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Südafrika: Reiche Schwarze heißen jetzt "Weiße"
Samstag, 10. November 2007
Dr. Neville Edward Alexander, geb. 1936, ist einer der angesehensten intellektuellen Südafrikas und Direktor des Project for the Study of Alternative Education in South Africa (PRAESA) an der Universität Kapstadt. Nach seinem Studienabschluss als Stipendiat an der Universität Tübingen engagierte sich Alexander im Kampf gegen das Apartheid-Regime und war 10 Jahre lang – von 1964 bis 1974 – auf Robben Island inhaftiert, wo auch der spätere Staatspräsident Nelson Mandela eingekerkert war. Nach der letztendlich gewaltfreien Übernahme der Macht durch den ANC entwickelte Alexander gemeinsam mit der ANC-Führung Konzepte für eine emanzipatorische Bildungspolitik.

Mit Neville Alexander sprach Christian Stenner am Rande der internationalen Konferenz „Sprachen für den sozialen Zusammenhalt", die vom Europäischen Fremdsprachenzentrum Ende September in Graz abgehalten wurde. Der erste Teil des Gesprächs, der Fragen der Sprachenpolitik behandelte, erschien in der Sonderausgabe KORSO BildungsFORUM im Oktober 2007. Im hier abgedruckten zweiten Teil geht es um die aktuelle Situation Südafrikas.

 

 

In Südafrika liegt die Arbeitslosenrate bei 40%, das Ziel der Landreform, bis 2005 zumindest 30% es Landes in „schwarze Hände" zu legen, ist nach wie vor nicht erreicht, täglich gibt es neue Streiks bis hin zu Rebellionen in den Townships – ist die Regierung des African National Congress auf dem Weg ihrer Politik stecken geblieben?

In meinem gerade erschienen Buch „An Ordinary Country" habe ich versucht aufzuzeigen, dass die genannten Erscheinungen die Konsequenz der Selbstverpflichtung der Regierung zur neoliberalen Orthodoxie und zur Umsetzung der Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds sind. Die Programme selbst wurden natürlich vom Kapital bestimmt, nicht von der ANC-Führung; ebenso wie sie auf politischem Gebiet ein Wunder vollbracht hat, hat sie in den Verhandlungen über die Wirtschaftsprogramme eine Niederlage erlitten.

Diese Niederlage schlägt sich auch individualpsychologisch nieder: Leute, die früher radikale Linke waren, reden heute wie Exekutivmanager des Kapitals.

Jetzt, wo die Wahlen näher kommen, die 2009 stattfinden werden, versucht der ANC wieder mehr auf eine sozialdemokratische Strategie zu setzen, er verspricht, die Löhne und Renten zu erhöhen und jene Sektoren des Gesundheitswesens auszubauen, die vor allem den Ärmsten nützen. Ich halte das für Rhetorik, das Kapital hat das Heft in der Hand und würde einen Investitionsstreik ausrufen, wenn diese Ideen verwirklicht würden. Davor hat die ANC-Führung gewaltige Angst, sie würde in dieser Situation keine zwei Tage an der Macht bleiben; dann gäbe es entweder einen konterrevolutionären Staatsstreich oder eine revolutionäre Situation.

 

 

Von wem könnte ein solcher konterrevolutionärer Coup ausgehen?

Von der Armee mit Unterstützung durch das Kapital – wie es ja in anderen Ländern schon öfter der Fall war.

 

 

Eine Rückkehr zur Apartheid drohte aber auch im Fall eines solchen Staatsstreiches nicht?

Nein, auf keinen Fall, das ist vorbei.

 

 

Es gibt ununterbrochen Streiks und Aufstände in den Townships, im öffentlichen Dienst wurde kürzlich der größte Streik seit Niederschlagung der Apartheid ausgerufen – steckt dahinter planvolles Vorgehen bestimmter politischer Kräfte oder sind das spontane Einzelaktionen?

Der Klassenkampf verschärft sich nicht wegen der hohen Arbeitslosigkeit und weil die Löhne nicht mit der Inflation gestiegen sind. Er äußert sich in spontanen Aufständen und Bewegungen gegen das von der Regierung umgesetzte IWF-Programm und in Streiks für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, die von den Gewerkschaften organisiert werden und unter den herrschenden Bedingungen nur deswegen möglich sind, weil in Südafrika großer Mangel an geschulten Arbeitern herrscht.

