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Anmerkungen eines unwürdigen Wallfahrers |
Dienstag, 11. September 2007 | |
Von
Wilhelm Hengstler Für alle, die ihre Idiosynkrasie gegen Grün hegen, zählt die Steiermark zu einer dieser berüchtigten Grünen Höllen. Wer aber der Kombination von Grün und Blau etwas abgewinnen kann, der findet hier magisch-mythische Bildlandschaften, die sich mit den Riesenschultern des Atlasgebirges, den Fjorden Norwegens oder den großen Wüsten vergleichen lassen. Die eindrucksvollsten dieser steirischen Inbilder erlebt man auf der Wallfahrt nach Mariazell. Einerseits, weil per pedes plötzlich die meisten Artefakte einer hervorragenden technischen Zivilisation verschwinden; andererseits weil dem Pilger, obgleich staunend, wie schnell er zu Fuß vorankommt, genügend Zeit bleibt, auf das Schleifen der Schuhe durchs nasse Gras oder das Knattern eines so genannten Fichtenmopeds zu lauschen. Einmal gelangten wir über einen Waldpfad auf eine Lichtung, die von einem sehr niedrigen Zaun eingefasst war. Wir grüßten den Bauern, einen beunruhigend langen, hageren Kerl, und wollten unsere Beine über den Draht schwingen. Er fixierte uns nur mit einem riesigen Zeigefinger, der dann auf ein Gatter schwenkte. Es ging nicht darum, dass wir seinen Zaun etwa beschädigen oder uns an sensiblen Stellen elektrisierten würden. Nach seiner Auffassung von Höflichkeit mussten wir seinen Hof durch das Tor betreten. Er bat uns ins Haus, und als wir zögerten, wies er wieder mit seinem unwiderstehlichen Zeigefinger auf den kühlen Eingang. Drinnen in der Küche lud uns die Frau zum Essen ein. Sie horchte uns lächelnd zu, als wir höflich ablehnten, aber ihr Mann hob nur stumm die Hand, und da wir seinen Zeigefinger schon kannten, setzten wir uns an den Tisch. Solche Geschichten ergaben sich auf der Wallfahrt nach Mariazell. Über Wallfahrt lässt sich auf vielen Ebenen reden. Da gibt es einmal allgemeine, überall auf der Welt, in allen Zivilisationen aufzufindende Gründzüge. Das Ziel der Wallfahrt wird nur auf einem mühevollen Weg erreicht. Der Ort selbst verfügt häufig über magische Qualitäten, die noch aus heidnischer Zeit stammen. Zur Inszenierung zählen weiters klare Quellen, Bäume, Felsen, oft auch eine Grotte für das chthonische, das unterirdische Element. Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Was da unwillkürlich in Zusammenhang mit Wallfahrt auftaucht: archaische Transzendenz, ins Licht strebende, Gotik, europäische Kunst, wo sie am edelsten und tiefsten, also am romantischsten und daher volkstümlichsten ist – all das hat wenig mit Wallfahrt zu tun. Sie ist zwar zu einem wesentlichen Teil ein Phänomen der Volksreligion, aber deren stilistisches Merkmal ist nun mal der Kitsch. Die emotionale Bindung eines ungarischen Wallfahrers an die Magna Mater in Mariazell ist vergleichbar der Liebe eines Kindes zu seiner Mutter. Diese Liebe ist völlig unabhängig von der Schönheit ihres Gegenstandes. Wer daran zweifelt, der muss nur zusehen, wenn die Gnadenmutter eines ihrer vielen Prunkkleider gewechselt bekommt. Ein Streifzug durch die Devotionalienstände eines beliebigen Wallfahrtsortes ist geeignet das stabilste ästhetische Empfinden zu kontaminieren. Religiöse Volkskunst war vielleicht einmal schön, aber das muss gewesen sein, ehe ihre Naivität in industriell großem Stil von den Chinesen oder Taiwanesen produziert wurde. Die Votivgaben in der Schatzkammer, gewiss vorzüglichste Beispiele der Goldschmiedekunst, möchte man auch nicht jeden Tag um sich haben. Umweglos zeigen sie alles, was so am menschlichen Körper reparaturbedürftig ist: Ohren, Hände, Brüste, Augen, Oberschenkel, Geschlechtsteile und natürlich Herzen. Ein Geschäft, ein do ut des besteht auch im Verhältnis des Pilgers zu dem oder der, die er aufsucht. Zuweilen leistet der Gläubige ein Gelübde, und wenn der Angeflehte für Besserung oder Rettung sorgt, wird es eingelöst. Es kann aber auch umgekehrt sein. Auf Grund einer Vision, einer Erscheinung nicht gerade von Gott, aber doch von höher oben, wird dem Bedrängten Hilfe oder Rettung in Aussicht gestellt, wenn er zuvor eine Kapelle aufstellt, eine Wallfahrt unternimmt, eine Wachskerze spendet o.