Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Richard Barbrook: "Unsere Zukunft müssen wir selbst gestalten"
Samstag, 10. November 2007
Das war Elevate 2007
Vier Tage lang Musik vom Feinsten, Praxis-Workshops für die Musikszene und hochkarätige Diskussionen zum Schwerpunkt „Demokratie" – das war das Grazer „Elevate"-Schlossbergfestival 2007. KORSO war

Medienpartner und live dabei.


Zum Elevate-Schwerpunkt Technologie und Kommunikation war neben Vertretern der Netzmedien der britische Politologe Dr. Richard Barbrook (University of Westminster) geladen: In seinem Vortrag über die „imaginierten Zukünfte" lieferte er eine Tour d’Horizon, die von den Masterminds des Kalten Krieges über die Ursprünge der Überflussgesellschaft bis hin zu den Potenzialen des Internet für die heutige demokratische Basis führte.

In seinem neuen Buch Imaginary Futures erklärt der bekennende Sozialdemokrat, wie Utopien der Vergangenheit unsere Gegenwart bestimmen. Er erzählt im KORSO-Gespräch mit Josef Schiffer, wie es die US-Propaganda in den sechziger Jahren während des Kalten Krieges erfolgreich zuwege brachte, durch die Projektion positiver Technik-Utopien deren militärische Anwendung zu kaschieren und das Bild von einer fortschrittlichen Gesellschaftsordnung der USA nachhaltig zu verankern.

 

 

Wann sind Sie mit dem Thema Imaginary Futures erstmals in Berührung gekommen?

Ich habe 1964 mit meinem Vater die Weltausstellung in New York besucht, deren technische Schaustücke mich als kleiner Junge massiv beeindruckt haben. Ungefähr zur selben Zeit nahm er als Politikwissenschafter an vom Congress for Cultural Freedom (CCF) organisierten Gesprächen in Salzburg teil. Diese vom CIA gegründete Einrichtung sollte die westeuropäische linke Intelligenz von ihrer Neigung zum Marxismus abbringen und zur ‚amerikanischen Lebensweise‘ bekehren.

Daneben hat mich von Jugend an die Science-Fiction fasziniert: Autoren wie William Gibson kreierten im Cyberpunk sehr oft dystopische, düstere Zukunftsvorstellungen. Sein Neuromancer aus den Achtzigern ist eine frühe Satire auf die Globalisierung und wurde bezeichnender Weise später im Wired-Magazine als optimistische Vision für die Welt gedeutet.

 

Wie kam es zu diesem von Ihnen beschriebenen Wettlauf der Ideo-logien?

Den Ausgangspunkt für mein Buch Imaginary Futures bildete der Scherz, dass das einzige funktionierende kommunistische Modell, nämlich das Internet, vom amerikanischen Militär erfunden worden ist. Die Russen hatten die Vision, nach ihren Erfolgen in der Raumfahrt, die USA auf allen Gebieten zu überrunden. Das hat die USA dazu angespornt, ihre Anstrengungen auf die Entwicklung von Computern und Netzwerken zu richten. Chruschtschow wollte mit Hilfe der Kybernetik ebenfalls eine Gesellschaft schaffen, deren Bedürfnisse durch ein Rechennetzwerk nicht nur erfasst, sondern auch befriedigt werden – ein Kurs, der später verlassen wurde, als die Rüstung die Priorität zurückerhalten hat. Dabei hätte er die Krise des Systems verhindern können, aber das Letzte was die Parteiführer wollten, war Kommunismus für die breiten Massen, während im Westen der Konsum im Gleichschritt mit der Produktivität hochgefahren wurde.

 

 

Heute scheint der Neoliberalismus endgültig triumphiert zu haben?

