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Der Skandal von Graz
Donnerstag, 11. Oktober 2007
Vor 100 Jahren erschien eine höchst kuriose Pornografie. „Enthüllungen aus den Geheimnissen einer österreichischen Provinzhauptstadt“ versprach das 1907 erschienene Werk mit dem fingierten Verlagsort Amsterdam. Womit nicht nur die Bundeshauptstadt mit dem 1906 erschienenen Buch „Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne“ (von Bambi-Autor Felix Salten) über einen alten Porno mit Lokalkolorit verfügt.

Baron Max wird durch einen Hotelkellner in einen erotischen Geheimklub eingeführt. Da gibt es Damen aus besseren Kreisen, die sich mit ihrem Diener vergnügen, und sogar – für die Jahrhundertwende bemerkenswert – eine lange schwule Sequenz, bei der Baron Max mit Hilfe des jungen Benjamin im Stadtpark bei der „Waldlilie“ und später in dessen Beletage in der Elisabethstraße ganz neue Erfahrungen macht. Dann betätigen sich Baron Max und sein Freund Emil als Voyeure bei einer badenden Mädchenschar in einer Erziehungsanstalt namens S.C. im „Petersviertel“ in der Vorstadt. Jene Mädchen, die ihnen gefallen, werden ihnen durch einen kupplerischen Greißler zugeführt. Den Höhepunkt erreicht die Geschichte mit dem nackten Ball, dessen Teilnehmer meist der Oberschicht, vielfach noch im jugendlichen Alter, angehören. Es kommt zu einer Orgie, bis die Polizei eindringt und alle verhaftet.



Rare Drucke. Von der mit „Graz 1909“ bezeichneten Neuauflage – mit 1000 nummerierten Exemplaren nur für Subskribenten und „ausschließlich für einen wissenschaftlich interessierten Leserkreis bestimmt“ – behauptete ein zeitgenössischer Prospekt, der Roman gehöre „zu den besten deutschsprachlichen Eroticis“ und sei „von ausserordentlichem kulturhistorischen Wert“. Eine getarnte Ausgabe, angeblich verfasst von Lily von Rathenau, erschien 1918 mit der fingierten Grazer Verlagsangabe „Franz Schott’s Söhne“ unter dem Titel „Das Tanzkränzchen im Evaskostüm“. Von dieser Ausgabe wurden 100 Exemplare in gut lesbarer Handschrift mit einem lithografischen Verfahren hergestellt.

Ebenfalls nur 100 Exemplare umfasste eine mit „Bern 1919“ bezeichnete Ausgabe. Hier wird auch ein Verfasser genannt: Richard Werther. Neben dem „Skandal“ waren nach der Jahrhundertwende unter diesem Namen auch fünf andere pornografische Romane erschienen, die intime Kenntnis der k. u. k. Monarchie und von Berlin nahelegen.

1931 lüftete das „Bilderlexikon der Erotik“ das Pseudonym: Der „Skandal“ stammt von dem in Wien geborenen Ernst Klein (1876-1951), k. u. k. Reserve-Offizier, Autor populärer Bühnenstücke, ab 1908 Kriegsberichterstatter und nach dem Ersten Weltkrieg Korrespondent der „Basler Nachrichten“ in Berlin, Verfasser weiterer pornografischer Romane bzw. Übersetzungen und diverser Feuilletonromane unter seinem wirklichen Namen.



Massenware. 1930 versuchte der Regina-Verlag in Atzgersdorf bei Wien mit „Skandal von G... Roman aus der Gesellschaft“ eine „offizielle“ Edition. Obwohl die homosexuellen Episoden fehlten und die heterosexuellen Passagen entschärft waren, wurde das Buch beschlagnahmt. Erst in den 70er Jahren war die Zeit reif für den „normalen“ Buchhandel: Der „Skandal“ erschien 1975 bis 1981 in sieben Auflagen in der Reihe „Exquisit Bücher“ als Heyne-Taschenbuch. Derzeit ist das Buch – leider mit „aufgefrischter“ Sprache – wohlfeil im Tosa-Verlag unter dem Titel „Der skandalöse Ball“ verfügbar.

Hintergrund. Im Vorwort der Ausgabe von 1907 behauptet der anonyme Autor, das Werk enthalte „Enthüllungen aus einem Unsittlichkeitsprozesse, der vor einigen Jahren das Publikum in Aufruhr brachte“. Durch einen „intimen Freund“ habe er Zugang zu den Gerichtsakten erhalten und „den knappen Kanzleystil vergessend die erhaltenen Daten in der verdaulicheren Form eines Romans“ gebracht. Der Verfasser übergebe „das Buch der Öffentlichkeit mit der sicheren Überzeugung, dass die schönen Leserinnen darin nicht erotische Effecthascherei, sondern nur einen Beitrag zur Sittengeschichte sehen werden und ihm für die mühsame Arbeit des Forschens und Auslesens eine stille ehrende Anerkennung zu Teil werden lassen“.

Da sich 1996 die Grazer Neuauflage der Edition Strahalm an der Ausgabe von 1909 orientierte, blieb verborgen, dass die Erstausgabe von 1907 in der Nationalbibliothek von einem eifrigen Leser mit Anmerkungen versehen worden ist: „Ein Kern von Wahrheit liegt darin, geschmückt mit unglaubwürdigen Übertreibungen. Es ist eine Art Schlüsselroman, die meisten der handelnden Personen sind stadtbekannte Persönlichkeiten und leicht zu erkennen.“ Dieser Leser nennt auch Namen – doch ersten Recherchen halten diese keineswegs stand.



Beleidigte Stadt. Die Grazer Stadtväter waren damals auf einen moralisch einwandfreien Ruf bedacht. Nachdem der Germanist Anton Emanuel Schönbach anlässlich einer Rezension von „Zwölf aus der Steiermark“ von Hans Bartsch bemerkt hatte, über Graz brüte ein heißer Dunstkreis von Genusssucht und alle Mädchen seien zu haben, von der Hofratstochter bis zur Schanddirne, ergriff der Gemeinderat die Initiative. Er wies am 25. Jänner 1909 dieses „Phantasiegebilde eines in vollster Weltabgeschiedenheit lebenden Gelehrten“ entschieden zurück: Es gehe nicht an, Graz „öffentlich und weit vernehmbar als eine Art Sodom und Gomorrha“ darzustellen.

Hans-Peter Weingand




Lesung

Am Donnerstag, dem 25.10.2007, findet um 20 Uhr eine Lesung aus dem „schwulen“ Kapitel des „Skandal in Graz“ im „feel free“, Annenstraße 26, statt.




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