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Grazer Widerstandskämpfer als Zeuge
Montag, 10. September 2007
Der Grazer Widerstandskämpfer Franz Jauk ist Zeuge der medizinischen Verbrechen im KZ Dachau.

„Die VPn (Versuchspersonen, Anm.) werden mit voller Fliegeruniform, Winter- und Sommerkombination und Fliegerhaube bekleidet ins Wasser gebracht. Eine Schwimmweste aus Gummi oder Kapok soll das Untergehen verhindern. Die Versuche wurden durchgeführt bei Wassertemperaturen zwischen 2,5 und 12 Grad. Bei der einen Versuchsreihe war der Hinterkopf sowie Hirnstamm außerhalb des Wassers, während bei der anderen Versuchsreihe der Nacken (Hirnstamm) und das Hinterhirn im Wasser lagen. Es wurden Unterkühlungen im Magen von 26,4 Grad, im After von 26,5 Grad elektrisch gemessen. Todesfälle traten nur ein, wenn der Hirnstamm sowie das Hinterhirn mit unterkühlt  wurden. […] Sobald die Unterkühlung bei diesen Versuchen 28 Grad erreicht hatte, starb die VP mit Sicherheit trotz aller Versuche zur Rettung“, teilte der  Leiter dieses Menschenversuchs im Konzentrationslager Dachau, Dr. Sigmund Rascher, in einem seiner skrupellosen Berichte vom 10. September 1942 dem Reichsführer SS Heinrich Himmler mit. Himmler hatte Rascher im Sommer 1942 beauftragt, das Problem der Unterkühlung von ins Meer gestürzten Piloten zu erforschen und Methoden der Wiedererwärmung zu studieren. Eine der Methoden, die Himmler unbedingt in die Versuchsreihe eingebracht wissen wollte, war etwa die „animalische Wärme“, da er gehört hatte, dass „eine Fischerfrau ihren geretteten halb-
erfrorenen Mann einfach in ihr Bett nehme und so aufwärme“. Aus diesem Grund wurden Frauen aus dem KZ Ravensbrück geholt, die zu zweit einen Unterkühlten erwärmen sollten.

Statt Entlassung nach Dachau.  Dieses alle Grundsätze der medizinischen Ethik und Menschlichkeit missachtende Experiment war nur eines von zahlreichen im KZ Dachau an Häftlingen durchgeführten. Die „Erkenntnisse“ der Versuche waren gering – und das nicht nur, weil die Häftlinge, die dabei assistieren mussten, diese hintertrieben. Einer jener Häftlinge, der Zeuge dieser Verbrechen der Ärzte in Dachau wurde, war der am 1. Oktober 1904 in Eggenberg geborene Franz Jauk. Er wurde wegen Widerstands im Rahmen der KPÖ im November 1938 von der Gestapo verhaftet und im Dezember 1940 zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt, die er durch die Untersuchungshaft verbüßte. Dennoch wurde er danach nicht freigelassen, sondern im Jänner 1941 ins KZ Dachau überstellt, wo er gemeinsam mit Hermann Langbein Blockschreiber auf Block 5, der zum Krankenrevier gehörte, wurde. Als solche mussten beide täglich die „Abgänge“ melden. Als im März 1942 beim Zählappell die Häftlingszahl nicht stimmte, musste sich Franz Jauk auf die Suche nach den fehlenden russischen Kriegsgefangenen machen, in deren Zuge er in das am 5. März errichtete Laboratorium der Versuchsstation „Ahnenerbe“ kam.
„Ich meldete mich ordnungsgemäß bei SS-Hauptsturmführer Dr. Sigmund Rascher: ‚Ich bin Schutzhäftling Nr. 23.747, Blockschreiber im Revier auf Block 5 und ersuche um den Stand der Häftlinge auf dieser Station!’ Die Antwort war: ‚Sie bleiben hier.’ So wurde ich zum Mitwisser geheimer Versuche der SS im KZ Dachau.“