In England haben wir heute ein softeres Modell des Neoliberalismus, das es auch in anderen europäischen Staaten unter sozialdemokratischen Regierungen gibt. Die Sozialdemokratie will heute oft nicht mehr sein als eine nettere Form des Kapitalismus. Leute wie Blair bezeichnen sich als Modernisierer, auch wenn sie in Bezug auf ihre gesellschaftspolitische Position konservativ sind. Diese Politik sieht der Abwertung von Arbeit tatenlos zu, weil sie seit dem Fall des Kommunismus scheinbar nicht mehr in der Lage ist, Alternativen zum kapitalistischen Modell zu entwerfen.

Heute wenden sich daher viele Intellektuelle, etwa in England, nach den Erfahrungen mit dem Irakkrieg wieder einer linken Ideologie zu. Während es aus Sicht der fünfziger Jahre noch vernünftig erscheinen mag, den amerikanischen Traum zu übernehmen, so ist dies heute Schwachsinn. Wenn man sich in den USA umsieht, wird man wohl kaum an Zukunft denken: verrottete Infrastruktur, ein desolates Sozial- und Gesundheitssystem, dazu eine sehr kleine Schicht, die von der wirtschaftlichen Entwicklung profitiert.

 

 

Wie kann sich unter den gegenwärtigen Bedingungen die Demokratie behaupten?

Der Neoliberalismus verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit, daher muss die Linke ihre Positionen neu formulieren. Sowohl Totalitarismus, Hippie-Anarchismus und rechte Sozialdemokratie haben als Konzepte ausgedient. Es gibt eine Lücke auf der Linken und wir müssen neue Zukunftsmodelle erfinden. Wir wissen, wo in der Ökologie und der Gesellschaft die Probleme liegen, aber es fehlt noch an einer „Großen Erzählung". Auch in Österreich – ich trage hier ein altes Parteiabzeichen mit den drei Pfeilen, das ich in Wien bekommen habe – scheint die Sozialdemokratie keine Ahnung mehr von ihrer eigenen Geschichte zu haben, wenn wir an Rudolf Hilferding denken, der vor knapp hundert Jahren in seinen Entwürfen weiter war als das meiste, was es heute gibt.

 

 

Welche Rolle wird dabei das World Wide Web spielen?

Man hat angenommen, dass es beim Internet, genauso wie bei den Medien des 20. Jahrhunderts, Radio, Film und Fernsehen, zu einer Kommerzialisierung kommen wird, bei der nur mehr die großen Konzerne das Sagen haben werden. Diese Gefahr wurde durch das Schlagwort von Howard Rhinegold vom „Global Village" mit seinem Hippie-Image übertüncht, denn zu diesem Zeitpunkt hatte das Minitel-System in Frankreich noch mehr kommerzielle Bedeutung als das ganze Internet.

Die Geschenkökonomie macht nach wie vor einen großen Teil der Webinhalte aus. In dem Aufsatz The Californian Ideology habe ich schon 1995 mit Andy Cameron die Phantasien über das Netz als den ultimativen Marktplatz des schrankenlosen Kapitalismus widerlegt. Es gibt zwar Werbung, aber ein Großteil der Angebote ist nach wie vor gratis. Das zeigt sich daran, wie die Musikindustrie von dieser Entwicklung überrollt wurde, sodass Musiker dazu übergehen, ihre Alben ausschließlich im Internet zu veröffentlichen, was beweist, dass nicht das Internet kommerzialisiert wurde, sondern selbst zu einer Dekommerzialisierung der Welt beigetragen hat.

Durch das Internet bekommen die Ideen der Linken wie direkte Demokratie, mit täglichen Abstimmungen und Internationalisierung neuen Schwung, auch wenn die Gefahr besteht, dass diese zu einem Substitut für reale Politik wird, so gibt es jede Menge Leute, die Blogs führen, die von Minderheiten rezipiert werden. Die Möglichkeiten sind vorhanden, aber es wird uns nicht erspart bleiben, unsere Zukunft selbst in die Hand zu nehmen, wenn sich etwas zum Positiven ändern soll.

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