Aber es gibt noch einen dritten Grund für die Unzufriedenheit, und das ist die immer mehr aufgehende Schere zwischen Arm und Reich ungeachtet der Hautfarbe. Vom sozialpsychologischen Standpunkt aus betrachtet ist hoch interessant, dass nun im Diskurs der Townships reiche Schwarze als „Weiße" bezeichnet werden. Das heißt, dass der schwarze Nationalismus nicht ausreicht, die Klassenunterschiede zu überdecken. Insofern bin ich recht hoffungsvoll, dass in der Zeit nach den Wahlen größere Fortschritte für eine genuine Politik im Interesse der Arbeitenden möglich sind.

 

 

Gibt es dafür organisatorische Ansätze – etwa innerhalb des Gewerkschaftsverbandes COSATU oder anderswo?

Innerhalb der COSATU gibt es linke Kräfte, die mit der kompromittierten kommunistischen Partei nichts zu tun haben, aber in der Tradition einer Arbeiterpartei stehen und bedeutend genug sind, dass sie die sozialen Bewegungen bis zu den Wahlen 2009 – in jedem Fall aber danach – zusammenführen könnten.

Der ANC genießt natürlich noch immer hohes Ansehen, viele Leute haben noch immer die Hoffnung, das Mandela bzw. Mbeki ihre Lebensbedingungen verbessern werden. Aber bei den Aufständen in den Townships sieht man, dass die Leute ungeduldig werden, weil es ihnen materiell sehr schlecht geht.

 

 

Haben die Kräfte, von denen Sie sprechen, eine kontinentale Perspektive oder beschränken sie sich auf nationale Politik?

Sie haben eine kontinentale Perspektive, und das hängt stark damit zusammen, dass das Weltsozialforum in Südafrika ein starkes Echo gefunden hat. Man ist sich nicht nur der internationalen Bewegungen für eine andere Welt bewusst, sondern auch der Tatsache, dass sich Südafrika selbst als subimperialistische Macht in Afrika ausbreitet, und das nicht nur mit Öl und Diamanten, sondern durchaus auch im tertiären Sektor. Wir finden in ganz Afrika südafrikanische Supermarktketten und Telefongesellschaften – und man sieht südafrikanisches Fernsehen überall in Afrika.

 

 

Welche Rolle spielt China in Südafrika? In Europa fürchtet man sich ja bereits davor, an Einfluss in Afrika zu verlieren, weil China sich dort zunehmend wirtschaftlich und politisch engagiert …

Ja, das trifft auch auf Südafrika zu. Wobei folgendes zu sagen ist: Die Süd-/Süd-Zusammenarbeit in der IBSA-Gruppe, die Südafrika gemeinsam mit Brasilien und Indien organisiert, ist auch ein Druckmittel auf den Westen bzw. Norden. Dabei steht China zwischen diesen Blöcken. Wenn sich China mit dem südlichen Block identifizierte, würde das meiner Ansicht nach ein hohes Druckpotenzial auf geopolitischer Ebene erzeugen.

China wird vom Westen als neue Kolonialmacht dargestellt, das ist es aber gar nicht. Wenn China für die südafrikanische Arbeiterbewegung eine Bedrohung darstellt, dann dadurch, dass zu viele billige Güter eingeführt werden und dies im Zusammenspiel mit der neoliberalen Politik zu einem weiteren Lohnabbau v.a. im Textilbereich führen kann. Aus diesem Grund entstehen sogar in der COSATU antichinesische Ressentiments, obwohl die T-Shirts, die man auf den COSATU-Konferenzen bekommt, in China produziert werden (lacht).

Ich denke, dass China zur Zeit für Afrika vor allem die wichtige Rolle des Schreckgespensts erfüllt, das dem Norden entgegengehalten werden kann. Aber natürlich wird es in der Zukunft auch in der Realität eine ausschlaggebende Rolle im geopolitischen Kräfteverhältnis spielen, und dass China die Rohstoffe Afrikas braucht, ist zweifellos richtig.

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