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Journalisten sind Käfer
Montag, 10. September 2007
Kopfzeile
von Martin Novak

Zeitungen können ihre Leser nicht wirklich verzaubern. Selbst in der magischen Welt von Harry Potter, in der sogar das Schulessen gut ist, sind Journalisten letztklassig.

Irgendwie sind alle Zeitungen nicht wirklich gut. Die Leser haben immer etwas zu nörgeln. Leserbriefredakteure wissen ein Lied darüber zu singen. Die Kritik reicht von formalen Fragen (in diesem Blatt etwa ist die Schrift zu klein, das aber nur am Rande.) bis zu inhaltlicher Schelte (zu positiv, zu negativ, zu viel, zu wenig…). Zumeist bekommt die Redaktion zum gleichen Text Prügel aus unterschiedlichen Richtungen  –  nur kein Lob. Und wenn es Lob gibt, darf man es eigentlich nicht veröffentlichen, sonst wird der Zeitung gleich Eigenlob vorgeworfen. Der Leser(briefschreiber) neigt eben schlicht zu destruktiver Konfrontation.
Was aber, wenn Zeitungen frei von wirtschaftlichen, selbst physikalischen Zwängen, erscheinen, etwa in der Potter-Zauberwelt  von J. K. Rowlings? Für den unternehmerisch denkenden Verleger ist das dortige Zeitungswesen nicht weit vom Ideal entfernt. Offenbar schreibt dort eine einzige Journalistin eine Tageszeitung und ein Wochenmagazin, das Personalkostenproblem scheint also gelöst. Reisespesen entfallen angesicht fliegender Besen und anderer magischer Transportmöglichkeiten jedenfalls. Die Druckkosten sollten in einer Zauberwelt auch kein Problem sein. Und Posteulen garantieren eine verlässliche Zustellung, für die Distribution begnügen sie sich mit ein bisschen Futter.
Dass die Journalistin namens Rita Skeeter – zu Deutsch „Kimmkorn“ – sich in einen Käfer verwandeln kann, macht investigativen Journalismus zum Kinderspiel. Und eine selbst schreibende Feder, die Zitate von Interviewpartnern automatisch frei interpretiert, garantiert die strikte Einhaltung der jeweiligen Blattlinie.
Doch journalistisch gesehen ist der „Daily Prophet“ permanent ein Fall für das Medienrecht. Dass über einen prominenten Teenager wie Potter hemmungslos berichtet wird, mag ja noch Gegenstand der rechtlichen Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und dem Respekt vor der Privatsphäre des jungen Mannes sein. Dass aber seine überhaupt nicht prominente Freundin Hermione Granger medial durch den Kakao gezogen wird  –  bitte, die ist ja noch ein Kind  –  sprengt selbst den Rahmen der gegenüber sich selbst äußerst freizügigen britischen Yellow Press. Die technisch gesehen attraktive Verwandlungskunst in ein Insekt wirft natürlich schwer wiegende ethische Fragen auf, wie sie ja auch im Zusammenhang mit Günter Wallraff bereits ausführlich diskutiert wurden. Der österreichische Journalisten-Ehrenkodex verbietet geheime Abhörgeräte jedenfalls ohne Einschränkungen. Dass sich Skeeter von Hermione sogar einen Artikel abpressen lässt, ist nur der Gipfel des Zauberbergs.
Kurz: Rowlings hat eine magische Welt kreiert, in der die ärgerlichen Banalitäten des Lebens, wie Essen, Reisen, Kommunikation oder Energiebeschaffung, elegantest gelöst sind, sie beschweren niemanden. Nur das Zeitungswesen ist ein Zerrbild dessen der wirklichen Welt. Der einzige Trost: Zauberkundige Leserbriefschreiber können ihre Elaborate mit ätzender Tinte verfassen und so den Redakteuren wirklich weh tun.
Was jetzt aber wirklich für die realen Zeitungen in der realen Welt spricht: Obwohl Frau Rowlings alles tut, um dem Image der Massenmedien zu schaden, haben die Journalisten sie uneingeschränkt lieb und ergingen sich sieben Potter-Bände hindurch in Lobeshymnen auf die Autorin. Im realen Leben gibt es ihn ja doch, den objektiven, korrekten, von persönlichen Animositäten unbeeinflussten Qualitätsjournalismus.

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