Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
ROBIN HUT
Mittwoch, 10. Oktober 2007

Briefe aus Absurdistan

24. Brief: Oktober 2007

Hallo, alter Freund!
In diesen Tagen erinnere ich mich wieder öfter an unsere Jugendjahre. An wochenlange Ferien, die wir in den Freibädern und an den Seen verbrachten, und später an Motorradtouren und Kegelnachmittage.

Besonders erinnere ich mich allerdings daran, dass du in die Hauptschule gegangen bist und ich ins Gymnasium. Dass meine Lehrer die Nase rümpften, wenn wir uns in Freistunden oder Pausen auf der Straße zwischen unseren beiden Schulen trafen. Auch meine Eltern rümpften ein wenig die Nase, als sie „Zweiter Klassenzug“ hörten. Deinen Eltern hingegen war’s egal, du stammst ja aus einer Handwerkerdynastie. Immerhin: Dass du später dein Leben damit zubringen würdest, an verschiedenen abgelegenen Orten dieser Welt jenen Menschen zu helfen, die von unserer Zivilisation gerade überrollt werden, konnte damals ja noch keiner wissen.
Warum ich ausgerechnet jetzt daran denke? Weil bei uns eine Regierungspartei – sie machen ja selbst kein Geheimnis daraus, also die ÖVP – gerade ihre konservativen Werte wiederentdeckt. Und das vor allem auf Kosten unserer Kinder. Während sämtliche Experten hier in unserer Ersten Welt davon überzeugt sind, dass für eine Anhebung des Bildungsniveaus die Gesamtschule der richtige Weg ist, dass dies auch ein enorm wichtiger Schritt ist, um dem rasenden sozialen Auseinanderklaffen unserer Gesellschaft gegenzusteuern, blockieren die aufrechten Konservativen das vehement, ja sie schreiben sogar den Zwei-Klassen-Zugang zur Bildung in ihren Grundsatzprogrammen fest.
„Wo kämen wir da hin, wofür hat man denn selbst im Leben etwas erreicht, wenn man den eigenen Kindern nicht auch einen Startvorteil bieten kann? Wer wirklich gut ist, wird den Sprung von der Hauptschule ins Gymnasium auch so schaffen. Da war doch der … damals, du weißt schon, der Sohn von der Frau, die bei dir geputzt hat. Eine wirklich anständige, fleißige Frau war die und ehrlich. Jahrzehntelang hat sie geputzt, jeden Tag, und nie etwas gestohlen. Deshalb hast du ja auch damals deinen Mann gebeten, er möge schauen, dass der Bub ins Gymnasium kommt. Also wenn man ehrlich und anständig ist und natürlich fleißig, kann man’s schaffen.“
Und auch die Kinder werden von der konservativen Propaganda nicht verschont: Gerne lassen Gymnasiallehrer zurzeit im Unterricht fallen, dass man dann natürlich nicht mehr die tollen Klassenfahrten nach Brüssel und nach Rom machen wird können, in dieser Gesamtschule. Und die Partymaturareisen in die Türkei und auf die Kanaren. Alle Familien können sich das nämlich nicht leisten.
Wo das logischerweise hinführen wird, wenn wir unsere Gesellschaft schon bei den Kindern spalten, haben ihnen auch die brennenden Vorstädte in Paris nicht klargemacht. Und auch nicht der Anblick der Slums aus dem klimatisierten Reisebus während des letzten Winterurlaubs in der Ferne. Und dass genau sie selbst der Grund dafür sind, dass sich ihre Tochter abends am Grazer Jakominiplatz vor den frustrierten Jugendlichen fürchtet, die keine Chance sehen und deshalb „angefressen“ sind, kapieren sie auch nicht.
„Sollen sich anstrengen, die G’fraster, denn es gilt: Wer fleißig ist und anständig, der wird es schon schaffen.“ Aber nur, wenn er auch Chancen kriegt …

… weiß dein

Robin Hut

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