ä. Und wenn einer schon so viel aufgewendet hat, dann will er verständlicherweise auch glauben, dass der Transzendenz-Deal funktioniert hat. An Mariazell lassen sich diese Muster exemplarisch ablesen. 1157 schlägt sich der Mönch Magnus mitsamt der von ihm geschnitzten aus Lindenholz geschnitzten Gnadenmadonna auf Geheiß Otkers, des Abtes von St. Lambrecht in Richtung Mariazell, um die Seelsorge des dort ansässigen Hirtenvolkes zu übernehmen. Es wird dunkel, ein großer Felsen versperrt unserem Mönch den Weg, und er kriegt es mit der Angst zu tun. In seiner Angst wendet er sich an die Gottesmutter, sogleich spaltet sich der Felsen und gibt den Weg frei. Ca. 50 Jahre liegen Markgraf Heinrich von Mähren und seine Gemahlin länger „krump an an Händen und Füßen im Krankenbett“, bis ihnen im Traum der Hl. Wenzel empfiehlt nach Zell zu pilgern und dort eine steinerne Kapelle zu errichten. Auch als sie sich unterwegs verirren, greift der Heilige hilfreich ein. Der Deal funktioniert und wird zur Heinrichslegende. 1377 spricht die Gnadenmutter Ludwig I. am Vorabend der Schlacht gegen die zahlenmäßig weit überlegenen Türken Mut zu. Ludwig siegt und seit damals ist Mariazell eine Destination erster Wahl für Pilger aus Ungarn und hat eine politisch Identität stiftende Wirkung bis in unsere Tage. In Reaktion auf die sozialen Erschütterungen der Industriellen Revolution entstehen moderne Wallfahrten, die zumeist in ländlichen Randgebieten auftreten. Die Obrigkeit ist zuerst immer misstrauisch. Die vierzehnjährige Bernadette Soubirous (später heilige Bernadette), die 1858 mehrere Marienerscheinungen hatte, musste eine lange Reihe von Befragungen und Untersuchungen durch Polizei und Untersuchungsrichter über sich ergehen lassen, ehe Lourdes, am Fuße der Pyrenäen zu dem berühmten Wallfahrtsort werden durfte. Die kirchliche Obrigkeit schätzt es verständlicherweise nicht, wenn ihr irgendwo in der Provinz von barfüßigen Bauernkindern die Themenführerschaft streitig gemacht wird, wie in Fatima, Portugal. Und inwieweit ist Medjugorje nun schon akzeptiert? Die Geschehnisse bleiben also durchaus in Bewegung. Es ist gut vorstellbar, dass ein schwarzer Priester irgendwo in Yomytaboo, Zentralafrika, unter seinem Moskitonetz statt einer Malariaattacke eine Marienvision erleidet, nach der er die Verbreitung von Aids bekämpfen soll. Der Mann heilt vielleicht noch durch Handauflegen zwei, drei Aidskranke und macht sich durch die Ausgabe gesegneter Kondome bekannt. Die Sache gerät in Schwung, und bald ist der Heilige Ort – eine architektonisch gelungene Wellblechbaracke im Schatten mächtiger, uralter Elefantenbäume, unweit eines Felsens, an dessen Fuß eine klare Quelle entspringt (nur das weiße Krokodil aus dem Teich ist entsorgt worden) – Ziel von hunderttausenden Aidskranken. Rom reagiert erst sehr verärgert, aber die afrikanische Bischofskonferenz verschiebt einen Studiotermin für die Aufnahme von Spirituals und lädt den schwarzen Mitbruder vor … all die Millionen geheilter Aidsfälle … die internationale Presse ist angetan … man lenkt ein … Hollywood plant einen Film mit Eddie Murphy als schwarzem Heiligen. Zwar ist das Heiligsprechungsverfahren noch nicht abgeschlossen, aber der Papst macht seine nächste Wallfahrt nach Yomytaboo statt Mariazell. Wilhelm Hengstler, geboren 1944 in Graz, Jusstudium und Promotion 1969, lebt in Judendorf bei Graz. Filmemacher, Feuilletonist, Autor, Rezensent und Theater- und Filmkritiker
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