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Bei uns und in den USA: Komasaufen und Kulturrausch
Archiv - Soziales
ImageNun wird an die Öffentlichkeit getragen, was in Österreich schon seit Generationen Usus ist: Das sogenannte „Komasaufen", das unter Jugendlichen sehr weit verbreitet scheint. Es gibt mehrere Gründe, warum diese Thematik momentan so hitzig diskutiert wird. Die Jugendlichen, die sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinken, werden immer jünger, die Anzahl der Einlieferungen in Krankenhäuser ist in den letzten Jahren stark angestiegen.

Alkoholkonsum im Allgemeinen könnte man in Österreich, dem Land mit der höchsten Brauereiendichte und hinter Spanien das Land mit dem größten Pro-Kopf-Konsum, quasi als eine Art Volkssport bezeichnen, steht doch Alkoholkonsum bei fast jedem gesellschaftlichen Event an der Tagesordnung, egal ob Hochzeit, Geburtstagsfeier oder Feierabendbier. Silvester und Faschingdienstag sind bekanntlich Tage, an denen ein erheblicher Teil der Bevölkerung alkoholisiert anzutreffen ist. Frühschoppen und Glühweintrinken sind ebenfalls nationale Gewohnheiten, die vielerorts als eine Art Kulturveranstaltung durchgehen mögen, nüchtern betrachtet ist es vielleicht doch nur „Saufen". Ex-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat sah im Februar den österreichischen Alkoholkonsum noch als „integralen Bestandteil von Kultur und Lebensstil", auch der rege Alkoholkonsum von Jugendlichen ab 14 wurde noch bis vor einigen Jahren von der Mehrheit mit einem Augenzwinkern toleriert: Die wollten „doch nur ein bisschen erwachsen sein".

Warum jetzt? Für die jüngsten Ereignisse ist eine Reihe von Faktoren verantwortlich, die bei den älteren Generationen noch nicht relevant waren: Alkohol ist heute zwar keineswegs leichter zu bekommen als früher, allerdings gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Angeboten, die einen Vollrausch geradezu herausfordern: Pinkel-Parties, Mischgetränke ab 50 Cent, Happy Hours usw. Dass Jugendliche von Generation zu Generation frühreifer werden, ist mittlerweile erwiesen, sei es dass der IQ höher ist, die Geschlechtsreife früher eintritt oder eben faszinierende „Erwachsenenrituale" wie Alkoholkonsum früher übernommen werden. Auch von offizieller Seite wurden diese Probleme bereits erkannt: Mag. Renate Kreuzweger von der steirischen Suchtberatungsplattform b.a.s. führt eine ganze Reihe von Gründen für den Anstieg der jugendlichen Alkoholleichen an: Harte Getränke seien zu billig geworden, Jugendliche hätten mehr Geld zur Verfügung, um sich Schnaps und Co zu leisten. Außerdem vermutet sie ein „allgemeines Bedürfnis nach Rauschmitteln" hinter dem Konsum der Jugendlichen und macht dafür auch unsere Zeit verantwortlich, mit derem großen Freizeitangebot oft eine Reizüberflutung einhergehe. Aufgrund dessen, so Renate Kreuzweger, wird Alkohol zu oft vom Genussmittel zum einzigen Hobby. Das aktuelle Gesetz betreffend Alkohol kann sie allerdings nicht gutheißen: Da Jugendliche sich schon früh an regelmäßigen Konsum gewöhnen, begünstigt es nach Ansicht der b.a.s den Alkoholismus in späteren Jahren. Allerdings hält es Mag. Kreuzweger für durchaus vorstellbar, dass bei einem Anheben des Trinkalters der Konsum der Jugendlichen auf illegale Drogen übergeht. Sie fordert vor allem mehr Information, eine höhere Besteuerung von alkoholischen Getränken sowie eine Einschränkung von Happy Hours etc..

Der amerikanische Weg. Ein Kurzbesuch an einer amerikanischen Highschool hat meinen Standpunkt gegenüber den negativen Seiten unseres Jugendschutzgesetzes allerdings relativiert. In Amerika ist Alkoholkonsum erst ab einem Alter von 21 erlaubt, unabhängig ob es um Bier, Wein oder Spirituosen geht. Diese Regelung wird durch rigorose Kontrollen in Supermärkten und diverse andere Maßnahmen gestützt: Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit ist generell verboten, für Jugendliche sowie Lokalbesitzer gibt es bei Verstößen ernsthafte Konsequenzen; ob im Provinzsupermarkt oder in Chinatown, an Alkohol ist kein Rankommen.
Das hat vielfältige Auswirkungen, wie ich bald bemerkte. Ich begleitete einige Zeit einen Jungen namens Evin, der mir die Schule und das Gelände zeigte. Evin war 15 und eine sehr wichtige Person an der Schule. Er war einer derjenigen, die die Schülerschaft mit Zigaretten, Alkohol, Kokain, Cannabis, Crack und der Designerdroge A.D.D versorgten. Das war ein offenes Geheimnis unter den Schülern, und auch ein amerikanischer Freund, dem ich mich mitteilte, konnte mein Entsetzen nicht nachvollziehen. Als ich ihm erklärte, wie unwahrscheinlich schockiert ich darüber war, dass Jugendliche, in meinem Alter und jünger, harte Drogen wie Kokain oder Crack konsumierten, stand lediglich leicht belustigtes Unverständnis in seinem Blick. Seine Reaktion erinnerte mich an einen österreichischen Vater, dem eine besorgte Mutter erklärt hatte, das sein 14-jähriger Sohn soeben mit seinen Freunden zwei Flaschen Bier getrunken hatte. Ich sprach mit vielen Jugendlichen, um das Geheimnis um die unheimliche Gleichgültigkeit den Dingen gegenüber zu lüften, die in Österreich die Katastrophe schlechthin bedeuten. Und nach einiger Zeit verstand ich auch: Für die amerikanischen Jugendlichen macht es keinen Unterschied, was sie konsumierten. Es ist alles gleich verboten. Jede einzelne der oben genannten Substanzen bedeutet den Schulverweis, außerdem sind alle illegalen Drogen wesentlich einfacher zu bekommen als Alkohol. Auf meine Frage, warum denn im Verhältnis so wenig Alkohol konsumiert würde, bekam ich immer dieselben drei Antworten: Von anderen Drogen wird einem nicht schlecht, sie sind einfacher zu bekommen und leichter zu verstecken.
Dass mir ein Kokaindealer eine Dose Bier zum Kauf anbot, hat mir zu denken gegeben. Und da habe ich mir gedacht, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass Alkohol, wenn er auch missbräuchlich verwendet wird, vielleicht Zustände ersetzt, die Österreich bis dato vergleichsweise fremd sind. Was in letzter Zeit passiert, ist natürlich sehr übertrieben und sollte bestmöglich verhindert werden. Aber besser man hat einen Feind, den man kennt, und der vielleicht bedingt, dass in Österreich vergleichsweise wenig illegale Drogen konsumiert werden. Keiner der als „Komasäufer" titulierten Jugendlichen hat Interesse daran, regelmäßig im Spital zu landen. Komasäufer in diesem Sinn gibt es nicht. Was in den Medien dramatisiert wird, ist zu einem guten Teil einfach das Austesten eigener Grenzen, Nachahmung von Eltern oder Verwandten, oder, wirtschaftlich betrachtet, äußerst positiv für die Gastronomie. Und da Alkohol vor allem in Österreich ein großes Spektrum an Funktionen übernommen hat, sollte man über die Präventivmaßnahmen mindestens ebenso nachdenken wie über andere Fragen, die man sich von Zeit zu Zeit stellen könnte: Soll ich nach drei Bier noch ins Auto steigen? Lege ich Wert darauf, ein Stamperl Obstler für einen Euro zu bekommen? Muss ich vor dem Fernseher oder zum Abendessen ein Bier trinken, während meine Kinder daneben sitzen?
In diesem Sinne: Prost!

Milo Strauß, 17 Jahre, ist derzeit Schüler am BG/BRG Kirchengasse und machte seine Erfahrungen in Ohio sowie New York im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes mit seiner Klasse im Schuljahr 2006

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