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Kontinuität und Bruch in der Medizingeschichte in Österreich.
Donnerstag, 11. Oktober 2007
Tagung in Graz anlässlich „60 Jahre Nürnberger Ärzteprozess“

 
Am 11. September 2007 fand auf Einladung des Sozialmedizinischen Zentrums (SMZ) Liebenau und CLIO – Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit aus Anlass des 60. Jahrestags des Nürnberger Ärzteprozesses eine sehr gut besuchte Tagung im Stadtmuseum Graz statt. Die Organisatoren der Veranstaltung, der Historiker Heimo Halbrainer (CLIO) und der Arzt Rainer Possert (SMZ) gaben Einblicke in ihre Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Thema sowie einen Überblick über den Nürnberger Ärzte-Prozess. Possert sprach auch über das Schweigen der Ärzteschaft, das er schon während seiner Studienzeit festgestellt hatte, sowie über die „Nicht-Folgen des Nürnberger Ärzteprozesses“ (u.a. anhand der Fälle Pendl, Heppner, Pischinger). Halbrainer hielt fest, dass sich anhand des Umganges der österreichischen Nachkriegsgesellschaft mit den NS-Kriegsverbrechern (aktuell die Fälle Heim und Brunner) zeige, dass sich die Vergangenheit bis in die Gegenwart fortsetzt. Der Wille, ein kollektives Verdrängen und Vergessen zu verhindern, sei der Tagung zugrunde gelegt.



Über Ärzteprozesse vor österreichischen Volksgerichten referierte der Historiker Winfried Garscha. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Österreich Volksgerichte (nicht zu verwechseln mit dem nationalsozialistischen Volksgerichtshof!) eingerichtet – u.a. auch in Graz. Sie ahndeten nicht die Verbrechen im Rahmen der Versuche in den KZ (dies blieb den Alliierten vorbehalten), sondern jene im Rahmen der NS-Euthanasie (also an Kranken, Behinderten und KZ-Häftlingen) sowie Verbrechen wie Zwangssterilisierung etc. Euthanasie war ein Verbrechen, das allgemein im Bewusstsein präsent war, da viele Menschen dadurch Angehörige verloren hatten. Es war nach 1945 dennoch eine Sensation, dass Ärzte vor Gericht kamen, weil sie gemordet hatten.



Der Arzt und Publizist Werner Vogt sprach über den Heinrich-Gross-Prozess und seine persönlichen Erfahrungen im Kampf gegen das Schweigen über die NS-Verbrechen und den Schutz der Täter. Als Gründungsmitglied der Gruppe „Kritische Medizin“ war er einer der ersten gewesen, die die Verbrechen von Gross publik gemacht hatten. Dem Nachkriegsverfahren gegen Karl Ehrhardt, dem ehemaligen Vorstand der Universitätsfrauenklinik Graz zwischen 1939-45, widmete sich Gabriele Czarnowski (Med. Uni Graz). Sie ging detaillierter auf die medizinischen Verbrechen (u.a. grausame operative Eingriffe an Ostarbeiterinnen in Graz) und auf das Netzwerk ein, das sich Ärzte während und nach der NS-Zeit geschaffen hatten. Michael Hubenstorfs (Med. Uni Wien) behandelte abschließend Kontinuität und Bruch in der Medizingeschichte und erläuterte auch die Strategien der Re-Integration von NS-Medizinern.

Ursula Mindler



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