Verfälschte Ergebnisse, gerettete Leben.
Die Experimente, denen Franz Jauk ab März 1942 beiwohnen musste, sollten vorerst luftfahrtmedizinische Fragen beantworten wie: Welchen Bedingungen sind Piloten ausgesetzt, wenn sie in großer Höhe die Maschine verlassen oder in kaltem Wasser notlanden müssen? So wurden mittels Vakuum-Pumpen Höhen von bis zu 21.000 Metern simuliert, dabei die Höhenkrankheit und deren Begleiterscheinungen beobachtet und dokumentiert, wobei rund 80 Personen ums Leben kamen. Nachdem Ende Juli 1942 die Unterdruck-Anlage abgebaut worden war, begann man mit den Unterkühlversuchen im eiskalten Wasser.
Obwohl die dabei erlangten „Erkenntnisse“ bereits sehr früh vorlagen – wie am Beginn des Artikels dokumentiert –, wurden die Versuche noch monatelang fortgesetzt, wobei Franz Jauk und andere die „Ergebnisse“ verfälschten. Franz Jauk: „Das Multiflex-Galvanometer, dessen Technik ich genau und gründlich studierte, gab mir die Möglichkeit, durch sicheres Verstellen während der Versuche mindestens 100 Menschen vor dem Tode zu retten. Kein einziger Versuch sollte die Abkühlungsdauer erreichen, die gefordert war. Der Apparat zeigte dann 3 bis 5 Grad tiefere Temperaturen an als tatsächlich vorhanden. Dabei hatte ich immerfort die tätige Unterstützung meiner Kameraden.“ Am 22. November hatten diese Versuche schließlich ein Ende, da Franz Jauk das Multiflex-Galvanometer von 220 auf 110 Volt umschalten ließ. „Bevor Rascher ahnte, was geschehen war, hatten wir den Kontaktschalter bereits wieder zurückgestellt. Unser Techniker erklärte, ihm fehlen einige Bestandteile, um den Apparat wieder instand zu setzen. So kam es zum gänzlichen, endlichen Abbruch der schamlosen Unterkühlversuche an Menschen.“

Kein Ende der medizinischen Versuche. Allerdings hatten damit die Menschenversuche Raschers u. a. in Dachau noch lange kein Ende: Es folgten Kälte- und Aufwärmversuche im Freien, Zyankali-, Krebs-, Giftgas- und schließlich Anfang 1944 Blutstillversuche.
Ein Ende fand Raschers Tätigkeit erst im März 1944, als er von der Kriminalpolizei verhaftet wurde. Seine Frau war wegen der Entführung eines Säuglings gestellt worden, wobei herauskam, dass sie vier Schwangerschaften vorgetäuscht und Säuglinge entführt hatte. Da man Rascher nicht glaubte, von alledem nichts gewusst zu haben, wurde er ebenfalls verhaftet, vorerst ins KZ Buchenwald eingeliefert und schließlich kurz vor Ende der NS-Herrschaft an die Stätte seines Wirkens, ins KZ Dachau, überstellt, wo er am 26. April 1945 hingerichtet wurde.
Franz Jauk war zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem halben Jahr im Außenlager Schlachters am Bodensee, wo die SS nach der Erprobung des blutstillenden Medikaments Polygal im KZ Dachau an die industrielle Fertigung von Pektinpulver als Basis für Polygal ging. Am 1. Mai 1945 wurde Jauk von den Franzosen befreit.
Während Franz Jauk wieder nach Graz zurückkehrte, begannen die Alliierten Material für die Prozesse gegen die NS-Verbrecher – unter anderem die mit Rascher im KZ Dachau tätig gewesenen Ärzte Dr. Hans-Wolfgang Romberg und Dr. Siegfried Ruff – zu sammeln. Nach dem Prozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg gegen Hermann Göring, Rudolf Hess u. a. begann am 9. Dezember 1946 der erste Nachfolgeprozess – der Nürnberger Ärzteprozess. Nach 133 Prozesstagen endete dieses Verfahren am 20. August 1947 mit zahlreichen Todesurteilen gegen Ärzte, aber auch gegen Nicht-Ärzte.
Aus Anlass des Jahrestages dieses Prozesses veranstalten Clio und das SMZ Liebenau die Tagung: „60 Jahre Nürnberger Ärzteprozess – Kontinuität und Bruch in der Medizingeschichte in Österreich“ (siehe Kasten).

Heimo Halbrainer

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