschen Druck von unten reicht nicht."
Der Blick nach außen. Cynthia McKinney sieht die Krise der Repräsentanz auch für die USA, wo die Wahlmanipulationen große Frustration ausgelöst haben. „Der Sozialdarwinismus ist auf dem Vormarsch, aber seine Vertreter sind nicht unbezwingbar, wenn wir zusammen entgegenhalten." Es sei keine wahre Demokratie, wenn Menschen nicht am Diskurs teilhaben können. Neue Technologien könnten dem entgegenwirken. In Südamerika gibt es Mut machende Beispiele für partizipative Demokratie betont Lateinamerika-Spezialist Malte Daniljuk: Erst wo die Grundbedürfnisse gedeckt seien und Verteilungskämpfe das Leben nicht mehr bestimmten, könne sich echte Demokratie entfalten, was z.B. für Mexiko und Kolumbien nicht zuträfe. „In Venezuela dagegen wurden unter der Regierung Chavez die Menschen aktiv beteiligt – die gerechte Verteilung der Öleinnahmen, etwa für Gesundheitsversorgung, wurde an lokale Selbstverwaltungsmodelle in den Barrios gebunden – damit hat sich dieses Land neu erfunden."
Krise und Erstarrung der bürgerlichen Demokratie. Christian Felber, Gründungsmitglied von Attac Österreich, kritisierte die Pervertierung des Freiheitsbegriffes bei den Neoliberalen, die sich in erster Linie auf den Markt und damit das Kapital bezieht: „Das Gewinnstreben ist der größte Feind der Demokratie, weil das Durchsetzen egoistischer Interessen die solidarische Gesellschaft zerstört." Die Grundwerte des Zusammenlebens sollten auch für den Markt gelten, Beispiel EU, deren Gesetze einseitig von Kapital-Interessen bestimmt werden. Europa glaubt sich als Vorreiter der Demokratie und sein Lebensmodell als allgemeingültig. Die Verfassung soll das Freihandelsprojekt EU für den Bürger wieder attraktiver machen – dabei wurde das Prinzip der Beteiligung des Souveräns missachtet. Die Regierungen haben das Ergebnis des Konvents noch weiter verunstaltet und dann beschlossen. Die Mehrheit der Menschen wünscht sich mehr Ökologie, Friede und sozialen Ausgleich – das erfordert aber deren Beteiligung, während die neoliberale Ideologie die Abwendung von den Menschen vom öffentlichen Raum begrüßt.
Mogelpackung „Zivilgesellschaft"? In der Diskussion mit dem Publikum kristallisierten sich die Schwerpunkte Zivilgesellschaft, EU-Verfassung, Lateinamerika und sozialer Ausgleich heraus. Hinter ersterem Begriff verberge sich die Privatisierung sozialer Risiken, betonte Felber, während den NGOs vom Staat, der sich aus seinen Kernaufgaben verabschieden will, die „Schmutzarbeit" hinterlassen werde. Auf der EU-Ebene sei die mangelnde Mitsprache der Regionen, etwa in Bezug auf die Gentechnik, problematisch, weil der Subsidiaritätsgedanke damit entwertet sei, kritisierte Friesner. In Venezuela haben die staatlichen Erdöleinnahmen eine besondere Situation geschaffen räumte Daniljuk ein, aber auch dort sei der Widerstand von Seiten der Kapitalinteressen erheblich. Brand konstatierte, dass es auf EU-Ebene zur Kontrolle der Kommission bis heute keine echte Repräsentation gäbe. Die Rolle des Nationalstaats habe daher noch nicht ausgedient. Die „neoliberale Wand" werde nicht nur durch die Medien konstruiert, so Friesner, die zunehmende Passivität der Gewerkschaften (angefangen von der Zustimmung zu GATT und WTO 1994) verhindere eine weitere Humanisierung der Arbeitswelt. Die Mitbestimmung werde abgebaut, wie sich an Konzernen wie MAGNA zeige, wo es keinen Betriebsrat gibt.
Renaissance der Demokratie von unten. Christian Stenner warf die Frage auf, ob sich die Demokratie an der Peripherie lebendiger halte als in den Zentren. McKinney verwies auf die erfolgreiche Civil-Rights-Bewegung in den USA der 60er Jahre, die viele Interessen gebündelt hat, woran auch heute angeknüpft werden könne. Felber bekräftigte seine Kritik am EU-Vertrag: Wettbewerb als Prinzip ist der falsche Weg – die unteren Ebenen fordern ihren Handlungsspielraum zurück, weil sie durch die Globalisierung verloren haben. Daher müsse eine Gewaltentrennung in der EU durchgesetzt werden, die ein vollwertiges Parlament voraussetze, was im Reformvertrag nicht vorgesehen sei. Brand sieht in dem Aufbruch der Demokratie in Südamerika ein ermutigendes Signal für das „müde" Europa. Die Maschinerie des Kapitalismus sei krisenanfällig, das ergebe auch Chancen – nicht zuletzt durch die Pluralität der „Unity" – die „imperialen" Arbeitsverhältnisse zu beenden. Für Friesner ist intensives Nachdenken Voraussetzung zur Änderung unseres Lebensstils. „Die Renaissance der Demokratie kann nur aus der lokalen, außerparlamentarischen Organisation der Menschen angesichts konkreter Probleme stattfinden", gab Daniljuk zu bedenken. Zivilcourage ist der einzige Weg, Entdemokratisierung zu stoppen, darüber war sich das Panel als Resümee einig.
Josef Schiffer
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