Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
„Transparente Klostermauern“ bei den Grazer Franziskanern
Archiv - Rezensionen
Dienstag, 14. März 2006
ImageDie fehlende Klimatisierung der Bibliothek macht sich bemerkbar: Auf diesen hebräischen Handschriften macht sich der Schimmel breit.

Das Grazer Franziskanerkloster ist seit dem 13. Jahrhundert ein zentraler Bestandteil der Stadt und ihrer Identität. Die aktuellen Bauforschungs- und Renovierungsarbeiten bieten überraschende Einblicke in Details der Kloster- und Stadtgeschichte – und einen Ausblick auf neue Nutzungen.






Image„Graz war nie ein Kirchenzentrum, ursprünglich waren die Bettelorden charakteristisch für das Stadtbild", sagt Dr. Wiltraud Resch, Universitäts-Lektorin für christliche Kunst am Institut für Liturgiewissenschaft der theologischen Fakultät und Verfasserin des Graz-Bandes der Österreichischen Kunst-Topographie. Die ersten „Minderen Brüder" kamen schon wenige Jahre nach dem Tod des Ordensgründers Franz von Assisi am 3. Oktober 1226 nach Graz – diesem Datum soll die Kirche im Übrigen ihre unübliche Abweichung von der Ost-Ausrichtung verdanken; der um 1260 vollendete Bau wurde so angelegt, dass der erste Lichtstrahl am Todestag des Heiligen durch die Achse des Bauwerks geht. Die Franziskanerkirche war die erste Kirche innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern.
Stadt und Kloster sind auch auf der materiellen Ebene miteinander verbunden: Die nördliche Westmauer des Klosters ist identisch mit der mittelalterlichen Stadtmauer – und der jetzige Kirchturm ist ein ehemaliger Wehrturm, der direkt an die Kirche grenzte und erst 1894 mit einem gotischen Eingangsportal versehen wurde.

ImageÜberraschende Entdeckungen. Parallel zur Planung der Renovierungsarbeiten begab sich der Grazer Bauforscher DI Markus Zechner auf die Spuren der Geschichte des Baus. Er fand heraus, dass das Gewölbe im Übergang vom Kloster zu einem alten Wehrturm (dieser Übergang verbindet heute das Kloster mit dem Haus Nr. 21 in der oberen Neutorgasse) erst im Spätbarock eingezogen wurde und die Fenster zum gleichen Zeitpunkt errichtet wurden, während die Schießscharten noch original erhalten sind. In den Zellen wurden in Ansätzen erhaltene gotische Fenster gefunden. Weitere herausragende Entdeckungen waren ornamentale Fresken an der Außenwand vom Ende des 14. Jahrhunderts und Städteansichten – darunter eine mit einem eindeutig identifizierbaren Wiener Stephansdom – aus der Mitte des 17. Jahrhunderts in der Zelle eines Bruders.
„Die Wandmalereien sind für Graz einzigartig", sagt Diplom-Restaurator Claudio Bizzarri aus Fohnsdorf, der die Zeichnungen gemeinsam mit Mag. Bernhard Hausegger restauriert hat. Und Zechner fügt hinzu: „Die mittelalterlichen Details, die wir gefunden haben, sind außerordentlich und für die Stadtgeschichte von großer Bedeutung – ich bin überzeugt davon, dass das Kloster noch viele weitere Schätze birgt."
Einer davon, der jetzt gehoben werden soll, ist zweifellos die Bibliothek. Neben der Erhaltung und Restaurierung der zahlreichen Bücher und Handschriften, die teilweise bis zu 700 Jahre alt sind, soll ein interdisziplinäres Kultur- und Forschungszentrum entstehen. Über 41.000 Bücher werden so der Wissenschaft zugänglich gemacht. Der gesamte Bestand wird mit dem Bibliothekenprogramm des „Verbundes österreichischer Bibliotheken" erfasst und mit den Universitäten vernetzt. Ein speziell für das Forschungszentrum neu gestalteter Leseraum soll das wissenschaftliche Arbeiten in den traditionsreichen Gemäuern noch angenehmer machen.

ImageInkunabeln und hebräische Fragmente. Unter den Beständen finden sich 846 Inkunabeln, also Drucke, die vor dem 15. Jahrhundert entstanden sind und rund 60 Handschriften, darunter hebräische Fragmente aus dem 13. Jahrhundert. „Die Fragmente wurden früher von Buchbindern beigegeben um die Seiten zu verstärken. Nach Erfindung des Buchdrucks waren die Handschriften ja nichts mehr wert", erklärt Klosterbibliothekar Bruder Didacus. „So haben wir auch das Tosefta-Fragment gefunden." Eine besonders wertvolle Handschrift. Die Tosefta ist das zweitwichtigste Arbeitsbuch der Juden, neben dem alten Testament. „Unter tausend Fragmenten gibt es nur eins, das erhalten ist", so Bruder Didacus. An diesem wertvollen Stück bekundeten schon israelische und amerikanische Professoren ihr Interesse. Die Universität Jerusalem wollte das Fragment sogar ankaufen, die Handschrift bleibt aber in Besitz der Grazer Franziskaner.
„Wir wollen Memorie betreiben und nicht in Vergangenheitsnostalgie schwelgen", erklärt Bruder Matthias Maier das engagierte Renovierungsprojekt, das sowohl Altes bewahren und gleichzeitig Visionäres beinhalten soll. Das geht wohl in kaum einem Bereich besser als im Bereich der Bibliothek. Für die Sanierung der Bücher und eine adäquate Lagerung der Inkunabeln und Handschriften müssen allerdings noch finanzielle Mittel aufgebracht werden.

Ausblick. Noch heuer werden im Stadtgraben zwischen dem Kloster und den Häusern auf der Ostseite der Neutorgasse archäologische Grabungen stattfinden – dort, wo sich auch die KORSO-Redaktion mitten in einem der geschichtsträchtigsten Bereiche der Grazer Altstadt befindet …

Christian Stenner,
Manuela Palmar

ImageImageImageImageFotos v.l.n.r: Mittelalterliche Schießscharte im Übergang vom Kloster zum alten Wehrturm. Wandzeichnungen von Mönchen aus dem 17. Jahrhundert und mittelalterliche Wandmalereien in der Zelle eines Bruders. Für eine adäquate Lagerung fehlt das Geld.


» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >